Der EP-Rechtsausschuss will am EuGH klären lassen, ob die Freigabe von EU-Fördergeldern für Ungarn rechtens war. Am OVG Münster hat die Verhandlung um die Einstufung der AfD begonnen. Auch das LAG Hessen billigte den jüngsten GDL-Streik.
Thema des Tages
EU/Ungarn - Rechtsstaat und EU-Gelder: Mit großer Mehrheit hat sich der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments dafür ausgesprochen, die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil sie im Dezember 10 Milliarden Euro Fördergelder an Ungarn freigegeben hat. Die EU-Kommission hatte die Freigabe mit rechtsstaatlichen Fortschritten in Ungarn begründet. Der Ausschuss ist jedoch der Auffassung, dass Ungarn die von der EU verlangten Fortschritte bei der Unabhängigkeit der Justiz noch nicht ausreichend umgesetzt hat. Stattdessen habe sich die Kommission von Ungarn erpressen lassen und die Gelder freigegeben, damit Ungarn nicht die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine blockiert. Tatsächlich verließ Ungarns Premierminister Victor Orban am Folgetag bei der entsprechenden Abstimmung über die Beitrittverhandlungen den Sitzungssaal, so dass ein einstimmiger Beschluss der EU-Staaten zustande kam. Einen Beweis für den Zusammenhang gibt es aber nicht. Deshalb sind die Erfolgsaussichten einer Klage fraglich. Ein Gutachten des juristischen Dienstes des EU-Parlaments betonte vorab, das EP habe die Beweislast, dass die Kommission bei ihrer Entscheidung "offenkundig" gegen Regeln verstoßen hat. Im EP-Rechtsausschuss stimmten dennoch 16 von 17 Abgeordneten für die Klage. Über die Einreichung der Klage muss nun EP-Präsidentin Roberta Metsola (EVP) entscheiden. Sie will sich am morgigen Donnerstag mit den EP-Fraktionsvorsitzenden beraten. Lehnt sie eine Klage ab, muss das EP-Plenum entscheiden. Es berichten FAZ (Thomas Gutschker), SZ (Josef Kelnberger) und Welt (Stefan Beutelsbacher).
Rechtspolitik
V-Leute: Vor der für den heutigen Mittwoch geplanten Kabinettsabstimmung begrüßt Ronen Steinke (SZ) in einem Kommentar den Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der den Einsatz von V-Leuten durch die Polizei in der Strafprozessordnung regeln will. Die konkrete Ausgestaltung folge Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für V-Leute beim Verfassungsgschutz und sei überfällig. Umso irritierender sei es, dass "jetzt Generalstaatsanwälte und sogar der Richterbund" Bedenken anmeldeten.
Bürokratieabbau/BEG IV: Ebenfalls zur Kabinettsabstimmung steht der Entwurf des vierten Bürokratieentlastungsgesetzes. Das Hbl (Heike Anger/Julian Olk) stellt die im Entwurf enthaltenen Regeln vor. So solle das Schriftformerfordernis bei zahlreichen Erklärungen auf ein Textformerfordernis "heruntergestuft" werden.
Cannabis: Die Bundesratsausschüsse für Gesundheit, Innen und Recht empfehlen, bei der Abstimmung über das Cannabisgesetz im Plenum des Bundesrats am 22. März den Vermittlungsausschuss anzurufen. Nur der Verkehrsausschuss votierte dafür, dass Gesetz unverändert passieren zu lassen. Die Landesinnenminister der Union prüfen derweil die Möglichkeit einer Klage gegen das Vorhaben beim Bundesverfassungsgericht. LTO berichtet.
Demokratieförderung: In einer aktuellen Stellungnahme hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages (WD) ausgeführt, dass der Bund keine Gesetzgebungskompetenz für das geplante Demokratieförderungsgesetz besitzt. Diese Schlussfolgerung wird aber in einem Gastbeitrag von Rechtsanwältin Eva Ricarda Lautsch auf LTO bestritten. Zwar sei die Frage – wie vom WD dargelegt - durchaus umstritten. Dieser habe aber zentrale Argumente aus anderen Gutachten schlicht ignoriert. Die nun beförderte Debatte über staatsorganisationsrechtliche Fragen verdränge die für eine liberale Demokratie wichtige Diskussion darüber, ob es politisch sinnvoll ist, wenn sich der Staat "durch ein Demokratieförderungsgesetz in den eigentlich staatsfreien Raum politischer Meinungsbildung" einmischt.
Plattformarbeit: Das Zustandekommen des im EU-Ministerrat erzielten Kompromisses über eine EU-Richtlinie zeichnet netzpolitik.org (Maximilian Henning) nach. Die Richtlinie sehe die Möglichkeit für Mitgliedstaaten vor, die Kriterien selbst zu bestimmen, nach denen Plattformarbeitende wie Angestellte zu behandeln sind. Jan Diesteldorf (SZ) kritisiert, dass die Richtlinie bei der Kompromissfindung entschärft wurde und fordert eine baldige Nachbesserung. Dagegen sei bemerkenswert, dass es europäische Mehrheiten offensichtlich auch ohne Frankreich und Deutschland, den Ländern mit den höchsten Stimmgewichten im Rat, geben kann.
Justiz
OVG NRW – Verdachtsfall AfD: Unter erheblichem Medieninteresse hat am Oberverwaltungsgericht Münster das Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz begonnen. Die AfD stellte zunächst Anträge auf Vertagung, wegen Befangenheit und auf Ausschluss der Öffentlichkeit, die vom Gericht aber alle abgelehnt wurden. Am heutigen Mittwoch soll die Verhandlung fortgeführt werden. Die AfD hat 210 Beweisanträge angekündigt. Das Gericht will sein Urteil am Verhandlungsende verkünden, nach Möglichkeit am heutigen Mittwoch. Es berichten SZ (Christoph Koopmann/Roland Preuß), FAZ (Friederike Haupt), Welt (Frederik Schindler), Tsp (Jost Müller-Neuhof), LTO (Markus Sehl) und beck-aktuell.
Die wichtigsten Fragen zum Verfahren und dessen möglichen Konsequenzen fasst eine Übersicht von tagesschau.de (Frank Bräutigam/Christoph Kehlbach) zusammen. LTO schreibt, dass mehr als hundert Mitarbeiter:innen der AfD-Bundestagsfraktion in Organisationen Mitglied sind, die von Verfassungsschutzämtern als rechtsextremistisch eingestuft werden.
Dies greift Alan Posener (Welt) in einem Kommentar auf. Die Partei wisse "nicht so recht, ob sie Rotkäppchen oder den Wolf spielen soll: Verfolgte Unschuld oder gefährliche Bestie." Es bleibe zu hoffen, dass "die Richter in Münster" dem Verfassungsschutz eine enge Überwachung der "unpatriotischen und demokratiefeindlichen Netzwerke" in der AfD gestatte. Paul Middelhoff (zeit.de) hat dagegen Bedenkenl, ob es angezeigt sei, "ausgerechnet diesem Verfassungsschutz" die Bestimmung des angemessenen Umgangs mit der Partei zu überantworten. Am rechtsextremen Charakter der Partei könne nach dem "Gebot der eigenen politischen Analyse" kein Zweifel bestehen. Auch Reinhard Müller (FAZ) meint, dass eine "inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD" nicht auf dem Rechtswege stattfinden soll. Die Partei schließe sich jedoch selbst vom "gemeinsamen Fundament von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" aus, wenn sie durch ihren stellvertrenden Vorsitzenden andeute, gerichtliche Entscheidungen womöglich nicht anerkennen zu wollen.
LAG Hessen zu GDL-Streik: Auch in der Berufungsinstanz am Hessischen Landesarbeitsgericht scheiterte der Bahn-Arbeitgeberverband AGV Move mit dem Versuch, den aktuellen Streik der Gewerkschaft GDL gerichtlich untersagen zu lassen. Das Gericht habe in seinem Beschluss die Zulässigkeit des sogenannten Wellenstreiks bejaht, schreiben beck-aktuell und LTO. Das dieser lediglich 22 bzw. 30 Stunden vor Beginn angekündigt worden war, hielt das Gericht "noch für angemessen."
EGMR zu Schächten: Im Februar entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass belgische Verbote des sogenannten Schächtens weder die Religionsfreiheit noch das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzen. Der Doktorand Timo Sewtz (JuWissBlog) zeichnet die Argumentation des Gerichts zur Religionsfreiheit nach und macht im besonderen auf den "procedural turn" des Gerichtshofs aufmerksam. Dieser habe statt einer klassischen Verhältnismäßigkeitsprüfung auf die Qualität des jeweiligen Gesetzgebungsverfahrens abgestellt und auf dieser Grundlage den staatlichen Ermessensspielraum als nicht übertreten eingestuft.
BGH zu Diebstahlsvollendung: In einem von beck-aktuell berichteten Beschluss von Mitte Februar erinnerte der Bundesgerichtshof an strafrechtliches Grundlagenwissen über die Vollendung einer Tat. Weil die von einer Diebesbande entwendeten Fahrzeuge einige Kilometer weiter entfernt geparkt wurden und sich damit außerhalb der Zugriffsmöglichkeiten der Eigentümer befanden, konnte sich ein später hinzugekommener Komplize an dem bereits vollendeten Diebstahl nicht mehr beteiligen. Seine Verurteilung hob der BGH auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Hamburg zurück.
BVerwG zu Diplom-Prüfung: Ein seit dem Wintersemester 2002/2003 in Kiel eingeschriebener Diplom-Chemiker in spe ist nun am Bundesverwaltungsgericht mit dem Versuch gescheitert, die per Satzung angeordnete Abschaffung der Diplom-Prüfung anzugreifen. Dem Kläger fehle es bereits an der Antragsbefugnis für das Normenkontrollverfahren, da er ohne Vordiplom überhaupt nicht zur Prüfung zugelassen worden wäre. beck-aktuell berichtet.
OVG NRW zu Präsidentenposten am OVG NRW: Der im Streit über die Besetzung des Präsidentenpostens am Oberverwaltungsgericht Münster unterlegene Bewerber ist nun auch mit einer Anhörungsrüge am gleichen Gericht gescheitert. Er hatte geltend gemacht, dass das OVG seine eidesstattliche Versicherung ungenügend berücksichtigt habe. Der Bewerber hat inzwischen eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Abweisung seiner Rüge erhoben. LTO berichtet.
LG München I – Nürnberger Bratwürste: Das Landgericht München I verhandelte über eine Klage des Schutzverbandes Nürnberger Bratwürste, der einem niederbayerischen Unternehmen vorwirft, den Eindruck erweckt zu haben, seine Bratwürste kämen aus Nürnberg. Der Kommentar von Timo Frasch (FAZ) weist auf eine zusätzliche Brisanz der Sache hin: die Konkurrenz zwischen dem fränkischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und seinem niederbayerischen Stellvertreter Hubert Aiwanger (FW).
LG Bonn – Cum-Ex/Olearius: Im Strafverfahren um mögliche Cum-Ex-Steuermanipulationen durch die Warburg-Bank hat die Verteidigung des angeklagten Christian Olearius die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen in Frage gestellt. Nach Auswertung mehrerer Terminkalender sei die Verteidigung zu dem Schluss gelangt, dass das von Belastungszeuge Kai-Uwe S. behauptete Treffen zwischen dem Angeklagten, dem Cum-Ex-Mastermind Hanno Berger und dessen früherem Mitarbeiter S. nur an einem Tag stattgefunden haben könne, an dem Letzterer einen Friseurtermin in London gehabt habe. FAZ (Marcus Jung) und SZ (Nils Wischmeyer) berichten.
LG Düsseldorf/LG München I – Wirecard-Insolvenz: Michael Jaffe, der Insolvenzverwalter von Wirecard, hat am Landgericht Düsseldorf eine Klage gegen zwei Versicherungen eingereicht, bei denen das Unternehmen eine Manager-Haftpflicht-Police abgeschlossen hatte. Mit einer Feststellungsklage will Jaffe klären lassen, ob eine Haftung besteht, erläutert die SZ (Friederike Krieger/Stephan Radomsky). In einem Parallelverfahren am Landgericht München I soll dagegen eine Organhaftung des frühren Wirecard-Vorstandes festgestellt werden. In einer ersten vorläufigen Einschätzung habe das Gericht mitgeteilt, dass ein "Verstoß gegen die Überwachungspflicht durchaus denkbar" sei.
AG Waren (Müritz) – Beleidigung von Drosten: U.a. wegen Beleidigung sind ein Mann und zwei Frauen am Amtsgericht Waren (Müritz) angeklagt. Sie sollen den Virologen Christian Drosten im Sommer 2022 auf einem Campingplatz in Gegenwart von dessen vierjährigem Sohn beschimpft und bedroht haben. spiegel.de (Jean-Pierre Ziegler) gibt die Vorwürfe der Anklages wieder. Im Falle der zwei Frauen habe das Gericht seine Einstellungsbereitschaft zu erkennen gegeben. Drosten selbst sei für den nächsten Verhandlungstag am kommenden Dienstag geladen.
Roland Rechtsreport: Zwei Drittel der im Auftrag der Roland Rechtsschutzversicherung Befragten haben angegeben, "sehr viel" bzw. "ziemlich viel" Vertrauen in deutsche Gerichte zu besitzen. Gleichzeitig ermittelte der nun veröffentlichte Roland Rechtsreport Kritik an bestimmten Aspekten der Rechtspflege. So bemängelten gut vier Fünftel der Befragten die Verfahrensdauer. Gründe für diesen scheinbaren Widerspruch sowie andere Ergebnisse der seit 2010 unternommenen Umfrage referiert LTO (Charlotte Hoppen).
Recht in der Welt
Dänemark – Cum-Ex/Shah: In Dänemark ist am vergangenen Montag das Strafverfahren gegen den britischen Banker Sanjay Shah eröffnet worden. Dem erst im vergangenen Dezember aus Dubai ausgelieferten Shah werden Cum-Ex-Manipulationen vorgeworfen, die den dänischen Staat um mehr als eine Millarde Euro geschädigt haben. Ein Urteil werde erst Mitte des nächsten Jahres erwartet, schreibt die SZ (Alex Rühle).
Juristische Ausbildung
Erstes Staatsexamen: beck-aktuell (Joachim Jahn) berichtet erneut über das "Hamburger Protokoll", das Vorschläge für eine Reform des Ersten Staatsexamens unterbreitet. Zwar sei die Staatsprüfung ein "im Ansatz egalitäres Instrument", heißt es in der Erklärung, erforderlich sei jedoch eine Reduzierung des Pflichtfachstoffes. Dieser solle teilweise bereits in studienbegleitenden Klausuren abgeprüft werden. Darüber hinaus solle der integrierte Jura-Bachelor bundesweit eingeführt werden.
Sonstiges
§ 175 StGB a.F.: Bei einer Veranstaltung des Bundesjustizministeriums wurde der Verfolgung schwuler Männer auf Grundlage des § 175 Strafgesetzbuch a.F. gedacht. Die SZ (Constanze von Bullion) stellt aus diesem Anlass Klaus Schirdewahn vor. Als Jugendlicher wurde Schirdewahn von einem Gericht zur Teilnahme an einer "Therapie" seiner Homosexualität gedrängt.
Resozialisierung: Der SWR-RadioReportRecht (Gigi Deppe) befasst sich mit der relativ hohen Rückfallquote von Häftlingen und diskutiert Mittel und Wege, diese zu senken.
Micky Maus: Der bevorstehende Ablauf des Urheberrechts der Disney Company für die "Ur-Ente" aus dem Jahr 1928 gibt Rechtsanwalt Lukas Mezger auf beck-aktuell Anlass, verschiedene Schutzkonzepte in den USA und Deutschland vorzustellen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 13. März 2024: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54089 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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