Die juristische Presseschau vom 14. Februar 2024: Maß­nahmen gegen Rechts­ex­t­re­mismus / Zeuge Win­ter­korn tritt auf / Rus­si­sche Fahn­dung gegen est­ni­sche Minis­ter­prä­si­dentin

14.02.2024

Die Bundesinnenministerin stellte Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus vor. Im Braunschweiger KapMuG-Verfahren wegen VW-Kursverlusten sagt heute Martin Winterkorn als Zeuge aus. Russland fahndet nach ausländischen Entscheidungsträgern. 

Thema des Tages

Rechtsextremismus: Gemeinsam mit Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang und BKA-Präsident Holger Münch präsentierte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein Maßnahmenpaket für den Kampf gegen Rechtsextremismus. Die vorgestellten Maßnahmen reichen dabei von einer Verschärfung des Waffengesetzes über einen leichteren Informationsaustausch zwischen Sicherheitsbehörden bis hin zu einer Grundgesetzänderung zur Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts. Faeser plädierte für einen "ganzheitlichen Ansatz": bei Rechtsextremist:innen sei künftig jeder Rechtsverstoß in jedem Rechtsgebiet konsequent zu ahnden. SZ (Markus Balser/Constanze von Bullion), FAZ (Friederike Haupt) und Hbl (Dietmar Neuerer) berichten.

Konrad Litschko (taz) befürchtet in einem Kommentar, dass von den Ankündigungen nicht viel umgesetzt werde. So gebe es "hohe rechtliche Hürden" etwa bei Einreisesperren für Rechtsextremist:innen oder innerkoalitionären Streit, z.B. über das Demokratieförderungsgesetz.

Rechtspolitik

Videoverhandlungen: In der nächsten Woche wird der Vermittlungsausschuss über das Gesetz zur Förderung von Videokonferenztechnik im Zivilprozess beraten. Rechtsanwalt Martin W. Huff spricht sich im Recht-und-Steuern-Teil der FAZ dafür aus, das Vorhabens möglichst rasch umzusetzen. Hierbei sollte auf das Recht einer Partei, eine Videoverhandlung zu fordern, nicht verzichtet werden. Demgegenüber sei es zweitrangig., Gerichtsverhandlungen aus dem richterlichen Home Office zu ermöglichen.

Exmatrikulationen: Der Berliner Senat will die Möglichkeit der Exmatrikulation Studierender wiedereinführen. Im Berliner Hochschulgesetz war diese disziplinarische Maßnahme mit rot-rot-grüner Mehrheit 2021 gestrichen worden, informiert LTO. Nachdem nun ein jüdischer Student von einem propalästinensischen Kommilitonen krankenhausreif geschlagen wurde, hatte die Leitung der Freien Universität den Täter mit einem dreimonatigen Hausverbot, der aktuell gültigen Maximalsanktion, belegt.

Recht auf Verschlüsselung: netzpolitik.org (Markus Reuter) berichtet über den in der vergangenen Woche vorgestellten Referentenentwurf des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, mit dem Verschlüsselung bei Messengern und Cloud-Diensten gestärkt werden soll. Nutzende dieser Diensten sollen Ende-zu-Ende-Verschlüsselung überall dort nutzen können, wo dies technisch möglich ist.

Weisungsrecht gegenüber Staatsanwaltschaften: Der Deutsche Richterbund hat mit Blick auf die Wahlerfolge der AfD erneut gefordert, das Weisungsrecht der Justizministerien gegenüber Staatsanwaltschaften zu streichen. Es dürfe "keine gesetzlichen Einfallstore für einen politischen Missbrauch der Strafverfolgung geben". table (Daniel Schmidthäusler) berichtet.  

Streik: Im Recht-und-Steuern-Teil der FAZ wirbt Rechtsprofessor Clemens Höpfner für ein "vorzugsweise auf Bundesebene" einzuführendes Schlichtungsgesetz zur Begrenzung der nachteiligen Auswirkungen von Arbeitskämpfen. Die Arbeitsgerichtsbarkeit habe das ultima-ratio-Prinzip "faktisch aufgegeben" und prüfe die Verhältnismäßigkeit von Streiks nurmehr auf Grundlage einer weitgehenden Einschätzungsprärogative der Gewerkschaften. Eine Schlichtung mit Einlassungszwang, d.h. der Pflicht zur Teilnahme, könnte demgegenüber die Anzahl von Streiks im Einklang mit der Wertung  des Grundgesetzes begrenzen, so der beim jüngsten Lokführerstreik als Gutachter der Deutschen Bahn tätige Jurist.

Globale Mindeststeuer: Zum Jahreswechsel trat das deutsche Gesetz zur Umsetzung einer EU-Richtlinie für eine globale Mindeststeuer in Kraft. Multinationale Unternehmen mit einem Umsatz von über 750 Millionen Euro unterliegen nun einem effektiven Steuersatz von mindestens 15 Prozent. Ist die Konzernmutter in einem Staat ansässig, der die Mindeststeuer nicht eingeführt hat, haften Gruppengesellschaften in anderen Staaten für die niedrige Besteuerung. Die Rechtsanwälte Johannes Frey und Florian Schmid zeichnen im FAZ-Einspruch den Weg des von der OECD betriebenen Projekts nach und formulieren Kritik. Der Austausch sensibler Daten greife in das Steuergeheimnis ein, das gesamte Vorhaben schaffe einen enormen Mehraufwand für betroffene Unternehmen und Verwaltungen. Die praktische Umsetzung sei zweifelhaft, solange sich maßgebliche Staaten wie die USA oder China nicht beteiligten. Gleichzeitig gebe es in Deutschland und der EU "kein Zurück", sodass "pragmatische Anwendung und klare Regelungen für die Streitbeilegung" sichergestellt werden sollten.

Sanktionen gegen Russland: Nach Bericht der SZ (Jan Diesteldorf) hat der Rat der EU beschlossen, dass auch die Erträge von russischem Staatsvermögen (insbesondere der russischen Zentralbank) in den EU-Staaten eingefroren werden sollen. Eine Enteignung der russischen Staatsvermögen zugunsten der Ukraine wird insbesondere von der Bundesrepublik abgelehnt, weil dies gegen das Völkerrecht verstieße.

EU-Politik: Das Hbl (Frank Specht u.a.) befasst sich vertieft mit dem in Brüssel mittlerweile zum geflügelten Wort gewordenen "German Vote". Enthaltungen oder entsprechende Ankündigungen behinderten – wie jüngst bei der verschobenen Abstimmung zur Lieferkettenrichtlinie – angesichts des deutschen Stimmgewichts das Zustandekommen von Kompromissen oder überhaupt Ergebnissen. Der Bericht führt 13 Vorhaben an (von einer Richtlinie zur Plattformarbeit bis hin zu einem EU-weiten Behindertenausweis), bei denen nun auch Stillstand drohe.

Justiz

OLG Braunschweig – KapMuG-Verfahren VW: Vor dem für den heutigen Mittwoch am Oberlandesgericht Braunschweig geplanten Zeugenauftritt des früheren VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn gibt die FAZ (Christian Müßgens) einen ausführlichen Überblick zu den Grundlagen des zivilrechtlichen Anleger-Verfahrens. Eine strafrechtliche Ahndung der Rolle Winterkorns beim Diesel-Skandal steht noch aus, nachdem gesundheitliche Probleme zur Abtrennung seines Verfahrens von jenem gegen Manager und Ingenieure geführt hatten. 

EGMR zu Schächten: Nach Meldung der SZ hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die grundsätzliche Möglichkeit gebilligt, dass Staaten das Schächten von Tieren verbieten. Der mit einem Verbot verbundene Eingriff in die Religionsfreiheit von Juden und Muslimen sei angesichts der mit der Praxis verbundenen Tierleiden gerechtfertigt. Der EGMR entschied über eine Sammelbeschwerde von Juden und Muslimen aus Belgien.

LG Lübeck – Missbrauch beim Schlafwandeln: Vor der am heutigen Mittwoch am Landgericht Lübeck geplanten Urteilsverkündung im "Sexsomnia"-Verfahren fasst nun auch LTO (Helena Schroeter) die im Verfahren gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Die vom angeklagten Staatsanwalt vorgebrachte These, er könnte die ihm zur Last gelegte Tat beim Schlafwandeln begangen haben, hatte auch die Anklage überzeugt. Wie die Verteidigung plädierte sie auf Freispruch. Sollte das Gericht eine krankheitsbedingte Schuldunfähigkeit des Angeklagten feststellen, käme eine Unterbringung in der Psychiatrie in Frage.

ArbG Frankfurt/O. zu Tesla-Betriebsratswahl: Auf Antrag der IG Metall hat das Arbeitsgericht Frankfurt/O. per einstweiliger Verfügung die Verschiebung der Betriebsratswahl im Tesla-Werk Grünheide angeordnet. Der vom amtierenden Betriebsrat vorgestellte Zeitplan verstoße offensichtlich und besonders grob gegen Wahlvorschriften, so spiegel.de (Michael Kröger) über die Entscheidung des Gerichts. So hätten die in der Produktion Beschäftigten nach dem Ende der kurzfristig anberaumten Betriebsferien nur wenige Tage Zeit gehabt, Wahlvorschläge zu erstellen, Kandidaten zu gewinnen und Unterschriften zu sammeln.

Recht in der Welt

Russland – Kaja Kallas: Als erstes ausländisches Staatsoberhaupt ist die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas in eine Fahndungsliste des russischen Innenministeriums aufgenommen worden. Die Maßnahme steht im Zusammenhang der Demontage von estnischen Kriegsdenkmälern aus der sowjetischen Ära. Darüber hinaus seien mehr als 100 westliche Personen zur Fahndung ausgeschrieben worden, unter anderem Richter und Staatsanwälte des Internationalen Strafgerichtshofs, die am Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten beteiligt waren. zeit.de (Alexander Eydlin) berichtet.

Russland – Schenja Berkowitsch: Bei einem Haftprüfungstermin benutzte die russische Theateregisseurin Schenja Berkowitsch Anfang Januar die ihr zustehende Möglichkeit eines letzten Wortes dafür, in Reimform "die Absurdität und die Hoffnungslosigkeit" ihres Verfahrens wegen "Rechtfertigung von Terrorismus" anzuprangern. Im Feuilleton schreibt die FAZ (Anna Narinskaya) über die Performance, die in bester Tradition russischer Dissidenz den vorhersehbaren Ablauf von Gerichtsterminen zu unterbrechen sucht, gleichzeitig aber auch die Aussichtslosigkeit einberechnet.

Ukraine – Mobilisierung: Die SZ (Florian Hassel) schreibt über die Schwierigkeiten der Ukraine, mit einem neuen Mobilisierungsgesetz hunderttausende Männer zwangsweise als Soldaten in den Krieg zu schicken. Gegen den jüngsten Entwurf hatten sowohl der Juristische Dienst des Parlaments als auch der Ombudsmann des Landes zahlreiche verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. Unter anderem wurde bemängelt, dass jeder Ukrainer ein elektronisches Verzeichnis mit allen wehrrelevanten Daten eröffnen muss. Gleichwohl wurde das Gesetz in der vergangenen Woche in der ersten parlamentarischen Lesung angenommen. Vor der entscheidende zweiten Lesung haben Parlament und Regierung einige Wochen Zeit für Korrekturen. 

Großbritannien – Glorifizierung von Terror: In London sind drei junge Frauen zu Bewährungsstrafen verurteilt worden, weil sie auf einer pro-palästinensischen Demonstration eine Woche nach dem Hamas-Überfall auf Israel Bilder von Gleitfliegern mitführten. Solche Gleitflieger wurden auch bei dem Überfall eingesetzt. Der Richter sah im Verhalten der Frauen eine Glorifizierung des Hamas-Terrors. LTO berichtet.

Türkei – Can Atalay: Rechtsprofessor Sami Selcuk und Doktorand Bedirhan Erdem ziehen auf dem JuWissBlog eine Bilanz des Falls Can Atalay. Dem wegen Beteiligung an den Gezi-Protesten zu einer langjährigen Haftstrafe Verurteilten ist durch einen Beschluss einer Strafkammer des türkischen Kassationsgerichtshofs sein Abgeordnetenstatuts entzogen worden. Dass sich das Gericht dabei über eine Anordnung des türkischen Verfassungsgerichts hinwegsetzte, das die Freilassung Atalays verfügt hatte, unterstreicht nach Ansicht der Autoren eine verhängnisvolle Entfernung der Judikative vom kontinentaleuropäischen Rechtssystem.

USA – Donald Trump vor Gericht: zeit.de (Kerstin Kohlenberg) spricht mit Rechtsprofessor Russell A. Miller über seine Einschätzungen der Erfolgsaussichten der diversen Versuche, den früheren US-Präsidenten Donald Trump strafrechtlich zu belangen. Die von Sonderermittler Jack Smith vertretene Anklage wegen Verschwörung und Wahlmanipulation habe wohl die besten Aussichten. Im Verfahren um Trumps Steuerunterlagen hatte der Supreme Court bereits erklärt, dass Trump keine absolute Immunität habe. Dagegen dürfte der Wahlausschluss Trumps wegen seiner Rolle bei den Ausschreitungen des 6. Januars kaum Bestand haben.

Sonstiges

Wehrhafte Demokratie/Thüringen: Eine kritische oder feindliche Einstellung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung vermag nicht die Ernennung von politischen Beamt:innen in Spitzenpositionen der Verwaltung zu verhindern. Dies resümiert LTO (Markus Sehl/Oscar Genter) in einem Beitrag über mögliche Konsequenzen eines Wahlsiegs der AfD in Thüringen. Zwar fordere das Beamtenstatusgesetz die Bereitschaft, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Allerdings entscheidet über etwaige Disziplinarmaßnahmen gegen verfassungsfeindliche Beamt:innen die Leitung des Ministeriums, das die Personen ja gerade ernannt hat. So könnten AfD-Akteur:innen auch schon bei einer AfD-Regierungsbeteiligung maßgeblichen Einfluss über die inhaltliche Ausrichtung von Landesbehörden ausüben.

Das Letzte zum Schluss

Freund und Helfer: Vertrauensvoll wandte sich ein britischer Autofahrer an den polizeilichen Notruf, nachdem ihm klar geworden war, dass er nicht mehr fahrbereit ist. Die herbeigeeilten Beamten konnten die Ursache der Unpässlichkeit aufklären: der Mann hatte den erlaubten Grenzwert für Alkohol am Steuer um das Dreifache überschritten, schreibt spiegel.de. Die Ausnüchterung fand dann in einer Zelle statt.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. Februar 2024: . In: Legal Tribune Online, 14.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53867 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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