Claudia Pechsteins Ringen um Entschädigung für eine ungerechtfertigte Dopingsperre mit wichtigem Etappensieg in Karlsruhe. Georg Nüßlein und Alfred Sauter dürfen ihre Provisionen für Masken-Deals behalten und neue Kritik an "Loser-Bachelor".
Thema des Tages
BVerfG zu Claudia Pechstein: Der Bundesgerichtshof hat den Justizgewährungsanspruch Claudia Pechsteins verletzt, indem er in seiner Berufungsentscheidung zu Entschädigungsansprüchen der Eisschnellläuferin den Internationalen Sportgerichtshof CAS als Schiedsgericht im Sinne der Zivilprozessordnung einstufte. Der zum Zeitpunkt der CAS-Entscheidung zu einer Dopingsperre Pechsteins dort geltende Ausschluss der Öffentlichkeit sei angesichts der ohnehin eingeschränkten Freiheit von Profis, sich dessen Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, so schwerwiegend, dass von strukturellen rechtsstaatlichen Mängeln auszugehen sei, so das Bundesverfassungsgericht in seinem nun veröffentlichten Beschluss von Anfang Juni. Die Berichte von LTO (Pauline Dietrich/Felix W. Zimmermann), taz (Christian Rath) und tagesschau.de (Klaus Hempel) gehen auch auf den seit mehr als zehn Jahren anhängigen Rechtsstreit über eine Sperre der Eisschnellläuferin und deren Folgen ein. Ob Pechstein wegen der zweijährigen Sperre Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Millionenhöhe hat, müsse nun das Oberlandesgericht München entscheiden.
Christoph Becker (FAZ) meint in seinem Kommentar, dass unklar bleibe, "ob die heutigen Schiedsverfahren vor dem CAS dem deutschen Justizgewährungsanspruch genügen" würden. Es sei jedenfalls anzunehmen, dass die "Sportrechtspraxis in Lausanne" deutschen Rechtsmaßstäben nicht genüge. Nur wenige Betroffene hätten allerdings einen so langen Atem wie Pechstein, "um ihre Position zu verbessern."
Rechtspolitik
Ersatzfreiheitsstrafe: Im Interview mit Libra (Marie-Luise Schlicker) gibt Rechtsanwalt Dirk Lammer seine Einschätzung zu den Plänen wieder, die Ersatzfreiheitsstrafe zu halbieren. Der Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins äußert sich zudem zur Verteidigerperspektive auf die Verwertbarkeit von Encrochat-Daten und zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Strafzumessung.
Digitalpakt: Nach Darstellung der FAZ (Katja Gelinsky) im Wirtschafts-Teil mehrt sich das Unbehagen an fehlenden konkreten Zusagen des Bundesjustizministers zur Zukunft des Digitalpaktes. Marco Buschmann (FDP) komme die schwierige Aufgabe zu, die erforderliche Digitalisierung des Justizbetriebes voranzutreiben, gleichzeitig aber auch die von seinem Parteivorsitzenden gepredigte Ausgabendisziplin zu üben.
Digitale Dienste: Im Interview mit der taz (Eric Bonse) erklärt der Europaparlamentarier Patrick Breyer (Piraten) seine weiterhin bestehenden Vorbehalte gegen das in der vergangenen Woche beschlossene Digitale-Dienste-Gesetz der EU. Das von Anbietern gepflegte "Geschäftsmodell des Überwachungskapitalismus" bleibe auch mit den neuen Regeln unangetastet. Breyers parlamentarische Zustimmung habe das Vorhaben gleichwohl erfahren, weil hierdurch "überzogene nationale Regelungen abgelöst werden, wie das deutsche NetzDG."
Sanktionen: Bei einem Treffen der EU-Justizminister hat Justizkommissar Didier Reynders die Mitgliedstaaten aufgefordert, mehr Informationen über nationale Regeln zur Sperrung von Vermögen zur Verfügung zu stellen. Um den gegen russische Oligarchen wegen Unterstützung des Angriffs auf die Ukraine verfügten Sanktionen mehr Durschlagskraft zu geben, sei ein euroaweiter Straftatbestand der Sanktionsumgehung geplant. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren solle im Oktober eingeleitet werden, so die FAZ (Thomas Gutschker).
Tierschutz: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ beschreibt Vera Cristopeit, Justiziarin der Tierschutzorganisation PETA, weitreichende Ausnahmen vom EU-weiten Tierversuchsverbot für Kosmetikprodukte und fordert den europäischen Gesetzgeber zur Nachbesserung auf.
Cybersicherheit: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will die Cybersicherheit stärken und zu diesem Zweck dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik neue Kompetenzen einräumen. Bezüglich der hierfür erforderlichen Grundgesetzänderung bestehe aber noch kein Einvernehmen mit den Ländern, schreibt die FAZ (Helene Bubrowski). Für Reinhard Müller (FAZ) gibt es einen "guten Grund, dass die Gefahrenabwehr grundsätzlich Sache der Länder ist." Die Verteidigung des Landes, auch im Cyberraum, sei Aufgabe des Bundes und müsse von ihm wahrgenommen werden.
Entwaldungsfreie Lieferketten: Das Europäische Parlament hat seine Position zu einem geplanten EU-Gesetz, mit dem "entwaldungsfreie Lieferketten" sichergestellt werden sollen, vorgelegt. Nun könnten im September die Trilog-Verhandlungen starten, schreibt die SZ (Josef Kelnberger) und nennt die noch offenen Punkte.
Justiz
BGH zu Maskendeals: Der Bundesgerichtshof hat mehrere Beschlüsse des Oberlandesgerichts München zur Aufhebung von Vermögensarrestanordnungen im Zusammenhang mit der bayerischen Maskenaffäre bestätigt. Die früheren CSU-Politiker Georg Nüßlein und Alfons Sauter könnten sich damit über den baldigen Zugriff auf die von ihnen wegen der Vermittlung von Maskendeals verdienten Gelder freuen, schreiben SZ (Johann Osel/Klaus Ott) im Bayern-Teil und LTO. Wie schon das OLG habe nun auch der BGH im von der Staatsanwaltschaft ermittelten Sachverhalt keine Abgeordnetenbestechlichkeit erkennen können. Die von den Politikern unternommenen, provisionspflichtigen Vermittlungen der Geschäfte seien nicht "in Wahrnehmung ihres Mandats" erfolgt, wie dies § 108e Strafgesetzbuch fordere.
EuGH zu Nord Stream 2: Die in der Schweiz beheimatete Nord Stream 2 AG ist befugt, gegen die 2019 veränderte EU-Gasrichtlinie vorzugehen. Anders noch als das Gericht der Europäischen Union (EuG) stellte dies nun der Europäische Gerichtshof klar. Die AG könne als juristische Person gegen die Richtlinie vorgehen, weil sie von ihr auch unmittelbar betroffen sei, so das Urteil, dessen praktische Auswirkungen nach dem Bericht von LTO angesichts der faktischen Betriebseinstellung unklar seien.
OLG Stuttgart – Dieselskandal/Mercedes: Im Musterfeststellungsverfahren über mögliche Schadensersatzansprüche von Käufern von abgasskandalbetroffenen Mercedes-Fahrzeugen hat das Oberlandesgericht Stuttgart einen nächsten Verhandlungstermin auf den 24. Januar 2023 festgelegt. Inhalt und Hintergründe des Verfahrens erläutert tagesschau.de (Claudia Kornmeier).
LG Hamburg zu Luke Mockridge: Der Comedien Thomas Spitzer durfte seinen Kollegen Luke Mockridge in einem Tweet als "scheiße" bezeichnen. Einen hiergegen von Mockridge gestellten Antrag auf Unterlassungsverfügung wies das Landgericht Hamburg nun ab. LTO (Pauline Dietrich/Felix W. Zimmermann) führt aus, dass der beanstandete Tweet weder unzulässige Schmähkritik noch eine Formalbeleidigung enthalte. Vielmehr sei aus dem Kontext ersichtlich, dass ein Sachzusammenhang mit Vorwürfen, die gegen Mockridge erhoben wurden, bestehe. Beachtlich sei auch, dass das Wort "scheiße" keineswegs tabuisiert sei, vielmehr zur Umgangsprache gehöre.
VG Karlsruhe zu Corona-Regeln am BVerfG: Hendrik Wieduwilt (Libra) macht auf einen Kostenbeschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe aufmerksam, in dem Mitte Juni dem Bundesverfassungsgericht "indirekt Mängel beim Corona-Management attestiert" worden seien. Die zwischenzeitlich erledigte Auseinandersetzung eines Rechtsanwaltes, der coronabedingte Anordnungen am obersten deutschen Gericht für rechtswidrig hielt, offenbarten "Mängel in der Behördenorganisation, beim Beantworten von Post und der Aktualisierung der Corona-Hausregeln." Wer wie das BVerfG "auf öffentliches Vertrauen angewiesen" sei, sollte mit den Rechten der Öffentlichkeit "transparenter und sorgsamer" umgehen.
GBA: Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Peter Frank, gab beim Jahrespresseempfang seiner Behörde einen Überblick zu derzeitigen Strukturermittlungen wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Hierbei habe er die Erwartungen gedämpft, dass konkrete Beschuldigte zeitnah genannt würden, so LTO. Vielmehr bedürfe es eines völkerstrafrechtlichen "langen Atems". Innerhalb Deutschlands würde die Szene sogenannter Reichsbürger zunehmend Gegenstand von Ermittlungen des GBA. Einen diesbezüglichen Schwerpunkt setzt der Bericht der taz (Christian Rath).
Recht in der Welt
Ukraine – Oligarchen: Sein aus mehreren Fernsehsendern und Nachrichten-Webseiten bestehendes Medienimperium hat der ukrainische Unternehmer Rinat Achmetow dem Staat überantwortet. Die "unfreiwillige Entscheidung" solle der Aufnahme in ein im vergangenen Jahr beschlossenen "Oligarchen-Registers" vorbeugen, schreibt das Hbl (Mareike Müller). Nach dem umstrittenen Gesetz seien registrierte Oligarchen von der Teilnahme am politischen Wettbewerb, aber auch öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen.
Italien – Seenotrettung: Wegen Beihilfe zur illegalen Einreise werden Seenotretter in Italien regelmäßig angeklagt. Zunehmend werden nun auch Flüchtlinge belangt, erklärt der SWR RadioReportRecht (Ann-Kathrin Jeske/Gigi Deppe).
Argentinien – Militärdiktatur: In der vergangenen Woche verurteilte ein argentinisches Gericht vier Offiziere, die während der Zeit der Militärdiktatur Gefangene folterten und töteten. Über die wegweisende Entscheidung berichtet die FAZ (Matthias Rüb) in einem Hintergrund, der die Schwierigkeiten behandelt, die Hinterlassenschaften der Diktatur auch juristisch aufzuarbeiten.
Juristische Ausbildung
Jura-Bachelor: Eine weitere publizistische Replik zum vermeintlichen "Loser-Bachelor", als den Rechtsprofessorin Tizinia Chiusi einen studienbegleitenden Jura-Bachelor bezeichnet hatte, unternimmt Rechtsprofessor Julian Krüper auf dem Verfassungsblog. Es sollte "über Inhalte und Strukturen des Jurastudiums" gestritten werden, "Polemik und Herablassung" verstellten den hierauf gerichteten Blick. Die Debatte über eine Reform der juristischen Ausbildung greift auch Annette Ramelsberger (SZ) auf. Im Leitartikel legt sie dar, dass Begrifflichkeiten wie "Jodeldiplom" auch der Besitzstandswahrung einer "Juristen-Kaste diene, die sich immer wieder aus derselben Schicht rekrutiert".
Sonstiges
Anwaltliches Netzwerk: Tipps und Ratschläge für Aufbau und Pflege eines anwaltlichen Netzwerks hält LTO-Karriere (Anja Schäfer) bereit.
Mobile anwaltliche Arbeit: Rechtsanwältin Maya El-Auwad macht sich auf Libra Gedanken, inwiefern moderne Co-Working-Space-Konzepte den berufsrechtlichen Bestimmungen für die Anwaltschaft entsprechen. Die größten Probleme dürften sich wegen der Pflicht zur Verschwiegenheit ergeben. Obgleich diese "nur so gut wie die verwendeten IT-Systeme" sei, sollte die Notwendigkeit persönlichen Kontakts zur Mandantschaft nicht aus dem Auge gelassen werden.
Klimaschutz: Aus Anlass des in der nächsten Woche in Hamburg stattfindenden "JuWissDay 2022" befragt JuWissBlog (Ines Relling/Judith Sikora) Rechtsprofessorin Sabine Schlacke über die ihre hierfür geplante Keynote "Klimaschutz und Städte – Perspektiven des öffentlichen Rechts." Die Umweltrechtlerin spricht auch über die Bedeutung des Klimaschutz-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts und ihre richterliche Arbeit am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen.
Hitzefrei: Im Wirtschafts-Teil beschreibt die SZ (Kathrin Werner), worauf Arbeitgebende bei tropischen Temperaturen achten müssen, um die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu schützen. In keinem Fall hätten diese das Recht, wegen zu großer Hitze eigenmächtig blau zu machen, erinnert ein im Beitrag zu Rate gezogener Anwalt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 13. Juli 2022: . In: Legal Tribune Online, 13.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49028 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag