Die juristische Presseschau vom 17. April 2024: Erfolg für Julian Rei­chelt / Neue Daten­schutz­be­auf­tragte / Schwie­rige Jury-Aus­wahl im Trump-Pro­zess

17.04.2024

Das BVerfG hält den Taliban-Tweet von Julian Reichelt für eine zulässige Meinungsäußerung. Louisa Specht-Riemenschneider wird neue Datenschutzbeauftragte. Die Geschworenauswahl in Donald Trumps Strafverfahren dauert an.

Thema des Tages

BVerfG zu Reichelt vs. Schulze: Der Journalist Julian Reichelt darf einen Tweet, in dem er der Bundesregierung vorwirft, Entwicklungshilfe an die Taliban zu zahlen, wieder verbreiten. In einem nun veröffentlichten Beschluss hob das Bundesverfassungsgericht eine anderslautende Eil-Entscheidung des Berliner Kammergerichts vom November 2023 auf, das die Äußerung als unwahre Tatsachenaussage eingestuft hatte. Das BVerfG warf dem KG vor, "den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung erkennbar verfehlt" zu haben. So habe es das KG versäumt, den Kontext – einen per Link erreichbaren Beitrag der von Reichelt betriebenen Plattform "NiUS" - zu berücksichtigen. Nach Einschätzung des Karlsruher Gerichts ist es Reichelt nicht zumutbar gewesen, zunächst Widerspruchs- und Hauptsacheverfahren über die zivilrechtlichen Instanzen auszufechten. Das von Svenja Schulze (SPD) geleitete Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat inzwischen mitgeteilt, den Rechtsstreit nicht weiter verfolgen zu wollen. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Michael Hanfeld), beck-aktuell (Maximilian Amos) und LTO (Max Kolter).

Die vom BVerfG angenommene Ausnahme vom Grundsatz der Subsidiarität greift der Kommentar von Felix W. Zimmermann (LTO) auf. "Mit nicht überzeugender Begründung" habe sich das Gericht "zur dritten Instanz" in einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung aufgeschwungen. Dass Reichelt zumindest am Bundesgerichtshof zwingend mit einer Niederlage hätte rechnen müssen, sei keineswegs ausgemacht, stattdessen habe das BVerfG "für alle Medien und Betroffene von Berichterstattung" eine eindeutige Einladung ausgesprochen, sich statt eines "mühsamen und langwierigen" Hauptsacheverfahrens für eine Verfassungsbeschwerde zu entscheiden. "Betroffenenanwälte oder Justiziare" dürften nunmehr diesbezüglich "bereits mit den Hufen scharren".

Rechtspolitik

Bundesdatenschutzbeauftragte: Die Regierungskoalition hat sich offenbar über die Nachfolge von Ulrich Kelber (SPD) im Amt des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit geeinigt. Auf Vorschlag von Grünen und FDP soll das Amt ab Sommer von der parteilosen Rechtsprofessorin Louisa Specht-Riemenschneider ausgefüllt werden. Die aktuelle Vorsitzende des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen beim Umweltministerium wird u.a. von FAZ (Corinna Budras), LTO und netzpolitik.org (Markus Reuter) vorgestellt. Der noch amtierende Beauftragte Kelber hatte sich einer möglichen neuen Amtszeit gegenüber offen gezeigt, aber anscheinend den Rückhalt der SPD verloren.

Cannabis: Die Welt (Stephan Maaß) schreibt über nach wie vor offene Fragen bei der praktischen Umsetzung des seit zwei Wochen in Kraft befindlichen Cannabisgesetzes. So dürfte der Konsum auf dem heimischen Balkon verboten sein, sobald sich ein Spielplatz in Sichtweite befände. In der Wohnung selbst sei das Konsumverbot in der Nähe von Kindern beachtlich. Nach Bericht von spiegel.de bereitet die bayerische Regierung ein Landesgesetz vor, das den Cannabisgenuss auf Volksfesten, touristisch besonders beliebten Orten, aber auch dem Englischen Garten in München vollständig untersagt. Laut LTO finden die bayerischen Vorstellungen besonders hoher Bußgelder für Verstöße Anklang bei der CDU in Hamburg.

Im Natur- und Wissenschaft-Teil der FAZ kommentiert Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz, dass neben der Teillegalisierung durch das Konsum-Cannabisgesetz auch ein neues Sonderarzneimittelrecht für Cannabis durch das Medizinal-Cannabisgesetz geschaffen wurde. Dessen unglückliche Formulierungen erschwerten die Verwendung zu medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken; offenbar sei man "im Bereich der Forschung in eine Verschärfung der Rechtslage gestolpert." So entstehe der Eindruck, dass "im Dunst gesellschaftspolitischer Gesetzgebung" Wissenschaft "zum bloßen Nebenthema verkommt, für das sich solides Gesetzgebungshandwerk nicht lohnt."

Resilienz des BVerfG: Der frühere Bundesverfassungsrichter Michael Eichberger begrüßt im Verfassungsblog die kurz vor Ostern vom Bundesjustizministerium vorgestellten Ideen für eine Verfassungsänderung zum Zwecke der institutionellen Stärkung des Bundesverfassungsgerichts. Dem Arbeitsentwurf müsse aber  vorgeworfen werden, "leider auf halber Strecke" der gegenwärtig diskutierten Vorschläge stehengeblieben. Von "drei Säulen der aktuellen Resilienzdiskussion – Statusregeln, Zweidrittelmehrheit und Verfahrenssicherung" behandle der Entwurf nur die erste. Dieses Versäumnis sei in der weiteren Beratung nachzuholen.

Klimaschutz: Die Spitzen der Regierungsfraktionen haben sich auf eine Neufassung des Klimaschutzgesetzes verständigt. Die zentralen Punkte stellen Frage-und-Antwort-Darstellungen in SZ (Michael Bauchmüller/Vivien Timmler) und FAZ (Christian Geinitz) dar. Von besonderer Bedeutung ist der Abschied vom Prinzip sektorspezifischer Klimaziele. Eine Bundestagsabstimmung ist für die nächste Woche geplant.

Christian Geinitz (FAZ) begrüßt die Änderung in einem separaten Kommentar. Es sei "den Bürgern" nicht zu vermitteln, dass etwa der Verkehr eingeschränkt werden muss, obgleich "Deutschland in der Treibhausgasminderung insgesamt gut vorankommt."

Schwangerschaftsabbruch: In einem Gastkommentar für die Welt kritisiert Rechtsprofessor Christian Hillgruber die Vorschläge für eine Liberalisierung des Rechts des Schwangerschaftsabbruch. Eine generelle Erlaubnis für Abbrüche bis zur 12. Woche missachte den "Würde-Anspruch des menschlichen Embryos und Fetus", der nach der Rechtsprechung nicht erst verdient werden müsse.

Leihmutterschaft: Die Habilitandin Laura Anna Klein unterstützt auf dem Verfassungsblog die Vorschläge, die die Regierungskommission zur Leihmutterschaft machte. Zu Recht überlasse die Kommission die konkrete politische Gestaltung dem Gesetzgeber, der am geltenden Verbot festhalten oder unter engen Voraussetzungen altruistische Leihmutterschaften zulassen kann. Der Kommissionsbericht nehme die Grundrechtspositionen der Beteiligten ebenso ernst wie die Gefahren und Risiken der Leihmutterschaft. 

Vaterschaft: Rechtsprofessorin Bettina Heiderhoff unterstützt auf dem Verfassungsblog den Ansatz von Justizminister Marco Buschmann (FDP), das BVerfG-Vaterschafts-Urteil nur mit einer verbesserten Möglichkeit zur Vaterschafts-Anfechtung umzusetzen. Die Zulassung der Mehrelternschaft durch das BVerfG sei zwar "ganz wunderbar", sollte politisch jedoch auf einvernehmliche Fälle beschränkt werden. Eine gesetzliche Ausgestaltung sei komplex, so Heiderhoff, und sollte aus Zeitgründen nicht in der laufenden Reform zum Abstammungsrecht versucht werden. 

Ausreisearrest: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch spricht sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Throm für einen zeitlich unbegrenzten Ausreisearrest für ausländische Schwerkriminelle aus. "Schwerstgefährlichen Ausreisepflichtigen" müsse ein "Ausreisearrest mit drei Wänden" angeboten werden, aus dem ein Ausweg lediglich in die Heimat möglich sei.

Digitalisierung der Justiz: In einem Gastbeitrag für beck-aktuell macht Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, auf den eher durchwachsenen Stand der Digitalisierung der Justiz aufmerksam. Eine Mitgliederbefragung des DRB habe z.B. eine "Digitalwüste" in Sachsen-Anhalt ergeben, in Rheinland-Pfalz dagegen sei das Stimmungsbild eher zufrieden. Gewünscht sei überall eine höhere Zahl von IT-Fachleuten, die "verlässlich und kurzfristig helfen können."

Die unzureichende Digitalisierung des Rechtswesens beklagt Markus Hinterberger (Hbl) in einem Kommentar. Diskussionen über eine effizientere Bearbeitung von Ansprüchen etwa auf Grundlage des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes erübrigten sich, solange die Gerichtsbarkeit noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sei.

Justiz

BVerwG – LNG-Pipeline Rügen: Am morgigen Donnerstag verhandelt das Bundesverwaltungsgericht über Klagen der Deutschen Umwelthilfe und des Naturschutzbundes Mecklenburg-Vorpommern gegen Planfeststellungen zu LNG-Terminals vor der Insel Rügen, kündigt LTO an. Eilanträge waren im vergangenen September erfolglos geblieben. 

OLG Karlsruhe zu Verfahrenswert in Kindschaftssache: beck-aktuell berichtet über einen Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe, das im März den Verfahrenswert einer Kindschaftssache von den regelmäßigen 4.000 Euro auf 6.000 Euro erhöhte. Dies sei angesichts des "außergewöhnlich hohen Konfliktpotentials" des gerichtlich angeordneten Umgangsauschlusses angemessen und berücksichtige gleichzeitig das geringe Einkommen beider Eltern.

LG Oldenburg – Gorch Fock-Sanierung: Die Kostenexplosion bei der Sanierung des Marine-Segelschulschiffs Gorch Fock erfährt nun am Landgericht Oldenburg eine strafrechtliche Aufarbeitung. Zu den sechs Angeklagten gehören unter anderem die Geschäftsführer der mit der Sanierung beauftragten, in der Zwischenzeit insolvent gewordenen, Elsflether Werft. Den zwei Männern wird gewerbsmäßiger Betrug in einem besonders schweren Fall vorgeworfen. Über die Verfahrenseröffnung berichten gleich zwei Artikel der FAZ (Peter Carstens bzw. Marcus Jung).

LG Halle – Björn Höcke: Ab dem morgigen Donnerstag muss sich der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke am Landgericht Halle gegen den Vorwurf der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verteidigen. Vor dem auf vier Verhandlungstage angesetzten Verfahren beschreibt die SZ (Iris Mayer) in einer Seite Drei-Reportage, wie Höcke, inspiriert vom neurechten Vordenker Götz Kubitschek, seit Beginn seiner öffentlichen politischen Karriere daran arbeite, "die Grenzen des gerade noch Sagbaren" zu verschieben.

VG Aachen zu Berufskrankheit Hautkrebs: Ein bei einem im Ruhestand befindlichen Polizisten diagnostizierter Hautkrebs ist nach Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen nicht als Berufskrankheit einzustufen. Der erfolglose Kläger hatte geltend gemacht, in nahezu 46 Jahren Dienstzeit vorwiegend im Außendienst tätig gewesen zu sein. Einem Erkrankungsrisiko sei er hierbei aber nicht in einem Maße ausgesetzt gewesen, das über jenem der Allgemeinbevölkerung lag. LTO berichtet.

Klimaklagen: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Manuela Niehaus verteidigt auf dem Verfassungsblog den Nutzen von Klimaklagen gegen die Kritik von Rechtsprofessor Bernhard Wegener. Klimaurteile seien durchaus geeignet, Gesetzgeber zu aktivieren. Dass entsprechende Urteile dem Gesetzgeber die Auswahl der geeigneten Mittel überlassen, entspreche der Gewaltenteilung, so Niehaus.

Recht in der Welt

USA – Trump/Stormy Daniels: Im Strafverfahren gegen Donald Trump, dem in New York die Fälschung von Geschäftsunterlagen vorgeworfen wird, ist die Auswahl der Jury noch nicht abgeschlossen. SZ (Christian Zaschke) und spiegel.de (Marc Pitzke) beschreiben die Schwierigkeiten, unvoreingenomme Jury-Mitglieder zu finden. Während der vorwiegend formellen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten sei es Trump offenbar schwergefallen, wach zu bleiben. Darüber hinaus dürfte ihn im besonderen Maße die richterliche Anordnung stören, unbedingt an jedem Gerichtstermin teilnehmen zu müssen. Hierauf weist zeit.de (Johanna Roth) in einer Analyse hin. 

bild.de (Marie Sophie Krone) stellt Richter, Staatsanwalt und Trumps Verteidigung vor, die FAZ (Majid Sattar) bringt ein Porträt des Richters Juan Merchan.

Polen – Abtreibungen: Die FAZ (Reinhard Veser) wirft einen vertieften Blick auf die polnische Abtreibungsdebatte. Die neue Regierung hat wohl nicht zuletzt mit der Aussicht auf eine Reform die vergangene Wahl gewonnen und streitet nun über die konkrete Ausgestaltung. Ein jetzt eingesetzter Sonderausschuss des Sejm solle sich mit den vier aus den Reihen der Regierungskoalition stammenden Gesetzentwürfen befassen. Derweil hat Präsident Andrzej Duda angekündigt, gegen jede Reform des vom Verfassungsgericht im Herbst 2020 zuletzt verschärften Rechts sein Veto einlegen zu wollen.

Großbritannien – Julian Assange: Die der US-amerikanischen Regierung vom britischen High Court gesetzte Frist für die Beantwortung von Fragen zum Umgang mit Julian Assange ist am abgelaufen. Ob und ggf. wie die geforderten Zusicherungen eingingen, ist nicht bekannt. Gleichwohl seien Signale vernehmbar, nach denen in den USA darüber nachgedacht wird, das Strafverfahren gegen Assange in Gänze zu beendet. Präsident Joe Biden habe sich in dieser Richtung geäußert, so zeit.de (Meike Laaff).

Sonstiges

Rechtsstaat: Christian Rath (LTO) bespricht das Buch "Law statt Order" des linken Rechtsprofessors Maximilian Pichl. Angesichts Pichls eigener Ambivalenz gegenüber dem liberalen Rechtsstaatsbegriff überrasche "die Vehemenz mit der Pichl den Befürworter:innen eines Law-and-Order-Rechtsstaats die Legitimation abspricht, den Begriff Rechtsstaat überhaupt zu verwenden". 

Palästina-Kongress: Im Interview mit der taz-berlin (Claudius Prösser) schildert der Anwalt Michael Plöse, der die Veranstalter des abgebrochenene Palästina-Kongresses berät, den Ablauf der Gespräche mit der Polizei und deren Maßnahmen bis zum Abbruch des Kongresses. Dass gegen einen online zugeschalteten Redner in Betätigungsverbot besteht, sei den Veranstaltern nicht vorab mitgeteilt worden. 

Das Letzte zum Schluss

Digitalisierung der Justiz: Über die Segnungen der Digitalisierung der Justiz weiß ein britische Ehepaar wahrscheinlich nicht sehr viel Positives zu berichten. Nach 21 Ehejahren sind beide voneinander geschieden, ohne einen entsprechenden Antrag beauftragt zu haben. Grund hierfür ist die Benutzung eines gerichtlichen Online-Portal, bei der in der Kanzlei der "bestbezahlten Scheidungsanwältin Londons" ein Angestellter die falsche Mandantenakte aufgerufen und diese dann digital zur Scheidung "angemeldet" hatte. Die Aufhebung der Scheidung wurde nun vom High Court abgelehnt, so beck-aktuell. Ganz unbritisch humorlos widersprach das Gericht dem Eindruck, der voreilige Mitarbeiter habe lediglich eine falsche Taste bedient.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. April 2024: . In: Legal Tribune Online, 17.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54349 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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