VG Köln sieht Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in der AfD. Es gibt keinen Strafprozess gegen den Fußballer Bakery Jatta. Der Generalbundesanwalt eröffnet ein Strukturermittlungsverfahren wegen der Ukraine-Invasion.
Thema des Tages
VG Köln zu Verdachtsfall AfD: Die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) war rechtens. Dies entschied nach zehnstündiger Verhandlung in einem angemieteten Saal der örtlichen Messe das Verwaltungsgericht Köln. Nach der mündlichen Urteilsbegründung seien "ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei" vorhanden, die hierzu vorgelegten Belege seien ausreichend. Moniert wurde vor allem ein ethnischer Volksbegriff von AfD-Politiker:innen, der nicht dem (an der Staatsbürgerschaft orientierten) Volksbegriff des Grundgesetzes entspreche. Damit ist eine Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln möglich. Auch die Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative, durfte als Verdachtsfall eingestuft werden. Dem BfV wurde es allerdings untersagt, den sogenannten "Flügel" um Björn Höcke als "gesichert rechtsextremistisch" zu bezeichnen, weil dessen Fortexistenz nach der formalen Auflösung im April 2020 nicht ausreichend feststehe. Zudem darf das BfV nicht mehr behaupten, der Flügel habe 7.000 Mitglieder, weil es hierfür keine ausreichenden Belege gebe. Zulässig war hingegen die Einstufung des Flügels als Verdachtsfall im Jahr 2019. Es berichten FAZ (Helene Bubrowski), SZ (Ronen Steinke), BadZ (Christian Rath), spiegel.de (Wolf Wiedmann-Schmidt), tagesschau.de (Frank Bräutigam), zdf.de (Samuel Kirsch/Julia Klaus) und LTO (Markus Sehl).
Ukraine–Krieg und Recht
GBA – Putin: Der Generalbundesanwalt hat wegen möglicher russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren eingeleitet. Dieses diene zunächst der Beweissicherung, berichten LTO und tagesschau.de (Michael-Matthias Nordhardt).
Russland – Völkerstrafrecht: Auf dem Verfassungsblog erklärt Stefanie Bock, Rechtsprofessorin, völkerstrafrechtliche Begrifflichkeiten. Deutschen Ermittlungen auf Grundlage des Völkerstrafgesetzbuches dürfte die absolute Immunität Wladimir Putins als Staatsoberhaupt im Wege stehen. Derartige Einschränkungen seien dem Römischen Statut als der Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofes aber fremd. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt der SWR RadioReportRecht (Bernd Wolf/Claudia Kornmeier).
Freistellung für Ukrainehilfe: Im Interview mit spiegel.de (Florian Gontek) erläutert Rechtsanwalt Ulrich Sittard, dass Arbeitnehmer:innen keinen gesetzlichen Anspruch auf Freistellung haben, um zum Beispiel mit Hilfskonvois in der Ukraine zu helfen. "Mein Rat wäre, konstruktiv das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen, dann findet man meist auch eine gute Lösung."
Rechtspolitik
Sondervermögen Bundeswehr: Die von der Bundesregierung angekündigte Schaffung eines Sondervermögens für die bessere Ausstattung der Bundeswehr hat Rufe nach der Modernisierung des Vergaberechts nach sich gezogen, konstatiert Rechtsanwalt Alexander Dörr im FAZ-Einspruch. Zwar sei eine Anpassung bei Details, etwa die Pflicht zur Unterteilung eines Großauftrages in mehrere kleine, durchaus sinnvoll, wenngleich allein auf nationaler Ebene kaum durchsetzbar. Grundsätzlich sei der Bundeswehr aber "eine umfassende Neustrukturierung der Beschaffungsprozesse" angeraten, der Autor nennt die Deutsche Bahn hier als geeignetes Beispiel.
Corona – Maßnahmen: Am 19. März laufen die geltenden Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus gesetzlich aus. Nach Darstellung des Hbl (Jürgen Klöckner) befindet sich die Regierungskoalition noch in der Entscheidungsphase bezüglich des weiteren Vorgehens. Ein Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes könnte aber schon in der kommenden Woche beraten und beschlossen werden. Christina Berndt (SZ) meint in einem Kommentar, dass die nun wieder steigenden Inzidenzen "keineswegs überraschend" kämen. Auch wenn die Aufmerksamkeit kriegsbedingt woanders liege, müsse klar sein, dass das Virus weiterhin da sei, "umso stärker, je mehr wir es lassen."
Justiz
AG Hamburg-Altona zu Bakery Jatta: Das Amtsgericht Hamburg-Altona hat die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen den HSV-Fußballprofi Bakery Jatta abgelehnt. Die Anklagebehörde habe keine "gerichtsverwertbaren Nachweise" der von ihr behaupteten Identitätsfälschung des Fußballers vorgelegt, schreibt die taz (Johannes Kopp). Selbst wenn Jatta mit dem zweieinhalb Jahre älteren und inzwischen verschwundenen gambischen Fußballer Bakary Daffeh identisch ist, könne es sein, dass sich Jatta in Gambia eine falsche Identität zulegte, um früher am Liga-Betrieb teilnehmen zu können. Matthias Brügelmann (bild.de) fordert in einem Kommentar Jatta auf, nun "seine wahre Geschichte" zu erzählen.
VGH BaWü zu Flüchtlingsunterkunft: Die Wohnräume einer Flüchtlingsunterkunft unterfallen dem Schutzbereich von Art. 13 Grundgesetz. Der jeweils zugewiesene Raum sei die einzig verbliebene Möglichkeit Betroffener, sich eine gewisse Privatsphäre zu schaffen und auszuleben, so ein nun veröffentlichtes, vor zwei Wochen verkündetes Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg. Die Hausordnung einer Flüchtungsunterkunft, nach der das Sicherheitspersonal unter bestimmten Voraussetzungen die Räume betreten durfte, ist rechtswidrig. Zwar seien Betretungsrechte auch mit Blick auf die Unverletzlichkeit der Wohnung grundsätzlich zulässig. Betroffene müssten aber erkennen können, wer wann mit welchem Ziel die Räume kontrollieren darf. LTO (Tanja Podolski) berichtet.
VG Köln zu NetzDG-Meldepflichten: Eine Analyse der FAZ (Katja Gelinsky) kommt im Recht und Steuern-Teil zum Schluss, dass Meldepflichten nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) "faktisch Geschichte" seien. In der vergangenen Woche hatte das Verwaltungsgericht Köln die Meldepflicht wegen eines Verstoßes gegen das unionsrechtliche Herkunftslandprinzip ausgesetzt. Die Entscheidung des VG sei eine Mahnung an den Gesetzgeber, "Schutzvorschriften in anderen Mediengesetzen mit Blick auf EU-Recht zu prüfen." Dies gelte etwa bezüglich des reformierten Jugendschutzgesetzes, das der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz eine Überwachung auferlegt.
In einem ausführlichen Hintergrund erläutert Rechtsprofessor Christian-Henner Hentsch auf LTO den mit der beanstandeten Regelung verfolgten Zweck und diskutiert die Notwendigkeit der NetzDG-Regelung angesichts des absehbaren Inkrafttretens der EU-Verordnung über digitale Dienste (digital services act).
LG Wiesbaden/LG Bonn – Cum-Ex/Hanno Berger: Auch das Landgericht Bonn hat seinen Strafprozess gegen den Cum-Ex-Konstrukteur Hanno Berger nun terminiert. Die dortige Hauptverhandlung starte am 4. April, schreibt das Hbl (Volker Votsmeier/René Bender). Der Termin sei aber offenbar ohne Abstimmung mit den hessischen Justizbehörden zustande gekommen. Am LG Wiesbaden gehe man davon aus, den mitgeteilten Verhandlungstermin am 12. April halten zu können. Bis dahin müsse sich allerdings ein neues Verteidigungsteam in rund 1.000 Seiten Anklageschrift und 200 Bände Ermittlungsakten einarbeiten.
LG Dresden – Einbruch ins Grüne Gewölbe: Im Verfahren am Landgericht Dresden beschrieb ein Polizist seine Eindrücke vom Tatort. Insbesondere hätten die Mitarbeiter des privaten Wachdienstes des Museums aus Angst nicht aktiv gehandelt, sondern sich versteckt, so spiegel.de.
Recht in der Welt
EuGH/Lettland - Sprachpolitik: Eine Regelung des lettischen Hochschulgesetzes, nach der ausschließlich in lettischer Sprache gelehrt werden darf, verstößt womöglich gegen Unionsrecht, gibt spiegel.de den Schlussantrag des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof wieder. Die Regelung schränke die Niederlassungsfreiheit für Hochschulen aus anderen Ländern ein. Dies könne zwar durch das Interesse gerechtfertigt werden, die lettische Sprache zu fördern. Dazu müssten aber andere Sprachen, insbesondere die Sprache der russischen Minderheit, nicht zwangsläufig eingeschränkt werden. Ob die Regelung verhältnismäßig sei, solle am besten der lettische Verfassungsgerichtshof beurteilen.
USA – Lynchjustiz: Ein nach dem Lynchjustiz-Opfer Emmett Till benanntes US-Bundesgesetz steht kurz vor dem Abschluss. Nach der noch vom Präsidenten zu unterschreibenden Regelung werden Lynchmorde und -justiz als Hassverbrechen eingestuft und mit einer langjährigen Haftstrafe sanktioniert, berichtet die FAZ.
Sonstiges
Kündigung von Sammelanderkonten: Die Bafin hat jüngst mit ihren an Kreditinstitute gerichteten "Auslegungs- und Anwendungsempfehlungen zum Geldwäschegesetz" für Aufregung in der Anwaltschaft gesorgt. Weil Geldwäsche im Zusammenhang von Immobiliengeschäften und bei Treuhand- und Anderkonten ein beliebtes Thema sei, sollten Banken derartige Konten besonders im Blick haben, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass Anwälte ihren diesbezüglichen Sorgfaltspflichten nachkämen. Rechtsprofessor Jens Bülte macht im Recht und Steuern-Teil der FAZ die Nationale Risikoanalyse als Urheberin für diese Einschätzung verantwortlich. Der Autor gibt zu bedenken, dass etwaigen Gefahren auch dadurch begegnet werden könne, dass zum Beispiel bestimmten Transaktionen auf Sammelanderkonten der "Risikolos-"Status entzogen wird.
Das Letzte zum Schluss
Geheimnisverrat: Am Londoner High Court muss sich der Sänger Ed Sheeran gegen den Vorwurf verteidigen, er habe seinen Megahit "Shape of You" abgekupfert. Als sein Verteidigungsteam den Song anspielen wollte, erklangen jedoch andere Klänge, nämlich ein bislang unveröffentlichter Song. Wegen dessen wohl unbeabsichtigter Preisgabe war der Sänger "sichtlich verwirrt", schreibt spiegel.de.
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lto/mpi
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Die juristische Presseschau vom 9. März 2022: . In: Legal Tribune Online, 09.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47764 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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