Trotz rechtlicher und vor allem faktischer Hürden wird weiter über Abschiebungen nach Afghanistan diskutiert. NRW will das Weisungsrecht gegenüber Staatsanwaltschaften eng begrenzen. Gegen Jens Maier läuft ein neues Disziplinarverfahren.
Thema des Tages
Abschiebung nach Afghanistan: Nach dem Messerattentat von Mannheim intensiviert sich die Diskussion über die Abschiebung von Straftäter:innen nach Afghanistan. Dabei stellen sich vor allem zwei Probleme: zum einen die gefährliche Lage in Afghanistan, die Abschiebungen aus Sicht des Auswärtigen Amts und vieler Gerichte aus rechtlichen Gründen unmöglich macht, zum anderen die fehlenden diplomatischen Beziehungen zur international nicht anerkannten Taliban-Regierung, die Abschiebungen nach Afghanistan praktisch unmöglich machen. Es berichtet u.a. FAZ (Mona Jaeger). zeit.de (Tilman Steffen/Michael Schlieben) und spiegel.de (Rasmus Buchsteiner/Anna Reimann) bringen Übersichten in Frage-und-Antwort-Form.
In einem Gastkommentar für die Welt spricht sich CDU-Generalsekretär und MdB Carsten Linnemann für einen Aktionsplan "Politischer Islam" aus, der "konkrete Maßnahmen" statt "Betroffenheitsrhetorik der Politiker" produzieren solle. "Ausreden", nach denen "Herkunftsländer ihre Leute nicht mehr zurücknehmen" wollten, könne Linnemann "nicht mehr hören. Man muss es nur wollen." Reinhard Müller (FAZ) schreibt im Leitartikel, dass "kriegerische Auseinandersetzungen und eine schwierige Sicherheitslage … nicht per se" Grund für Schutzgewährung und ebenso wenig "Grund, jemanden nicht zurück zu führen" sein könnten. Constanze von Bullion (SZ) hält eine Bestrafung von Mördern in Deutschland für richtig, statt diese straflos nach Afghanistan in die Freiheit abzuschieben. Dinah Riese (taz) macht geltend, dass die effektivste "Prävention" gegenüber Taten wie in Mannheim, Projekte für die Integration und psychosoziale Betreuung von Geflüchteten und deren "Demokratieerziehung", durch einen "sparwütigen" Finanzminister bedroht seien.
Rechtspolitik
Jumiko – Weisungsrecht gegenüber Staatsanwaltschaften: Bei der an diesem Mittwoch beginnenden Justizministerkonferenz soll die von Bundesminister Marco Buschmann (FDP) geplante Reform des Weisungsrechts gegenüber Staatsanwaltschaften beraten werden, die eine erhöhte Transparenz von Weisungen vorsieht. Dagegen zielt ein nordrhein-westfälischer Antrag auf eine strenge Begrenzung des Weisungsrechts, "die einer Abschaffung schon nahe" komme, wie LTO (Markus Sehl) schreibt. NRW will Weisungen nur noch bei erkennbaren Rechtsfehlern zulassen, nicht aber dort, wo Staatsanwälten ein Beurteilungs- oder Ermessenspielraum zusteht. Der Vorschlag werde bei der Jumiko wohl keine Mehrheit bekommen.
Jumiko – Schwangerschaftsabbruch: Die Länder Sachsen, Hamburg und Niedersachsen wollen auf der Jumiko die Reform des Abtreibungsrechts voranbringen. Ein entsprechender Beschlussvorschlag stützt sich auf die jüngsten Vorschläge einer Regierungskommission. Danach soll der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen legalisiert werden. LTO berichtet.
Hochwasser/Versicherung: Die Länder Thüringen und Brandenburg fordern eine Pflichtversicherung für Elementarschäden. LTO berichtet.
Rüdiger Soldt (FAZ) meint, dass zahlreiche Schutz- und Präventivmaßnahmen gegen Hochwassergefahren bereits umgesetzt seien. Dieses Tempo sei jedoch langsamer als "das Voranschreiten des Klimawandels". Nicht nachhaltig sei, beim Schutz der eigenen Immobilie letztlich "auf den zahlungskräftigen, helfenden Staat" zu vertrauen, statt selbst Vorsorge zu treffen.
Gewalt gegen Politiker:innen: Gegenüber Forderungen, Angriffe auf politisch Aktive unter besonderen strafrechtlichen Schutz zu stellen, mahnt Rechtsprofessor Michael Kubiciel auf dem Verfassungsblog zur gesetzgeberischen Zurückhaltung. Der Ansatz, auf einzelne Phänomene mit immer neuen Einzelfalltatbeständen zu reagieren, führe nicht weiter. Vorzugswürdig sei eine "Gesamtstrategie auf Grundlage einer umfassenden Gefahrenanalyse", bei der das Strafrecht wohl keine vorrangige Rolle spielen werde.
Finanzämter und beA: Im aktuellen Entwurf für das Jahressteuergesetz 2024 findet sich das explizit formulierte Verbot, anwaltliche Kommunikation mit Finanzämtern über das besondere elektronische Anwaltspostfach vorzunehmen. Dagegen protestieren u.a. die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Steuerberaterverband. Es berichtet beck-aktuell (Joachim Jahn).
Greenwashing: Weil das Vorhaben "zu einem unverhältnismäßigen Aufwand für die Unternehmen" führe, will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) der geplanten EU-Greenwashing-Richtlinie seine Unterstützung verweigern. Dies berichtet die FAZ (Katja Gelinsky).
Cannabis und Straßenverkehr: Bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags traf die von der Bundesregierung geplante Anhebung des THC-Grenzwerts im Straßenverkehr auf breite Zustimmung von Sachverständigen. Bedenken meldete allerdings die Deutsche Polizeigewerkschaft an. beck-aktuell berichtet.
In einem Interview mit der SZ (Christina Berndt) äußert der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der LMU München Kritik an der Anhebung. Wegen unterschiedlicher Wirkweisen könne der THC-Gehalt nicht mit der Blutalkoholkonzentration verglichen werden.
Cannabis: Die von der Bundesregierung geplanten Anpassungen des Konsumcannabisgesetzes waren Thema einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags, über die ein weiterer Beitrag von beck-aktuell berichtet. So habe die Bundesarbeitsgemeinschaft Cannabis-Anbauvereinigungen Befürchtungen über die Arbeitsfähigkeit ihrer Mitglieder geäußert. Die Neue Richtervereinigung mahnte an, den Rechtsbegriff der "nicht geringen Menge" gesetzlich zu definieren.
Justiz
Ex-Richter Jens Maier: Gegen den im einstweiligen Ruhestand befindlichen Richter und Ex-AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier ist seitens des sächsischen Justizministeriums ein erneutes Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Unmittelbarer Anlass ist, dass Maier in seiner Bewerbungsrede für das Schiedsgericht der sächsischen AfD den Text eines im Liederbuch der SS enthaltenen Liedes zitierte. Gegenüber bild.de (Bernhard Schilz) bezeichnete Maier die Ankündigung als Versuch, "Beamte, die in der AfD aktiv sind, einzuschüchtern."
BVerfG zu Auslieferung bei Selbstmordgefahr: Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines Türken stattgegeben und festgestellt, dass Auslieferungsbeschlüsse des Oberlandesgerichts Braunschweig dessen Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt haben. Das OLG hatte der Auslieferung des Mannes trotz eines Selbstmordversuches und weiterhin wohl bestehender Suizidalität zugestimmt und dabei auf eine sachverständige Begutachtung verzichtet. Es berichtet LTO (Joschka Buchholz).
OLG München zu beA-Zugang: beck-aktuell berichtet über einen Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts München, in dem die Verwerfung einer Berufung wegen Fristversäumnis angekündigt wurde. Trotz Aufforderung hatte der berufungsführende Anwalt sein beA-Nachrichtenjournal nicht vorgelegt und somit auch nicht nachvollziehbar erklären können, warum die erstinstanzliche Entscheidung erst zwei Wochen nach Versand abgerufen wurde.
OVG Berlin-BB zu Auskunftsanspruch/Kanzleramts-Gutachten: Ein Gutachten des Bundeskanzleramts bleibt unveröffentlicht, in dem die Zulässigkeit eines Bundestagsuntersuchungsausschusses über Verbindungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Cum-Ex-belasteten Warburg-Bank bezweifelt wurde. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wies einen anderslautenden Eilantrag nun rechtskräftig ab. Dies berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof) in eigener Sache. Anders als die Vorinstanz erkannte das OVG eine mögliche Verletzung des absolut geschützten Kernbereichs der Exekutive durch eine Veröffentlichung.
LG Karlsruhe – Radio Dreyeckland: Im Strafverfahren um die Unterstützung der verbotenen Plattform linksunten.indymedia durch einen Link fanden die Plädoyers statt. tazblog.de (Detlef Georgia Schulze) setzt sich vor allem mit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft auseinander, die einräumte, dass am morgigen Donnerstag wohl mit einem Freispruch des angeklagten Journalisten zu rechnen ist.
FG Hessen zu Cum-Ex/Kapitalertragsteuer: Die FAZ (Marcus Jung) weist auf einen erst jetzt veröffentlichten, bereits im Juli 2023 ergangenen Beschluss des Hessischen Finanzgerichts hin, nach dem eine Kapitalertragsteuer nur dann anrechnungsfähig sei, wenn sie tatsächlich vom Fiskus einbehalten wurde. Der oder die Steuerpflichtige muss den Einbehalt nachweisen. Im zugrundeliegenden Fall sei dies wegen Cum-Ex-bedingter Leerverkäufe nicht möglich gewesen.
VG Potsdam zu Einreiseverbot Martin Sellner: taz.de (Christian Rath) und LTO (Maryam Kamil Abdulsalam) berichten über die Begründung des Verwaltungsgerichts Potsdam, das vorige Woche in einem Eil-Beschluss das von der Stadt Potsdam verhängte Einreiseverbot gegen den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner aufhob. Weil EU-Bürger:innen grundsätzlich in der EU Freizügigkeit genießen, seien Ausnahmen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung eng auszulegen. In der Regel müsse ein Einreiseverbot mit drohenden schweren Straftaten begründet werden. Dass Sellner verfassungsfeindliche Ideologie verbreitet, genüge nicht.
VG Berlin – Spende an die CDU: Mit einer am Verwaltungsgericht Berlin erhobenen Klage will die Partei Die PARTEI die Bundestagsverwaltung verpflichten, eine an die CDU geflossene Großspende als rechtswidrig einzustufen. Ein Immobilienunternehmer hatte der CDU 2020 mehr als 800.000 Euro gespendet und hieran Bedingungen geknüpft. LTO berichtet.
AG Hannover – Lars Windhorst: Weil der Unternehmer Lars Windhorst seiner Mitwirkungspflicht in einem Insolvenzantragsverfahren nicht nachgekommen ist, hat das Insolvenzgericht am Amtsgericht Hannover einen Haftbefehl gegen ihn erlassen, berichtet LTO. Die SZ (Saskia Aleythe) schreibt, dass sich Windhorst nach dem verpassten Termin am 22. April mit dem Gericht auf einen neuen, nicht mitgeteilten Termin verständigt habe. Daraufhin wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Das Insolvenzverfahren betrifft eine zahlungsunfähige Tochterfirma, als deren faktischer Geschäftsführer das Gericht den Unternehmer ansieht. Windhorst bestreitet, dass er faktischer Geschäftsführer ist und hält sich daher auch nicht für auskunftspflichtig.
StA Essen – AfD-Parteitag: Die AfD hat Strafanzeigen u.a. gegen den Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) erstattet. Hintergrund ist laut zeit.de eine Forderung der Stadt nach Abgabe einer "schriftlichen strafbewehrten Selbstverpflichtung", beim Ende Juni in Essen stattfindenden AfD-Bundesparteitag keine strafbaren Äußerungen zu tätigen. Sollte die Erklärung nicht abgegeben werden, wolle die Stadt den geschlossenen Mietvertrag kündigen. Die AfD lehnt die Abgabe einer solchen Selbstverpflichtung ab.
Recht in der Welt
IStGH – Krieg in Gaza: Im FAZ-Einspruch widerspricht der Doktorand Tjorben Studt der Auffassung, Deutschland treffe keine völkerrechtliche Verpflichtung, Benjamin Netanjahu im Falle eines gegen ihn erlassenen Haftbefehls auszuliefern.
EGMR – Driftback: Senior Research Fellow Constantin Hruschka weist auf beck-aktuell auf zwei am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängige Verfahren hin, in denen sogenannte Driftbacks zur Verhandlung stehen. Die Beschwerdeführenden machen geltend, unter Ignorierung ihrer Asylgesuche von griechischen Beamten auf ein Schlauchboot gezwungen worden zu sein.
Niederlande – Erdgasbohrungen: Nach Eilrechtsanträgen unter anderem deutscher Umweltverbände hat das Oberste Gericht der Niederlande geplante Erdgasbohrungen in der Nähe von Wattenmeerinseln in der Nordsee vorläufig gestoppt. Die diesbezüglich ergangenen Genehmigungen waren erst kürzlich nachgebessert worden. zeit.de berichtet.
USA - Hunter Biden: Vor einem Strafgericht in Wilmington (Delaware) begann der Prozess gegen Hunter Biden, den 54-jährigen Sohn von US-Präsident Joe Biden. Hunter Biden wird vorgeworfen, vor sechs Jahren trotz Drogensucht einen Colt gekauft und elf Tage lang besessen zu haben. Die SZ (Peter Burghardt) berichtet.
USA – Originalismus: Die US-amerikanische Verfassungsauslegung wird vom sogenannten Orginalismus dominiert, dem v.a. vom verstorbenen Supreme Court-Richter Antonin Scalia vertretenen Ansatz, die Verfassung nach dem Verständnis ihrer Entstehungszeit zu interpretieren. Die Anhänger dieser Methode berufen sich gern auf das nach Richterin Elena Kagan benannte Kagan-Diktum, nach dem mittlerweile "alle Originalisten" seien. In einer "quellenkritischen Fallstudie" legt die FAZ (Patrick Bahners) in ihrem Geisteswissenschaften-Teil dar, dass das Zitat üblicherweise unvollständig wiedergegeben wird und die Verwendung Ausdruck von Kagans Autorität ist.
Sonstiges
AfD-"Abschiebekalender": Laut spiegel.de hat CLIA Deutschland, die nationale Vertretung des Internationalen Verbandes der Kreuzfahrtbranche, die AfD-Stadtratsfraktion des brandenburgischen Senftenberg zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert und die Prüfung von Schadensersatzforderungen mitgeteilt. Die Fraktion hatte in einem sogenannten "Abschiebekalender" ausländerfeindliche Parolen über die Bilder real existierender und identifizierbarer Kreuzfahrtschiffe gedruckt.
Protest in Hochschulen: In einem Gastbeitrag für den Forschung und Lehre-Teil der FAZ beschreibt der frühere Universitäts-Präsident Dieter Lenzen wie sich die Politik häufig unter (unpassendem) Verweis auf die Wissenschaftsfreiheit um Entscheidungen zum Umgang mit Protesten in Universitäten drücke. Der Autor empfiehlt den Hochschulleitungen: "Man schreibe dem vorgesetzten Minister/Senator/Staatssekretär oder ihren Kolleginnen eine Nachricht mit der Bitte um eine Dienstanweisung. Dann befindet sich der Kasus wieder in dem System, wo er hingehört, dem der Politik. Ministerialbürokratien finden das sehr unangenehm."
Praxishandbuch/Plagiat: Der Verlag De Gruyter hat ein am Ende des vergangenen Jahres veröffentlichtes Praxishandbuch "Recht der Fintechs" wegen Plagiaten in mehreren Kapiteln gestoppt und zurückgerufen. Die Plagiatsermittlungen gehen auf Untersuchungen von Rechtsprofessor Benjamin Lahusen zurück, berichtet beck-aktuell (Joachim Jahn).
Frauen-Strafvollzug: Der SWR-RadioReportRecht (Susanna Ott) widmet sich in dieser Woche dem Thema Frauengefängnisse und spricht mit einem Anstaltsleiter und der Rechtsprofessorin Rita Haverkamp.
Das Letzte zum Schluss
Anwalt und Zahnärztin: Angehörige freier Berufe können recht ordentlich verdienen. Einem nun vom Landgericht Mönchengladbach zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilten Mann gelang es so, einer Zahnärztin im Rahmen einer vermeintlichen Liebesbeziehung über vier Jahre hinweg insgesamt 765.000 Euro abzuschwatzen. Als vermeintlich erfolgreicher Anwalt sei er wegen persönlicher Schicksalsschläge unverschuldet in eine finanzielle Notlage geraten. Das Gericht wertete dies jetzt als mehrfachen Betrug. spiegel.de berichtet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 5. Juni 2024: . In: Legal Tribune Online, 05.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54699 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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