Der EGMR setzt eine Abschiebung von Österreich nach Afghanistan aus. Als Folge des BGH-Grundsatzurteils in Sachen Cum-Ex wird keine Welle von Anlegerklagen gegen Banken erwartet. Am LG Kiel endet das Verfahren gegen den Besitzer eines Wehrmachtspanzers.
Thema des Tages
EGMR zu Abschiebung nach Afghanistan: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat per einstweiliger Verfügung in einem Eilverfahren die Abschiebung eines Mannes von Österreich nach Afghanistan gestoppt. Grund sei die prekäre Sicherheitslage. Österreich soll die Abschiebung vorerst bis Ende August aussetzen. Es berichten spiegel.de und die SZ.
Rechtspolitik
Datenschutz und Einwilligung: Richter Malte Engeler schreibt auf netzpolitik.org über das datenschutzrechtliche Problem der Einwilligung. Dass deren Erteilung auch heute noch oft mit Datenschutz gleichgesetzt werde, sei dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983 geschuldet. Das damalige Abstellen auf eine individuelle Entscheidungsmacht über die Benutzung von Daten ignoriere den technischen Wandel der vergangenen 40 Jahre und werde dem strukturellen Ungleichgewicht zwischen datenverarbeitenden Unternehmen und ihren – auf Dienste oftmals schlicht angewiesenen – Kund:innen nicht gerecht. In solchen Fällen sei es erforderlich, Einwilligungen als Rechtsgrundlage für Datenverarbeitungen gesetzlich auszuschließen.
Corona – Beschränkungen: Über den staatlichen Umgang mit der Corona-Pandemie räsoniert aus verfassungsrechtlicher Perspektive Rechtsprofessor Hinnerk Wißmann auf dem Verfassungsblog. Durch das mittlerweile breite Impfangebot habe der Staat seiner Schutzpflicht in sowohl kollektiver als auch individueller Hinsicht genügt. Damit wäre es "aus Gründen des Gleichheitssatzes wie der Verhältnismäßigkeit zumindest notwendig", sich von der Fixierung auf Inzidenzen zu lösen, "auch wenn dies Arbeit macht". Unter diesen geänderten Umständen ließen sich auch allgemeine Beschränkungsmaßnahmen kaum noch rechtfertigen.
Corona – Impfpflicht: Im Leitartikel meint Reinhard Müller (FAZ), dass eine Impfpflicht grundsätzlich möglich sei. Tatsächlich sei es verfassungsrechtlich geboten, Geimpfte anders zu behandeln als Ungeimpfte, dies dürfe selbstverständlich nicht zu einer gesellschaftlichen Isolierung Letzterer führen. Pflicht des freiheitlichen Staates müsse es aber sein, Skeptiker:innen zu überzeugen.
Wiederaufbauhilfe: Bei einem gemeinsamen Auftritt im hochwassergeschädigten Stolberg/Rheinland kündigten die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) finanzielle Aufbauhilfen für betroffene Regionen an. Entsprechendes solle in einem Bundesgesetz geregelt werden, über das der Bundestag am 7. September in seiner letzten Sitzung vor der Wahl beraten solle. Die SZ (Nico Fried/Jana Stegemann) berichtet.
Lieferketten und Menschenrechte: Rechtsprofessor Kai Ambos veröffentlicht auf Verfassungsblog neun Thesen zum sogenannten Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz nach dessen parlamentarischer Verabschiedung. Anders als gemeinhin beschrieben, lege das Gesetz keine Erfolgshaftung betroffener Unternehmen fest, vielmehr deren Bemühenspflicht. Daneben hätten die vom Bundestag herbeigeführten Änderungen nun auch dazu geführt, eine zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des Gesetzes explizit auszuschließen.
Justiz
BGH zu Cum-Ex: Nach dem in der vergangenen Woche ergangenen Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zur Strafbarkeit von steuerrechtlichen Cum-Ex-Tricksereien dürfte sich der Staat "bei konsequenter Verfolgung seiner Ansprüche" über weitere Einnahmen durch die Einziehung von Taterträgen freuen. Eine Welle von Anlegerklagen gegen beteiligte Banken sei dagegen nicht zu erwarten, mutmaßt Rechtsanwalt Christoph Meyer auf LTO, weil die komplexen Cum-Ex-Geschäfte nur für besonders vermögende Anleger in Frage kamen. Auch dürfte kein Anspruch auf den Ersatz von Steuerzahlungen bestehen, die entgegen der Cum-Ex-Planung letztlich doch beim Staat blieben.
Über die Einziehung von Cum-Ex-Taterträgen schreiben auch Rechtsanwalt Steffen Hörner und Rechtsreferendar Carsten Schreiner im Recht und Steuern-Teil der FAZ.
LG Kiel zu Wehrmachtspanzer: Die mehrjährige Auseinandersetzung über die Strafbarkeit des Besitzes eines Wehrmachtspanzers und anderer Weltkriegsmemorabilia endete am Landgericht Kiel mit einer Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Auf Grundlage einer zuvor erzielten Verständigung muss der 84-jährige Waffensammler den Panzer und andere sichergestellte Gegenstände an ein Museum verkaufen, auf eigene Entschädigungs- und Rückgabeforderungen verzichten und 250.000 Euro zahlen. LTO berichtet.
BVerfG zu Kulturgutschutzgesetz: Beschwerdeführende Kunst- und Antiquitätenhändler sowie Auktionshäuser sind mit dem Versuch gescheitert, Bestimmungen des Kulturgutschutzgesetzes für verfassungswidrig erklären zu lassen. LTO schreibt, dass das Bundesverfassungsgericht die gegen das 2016 in Kraft getretene Gesetz erhobenen Beschwerden als unzulässig abwies. Für die Auslegung von Begrifflichkeiten wie "zumutbarer Aufwand" oder "Ausfuhrverbot mit Genehmigungsvorbehalt" seien zunächst die Fachgerichte zuständig.
OVG Nds zu Corona-Beschränkungen: LTO berichtet über einen Eilentscheid des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, nach dem die Schließung von Diskotheken, Clubs und Bars als unverhältnismäßig aufgehoben wurde. Die in der Landesverordnung für die Schließung genannten Inzidenzwerte seien willkürlich gewählt und angesichts des Impffortschritts auch nicht mehr hinreichend aussagekräftig.
LG Wiesbaden/LG Bonn – Cum-Ex/Hanno Berger: Erneut berichtet die SZ (Klaus Ott u.a.) über die Chancen des in der Schweiz auf Grundlage zweier Haftbefehle der Landgerichte Wiesbaden und Bonn in Auslieferungshaft befindlichen Hanno Berger. Offenbar seien die von deutschen Ermittlern gegen den früheren Steueranwalt präsentierten Vorwürfe "so erdrückend, dass sie selbst die Schweizer Behörden überzeugt haben". Berger solle seinen Geldgeber:innen den unrechtmäßigen Charakter der von ihm propagierten Steuererstattungsmodelle verschwiegen haben. Speziell der Vorwurf der Täuschung von Investoren wiege in der Schweiz schwer.
AG Augsburg zu Kinderpornographie bei Richter: Die vergleichsweise milde Bestrafung eines früheren Richters, der wegen des Besitzes von Kinderpornographie – auch solcher, die er sich aus Verfahrensasservaten kopierte – auf Grundlage eines Strafbefehls vom Amtsgericht Augsburg zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, wird von Anette Dowideit (Welt) als "Kumpel-Justiz" kritisiert. "Gerade im juristischen Hardliner-Land Bayern" seien auch schon vor der jüngsten Gesetzesverschärfung regelmäßig Anklagen erhoben worden. Auf bild.de (Oliver Grothmann/Jörg Völkerling) wird die Kritik des Anwalts Nicolas Frühsorger dargestellt, der ebenfalls kritisiert, dass es hier nur einen Strafbefehl und keine mündliche Verhandlung gab. Es sei "ein Skandal, dass die Justiz diesen Schandfleck aus den eigenen Reihen öffentlichkeitsscheu zu schützen und zu verbergen versucht hat". Auch Udo Vetter (lawblog) zeigt sich irritiert. Angesichts der schieren Menge des sichergestellten Materials entspreche eine Geldstrafe "schon viereinhalb Richtigen im Lotto".
Recht in der Welt
Israel – Ostjerusalem: In einem vor dem Obersten Gericht Israels ausgetragenen Streit über die Enteignung von Palästinensern, die Häuser in einem Ostjerusalemer Viertel bewohnen, könnte sich eine Einigung abzeichnen. Die taz (Marina Klimchuk) berichtet, dass das Gericht den Parteien einen Vergleich vorschlug, nach dem die Bewohner eine jüdische Siedlerorganisation als Vermieter anerkennen sollten und die Palästinenser dafür einen geschützten Mieterstatus erhalten, der sie vor Zwangsräumungen schütze.
Sonstiges
EU-Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil: Der SWR RadioRechtReport (Gigi Deppe/Klaus Hempel) geht in dieser Woche vertieft auf das laufende Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank ein. Der Bundesregierung ist von der Kommission eine Ende der nächsten Woche ablaufende Frist gesetzt worden, um zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Geschlechtergerechte Sprache: In einem Gastbeitrag für zeit.de kommt Volker Boehme-Neßler, Rechtsprofessor, zu dem Schluss, dass die Formulierung von Gesetzen in geschlechtergerechter Sprache verfassungsrechtlich "erlaubt" sei, eine diesbezügliche Pflicht aber wohl nicht bestehe. Somit verbliebe es bei "einer politischen Entscheidung".
Christian Deckenbrock: Im Small Talk von LTO-Karriere (Franziska Kring) spricht Christian Deckenbrock über seine Arbeit als Akademischer Rat am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht, bei der das anwaltliche Berufsrecht im Mittelpunkt steht. Als Ausgleich ist Deckenbrock in seiner Freizeit als Hockey-Schiedsrichter international tätig und übt bei den Olympischen Spielen in Tokio das Amt eines Technischen Offiziellen mit Verantwortung für den reibungslosen Ablauf des Hockeyturniers aus.
Greenwashing: Die Rechtsanwälte Oliver Stegmann und Jakob Kunert machen im Recht und Steuern-Teil der FAZ auf Fallstricke für Unternehmen aufmerksam, die sich mit sogenanntem Greenwashing ein besonders umweltfreundliches Image geben wollen. So habe die Wettbewerbszentrale Frankfurt bislang ein rundes Dutzend Unternehmen wegen Aussagen zu angeblicher Klimaneutralität abgemahnt. Wer seine Produkte mit einer "klimaneutralen Produktion" anpreise, müsse auch erläutern, auf welche Weise diese gewährleistet wird und ob hierfür etwa CO2-Zertifikate erworben wurden.
Das Letzte zum Schluss
Alter schützt vor Torheit nicht: Das Auffliegen eines Drogenhändlerrings in Portugal, der in großem Maße Kokain aus der Dominikanischen Republik auf den Weg zu europäischen Endverbraucher:innen verbracht haben soll, gehört zu den Standardmeldungen aus dem Bereich der Rauschgiftkriminalität und ihrer Bekämpfung. Besonders an dem von spiegel.de berichteten Fall dürfte dagegen das Alter der mutmaßlichen Chefin der Bande sein. Die "Drogenbaronin" ist 79.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
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Die juristische Presseschau vom 4. August 2021: . In: Legal Tribune Online, 04.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45639 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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