In der Silvesternacht wurden Polizisten und Feuerwehrleute mit Böllern angegriffen. Ist die Herkunft der Täter wichtig? Michael Ballweg bleibt länger als sechs Monate in U-Haft. Der EGMR urteilt weiterhin gegen Russland.
Thema des Tages
Angriffe auf Einsatzkräfte: Die Debatte um die Folgen der Silvesternacht dreht sich zunehmend um die überwiegend migrantische Herkunft der jungen Männer, die Einsatzkräfte mit Feuerwerkskörpern angriffen. Laut Jasper von Altenbockum (FAZ) sind Forderungen nach einem Böllerverbot oder Strafverschärfungen lediglich das Ergebnis einer "Flucht aus der Ursachenforschung in die Tabuzonen der Republik." Es werde unzulässig relativiert, wenn nicht der "Minderheit der Kriminellen", sondern der Gesellschaft die Verantwortung für Ausschreitungen übertragen werde. Constanze von Bullion (SZ) kommentiert, dass "Deutschland die Silvesterrandale" mit "schlafwandlerischer Sicherheit" zu einer Migrationsdebatte umfunktioniert habe. Wenn erst "der Pulverdampf über Neukölln und Marxloh verraucht" sei, werde es wieder "überlasteten Lehrerinnen und Quartiersmanagern überlassen", sich mit "dem ganzen Schlamassel objektiver Benachteiligung" auseinander zu setzen.
In ihrem "Aktuellen Lexikon" erklärt die SZ (Ronen Steinke) § 115 Strafgesetzbuch, der seit 2017 den tätlichen Angriff auf u.a. Hilfeleistende der Feuerwehr in jedem Fall mit einer Freiheitsstrafe bedroht.
In einer Analyse der Polizeilichen Kriminalstatistik kommt zeit.de (Manuel Bogner) zur Einschätzung, dass die 2017 ebenfalls erfolgte Neufassung von § 114 StGB nicht die beabsichtigte "Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten" erzielte. In den Jahren bis 2021 seien die registrierten Taten sogar gestiegen. Und nur in etwa jedem zehnten Fall habe ein Ermittlungsverfahren auch zu einem Strafurteil geführt, häufig konnten keine konkreten Verdächtigen ermittelt werden oder ihnen konnte die Tat nicht nachgewiesen werden. In lediglich sieben Fällen sei Haft von mehr als drei Jahren verhängt worden.
Rechtspolitik
Video-Verhandlungen: In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ begrüßen die Rechtsanwälte Maximilian Bülau und Matthäus Mogendorf den im November von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vorgelegten Gesetzentwurf zur Förderung des virtuellen Zivilprozesses mit der Einschätzung "besser spät als nie." Auch nach dem Entwurf bestehe die Möglichkeit, an mündlichen Verhandlungen in Person teilzunehmen, Verhandlungen im "Hybridformat" hätten aber ihre Unzulänglichkeit bereits hinreichend bewiesen. Demgegenüber stünden Erfahrungen aus anderen Ländern und dem Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit mit vollvirtuellen Verhandlungen, die sich "bestens bewährt" hätten.
Finanzberatung: Die EU-Kommission will noch im ersten Quartal des neuen Jahres ihre Kleinanlegerstrategie vorstellen, zu der wohl auch der Vorschlag eines Provisionsverbots gehören wird. Gegen Provisionen spricht, dass sie Anreize bieten, möglichst teure Produkte zu vermitteln. Die Alternative wären pauschale Honorare für die Finanzberater. Verbraucherschutzverbänden befürworten ein Provisionsverbot, während es auf heftigen Widerstand von Berufsverbänden stößt. Das Hbl (Carsten Volkery) berichtet.
Justiz
OLG Stuttgart zu Michael Ballweg: Der Initiator der "Querdenken"-Bewegung, Michael Ballweg, bleibt nach Anordnung des Oberlandesgerichts Stuttgart auch über die grundsätzliche Frist eines halben Jahres hinaus in Untersuchungshaft. Zwar ermittle die Staatsanwaltschaft mittlerweile nur noch wegen des Verdachts des versuchten Betruges und der versuchten Geldwäsche gegen Ballweg. Ein dringender Tatverdacht bestehe jedoch weiterhin, auch seien die Ermittlungen mit der gebotenen Beschleunigung zügig geführt worden, so das OLG laut LTO.
BGH zu beA-Nutzungspflicht: Auch Insolvenzverwalter müssen für ihre Prozesserklärungen das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) nutzen – wenn sie als Anwälte zugelassen sind. Soweit es hierbei zu Ungleichbehandlungen gegenüber nichtanwaltlich tätigen Verwaltern komme, seien diese durch die mit der Nutzung des beA verbundenen Vorteile ausgeglichen, so der Bundesgerichtshof im einem nun veröffentlichten Beschluss von Ende November. Die auf einem Vergütungsstreit beruhende Entscheidung setze die extensive, auf das Auftreten nach außen abstellende Linie der bisherigen Rechtsprechung fort, so LTO (Martin W. Huff).
BSG in 2022: LTO (Tanja Podolski) fasst neun wichtige Entscheidungen des Bundessozialgerichts aus dem letzten Jahr zusammen. Es geht u.a. um die Voraussetzungen einer Entschädigung für überlange Sozialprozesse, die Sozialversicherungspflicht von anwaltlich tätigen Gesellschafter-Geschäftsführern und einen – verneinten – Arbeitsunfall bei einem betrieblichen Fußballspiel.
LG Leipzig – "Kinderzimmerdealer": Der nächste Strafprozess gegen den als "Shiny Flakes" oder auch als "Kinderzimmerdealer" bekanntgewordenen 27-Jährigen ist vom Landgericht Leipzig wegen Platzproblemen auf den 23. Januar verschoben worden. Dem Angeklagten – der in einer anderen Sache bereits 2015 zu einer mehrjährigen Jugendstrafe verurteilt wurde - und vier Mitangeklagten wird auch nun wieder Rauschgifthandel in erheblichem Umfang vorgeworfen. LTO berichtet.
AG Weinheim zu unrichtiger Maskenbefreiung: Eine 59-jährige Ärztin ist vom Amtsgericht Weinheim wegen des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Nach Auffassung des Gerichts stellte die Ärztin in mehr als 4.000 Fällen Atteste für die Befreiung von der Maskenpflicht aus, ohne die Betreffenden untersucht zu haben. Das Motiv der Frau sei deren politische Einstellung gewesen, so LTO. Verteidigt wurde sie von Anwältin Beate Bahner, ihrerseits "bekannte Kritikerin der Corona-Politik."
Klagen gegen Tesla: manager-magazin.de (Claas Tatje) stellt den Anwalt Christoph Lindner vor, der mit seiner Kanzlei fast nur Tesla-Kunden gegen das Unternehmen vertritt. Dabei gehe es u.a. um Lackschäden, Autopilot-Probleme und fehlende Sensoren. Zunehmend werde auch bemängelt, dass die Batterie nicht die versprochene Reichweite gewährleiste.
Recht in der Welt
EGMR – Russland: Auch nach dem Ende der russischen Mitgliedschaft im Europarat sind am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte noch mehr als 17.000 russische Fälle anhängig. Aus mehr als 1.800 bereits ergangenen Urteilen muss die Russische Föderation noch gut zwei Millionen Euro Entschädigung zahlen. Diese Zahlen nennt die SZ (Wolfgang Janisch) und erinnert daran, dass die Menschenrechtskonvention den Austritt mit einer sechsmonatigen Kündigungsfrist verbindet. Fälle werden demnach mit einem zeitlichen Bezug bis zum 16. September weiter angenommen. Auch wenn die Vollstreckung von Urteilen derzeit nicht absehbar sei, verschafften sie den erfolgreich klagenden russischen Akteuren doch oft eine Genugtuung.
Österreich – Tagesspiegel-Journalist: Das Oberlandesgericht Wien hat eine erstinstanzliche Verurteilung des Online-Mediums exxpress.at zu einer Schadenersatzzahlung wegen übler Nachrede bestätigt und nur die Höhe reduziert. Das Portal hatte wahrheitswidrig behauptet, der deutsche Journalist Sebastian Leber (Tagesspiegel) sei in Kroatien als Schlepper tätig gewesen. Die SZ (Cathrin Kahlweit) berichtet in ihrem Medien-Teil.
Ukraine – Banksy-Graffito: Die Kiewer Generalstaatsanwaltschaft hat nach Bericht der SZ (Philipp Riessenberger) Anklage gegen den mutmaßlichen Dieb eines Banksy-Wandbildes erhoben. Der Mann sei während der Tat beobachtet, das Kunstwerk sichergestellt worden. Wegen des geltenden Kriegsrechts drohen ihm bis zu zwölf Jahre Haft.
Mexiko – Oberster Gerichtshof: Als erste Frau ist Norma Lucia Pina zur Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs Mexikos gewählt worden. Die taz (Wolf-Dieter Vogel) stellt die Verfassungsrechtlerin in einem Porträt vor.
Indien – Bargeldentzug: Der höchst umstrittene, 2016 durch die indische Regierung verfügte Bargeldentzug war nach jetzt bekanntgegebener Entscheidung des Obersten Gerichts Indiens rechtmäßig. Ohne Vorankündigung wurden damals 86 Prozent des im Umlauf befindlichen Bargelds eingezogen, erinnert die FAZ (Christoph Hein). Die Begründung für diesen Schritt sei mehrfach verändert worden. Jedenfalls habe aber die Regierung vor der Entscheidung die Notenbank konsultiert und damit im Einklang mit ihren Kompetenzen gehandelt.
Das Letzte zum Schluss
Business Opportunity: Auch nach dem Ausscheiden aus seinem Amt ist der frühere US-Präsident Donald Trump ein verlässlicher Nachrichtenproduzent geblieben. Aus E-Mails, die durch den U-Ausschuss zum Sturm auf das Kapitol nun veröffentlicht wurden, geht hervor, dass er an einem Markenschutz für den Begriff "rigged election" (gefälschte Wahl) interessiert war. Der Bericht von spiegel.de erwähnt nicht, ob das Ansinnen umgesetzt wurde.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 4. Januar 2023: . In: Legal Tribune Online, 04.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50651 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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