Die Ex-Regierungschefin wurde in Myanmar zu einer Haftstrafe verurteilt. Sondersitzung im Bundestag zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Gegen den designierten Kanzleramtschef läuft noch ein Verfahren wegen § 353d StGB.
Thema des Tages
Myanmar — Aung San Suu Kyi: Die entmachtete Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi und der ebenfalls entmachtete Präsident Win Myint wurden von der Junta vor einem Sondergericht in Myanmar unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu einer Haftstrafe von jeweils vier Jahren verurteilt. Wenig später verkürzte die Militärführung das Strafmaß von Suu Kyi auf zwei Jahre und ordnete Hausarrest statt Gefängnis an. Beiden Politker:innen werden Anstiftung zum Aufruhr und Verstöße gegen Corona-Auflagen zur Last gelegt. Suu Kyi werden von der Justiz darüber hinaus Korruption und Verstöße gegen die Außenhandelsgesetze vorgeworfen, so dass weitere Verurteilungen drohen. Menschenrechtler:innen kritisierten das Urteil, da es politisch motiviert sei und nur dazu diene, die Militärherrschaft aufrechtzuerhalten. Es berichten die SZ (David Pfeifer), FAZ (Till Fähnders), taz (Willi Germund), LTO und spiegel.de.
David Pfeifer (SZ) kommentiert, dass die Details des Verfahrens für die Junta ohne Belang seien. Wichtig sei lediglich, dass überhaupt ein Verfahren stattgefunden habe, um bei späteren Verhandlungen mit ausländischen Investor:innen, mit den Asean-Staaten oder auch mit den Vereinten Nationen "Rechtssicherheit" anführen zu können. Ähnliches gelte für China, das schärfere Resolutionen gegen Myanmar bisher verhindert hat.
Rechtspolitik
Corona — Infektionsschutzgesetz/Impfpflicht: An diesem Dienstag kommt der Bundestag zu einer außerplanmäßigen Sitzung zusammen, um durch eine erneute Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) eine einrichtungsbezogene Impfpflicht für das Personal von Kliniken, Pflegeheimen, Arztpraxen, Rettungsdiensten und Entbindungseinrichtungen auf den Weg zu bringen. Diese soll ab dem 15. März gelten. Ab dann dürfen nur noch geimpfte oder genesene Personen neu angestellt werden. Zugleich soll den Bundesländern durch eine Schärfung des § 28 a IfSG – den die Ampelfraktionen SPD, Grüne und FDP zunächst abgeschwächt hatten – wieder mehr Handlungsoptionen eingeräumt werden. Sie sollen nun auch wieder die Möglichkeit haben, gastronomische Betriebe, Kongresse oder Messen zu schließen. Die FAZ (Christian Geinitz) und LTO berichten.
Thomas Holl (FAZ) moniert, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Vergleich zu Frankreich, Griechenland und Italien viel zu spät komme. Die Debatte sei erst aufgekommen, nachdem Bewohner:innen von Altenheimen ohne Booster-Impfung gestorben seien. Bei der allgemeinen Impfpflicht müsse es schneller gehen.
Corona — Impfpflicht: Auf dem Verfassungsblog spricht sich Rechtsprofessor Hinnerk Wißmann für eine allgemeine Impfpflicht aus und beruft sich auf die Verantwortung des Verfassungsstaats "für eine freiheitliche Gesamtbilanz". Maßnahmen wie die 2G-Regeln und der Lockdown seien nicht gleich geeignet, weil sie den Infektionseintritt nur verschieben. Eine Impfung hingegen senke "die Wahrscheinlichkeit von Infektion, Erkrankung und Übertragung".
Baurecht — Vorkaufsrecht: Laut Koalitionsvertrag soll die künftige Bundesregierung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aus dem November 2021 zum gemeindlichen Vorkaufsrecht in Gebieten einer Erhaltungssatzung (Milieuschutzsatzung) auf "gesetzgeberischen Handlungsbedarf" überprüfen. Das BVerwG hatte das Vorkaufsrecht von Gemeinden und Städten für Miethäuser stark eingeschränkt und angesichts des angespannten Wohnungsmarkts auf den Gesetzgeber verwiesen. Die FAZ (Rainer Schulze) berichtet.
Bundeskabinett: LTO (Hasso Suliak) berichtet über die Kritik des Deutschen Juristinnenbundes an der fehlenden Parität im neuen Bundeskabinett. Insgesamt gehören dem Kabinett mit Olaf Scholz als Regierungschef neun Männer und acht Frauen an. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen die FDP, die drei Männer und nur eine Frau nominierte. Zudem stellt der Bericht vor, welche Ressorts die zwei Juristinnen und die drei Juristen unter den designierten Minister:innen erhalten haben.
Berliner Verwaltung: Das Berliner Abgeordnetenhaus müsse die Aufgabenverteilung zwischen Berliner Senat und Berliner Bezirken gesetzlich reformieren, was weitgehend schon mit einfachen Mehrheiten möglich sei. Dies fordert im FAZ-Einspruch der pensionierte Beamte Claus-Peter Clostermeyer. Zudem könne in Art. 67 der Landesverfassung eine Kooperationsklausel eingefügt werden, die Bezirke und Senat zur loyalen Zusammenarbeit verpflichtet. Der Autor kritisiert ein historisch vom Groß-Berlin-Gesetz (1920) bedingtes "administratives Ping-Pong", bei dem sich der Berliner Senat und die Stadtbezirke die Verantwortung gegenseitig zuschöben. Dies sei der Grund für erhebliche Defizite in Verwaltung und Justiz.
Justiz
StA Berlin — Wolfgang Schmidt: Nach einem Bericht des Tsp (Jost Müller-Neuhof) ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin immer noch gegen den designierten Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) wegen einer verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen nach § 353 d Strafgesetzbuch (StGB). Als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium hatte Schmidt nach Durchsuchungen im Ministerium Auszüge aus dem gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss im Wortlaut via Twitter veröffentlicht, um seine Kritik zu untermauern. Es stehe zudem im Raum, dass Schmidt den gesamten Text des Durchsuchungsbeschlusses an Journalist:innen durchgesteckt haben könnte. Schmidt hält seinen Tweet für gerechtfertigt. Eine mögliche Verurteilung stünde seiner Tätigkeit als Chef des Bundeskanzleramts rechtlich nicht im Wege.
BVerfG — 2G und Kanzlerwahl: Am vorigen Freitag ist beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde von elf AfD-Abgeordneten eingegangen, die sich vor allem gegen die 2G-Regelung für Berliner Hotels richtet. Die Regelung erschwere die Teilnahme ungeimpfter Politiker:innen an der Wahl des Bundeskanzlers am Mittwoch und verletze daher das im Grundgesetz verankerte Abgeordnetenrecht. Die Klage ist mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung verbunden. LTO berichtet.
BVerfG zur Bundesnotbremse: In einem Gastbeitrag in der FAZ behauptet die Politikprofessorin Christine Landfried, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse von voriger Woche sei ein Beispiel dafür, dass handlungsunwillige Politiker:innen Entscheidungen nach Karlsruhe delegieren. Als Argument führt sie an, dass es bei der Diskussion um die jüngste Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) Stimmen gegeben habe, die dafür plädierten, auf die Karlsruher Entscheidung zur Bundesnotbremse zu warten (was aber nicht geschah). Es schade der Demokratie, wenn die Differenz zwischen rechtlicher und politischer Entscheidungsfindung wie im Fall der Bundesnotbremse nicht gewahrt werde. In Pandemiezeiten sei es zudem auch nicht sinnvoll, Entscheidungen nach Karlsruhe auszulagern, weil der richtige Zeitpunkt für Maßnahmen eine entscheidende Rolle spiele.
LG Baden-Baden zu sexuellem Missbrauch durch Arzt: Das Landgericht Baden-Baden hat einen Arzt wegen sexuellen Missbrauchs von zwei Patientinnen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 000 Euro verurteilt. Der 56-jähriger Mediziner wendete osteopathische Therapien an und soll dabei u.a. eine Patientin mit seinen Fingern vaginal penetriert und sie oral stimuliert haben. Die FAZ (Rüdiger Soldt) und spiegel.de berichten.
LG München I — Cybertrading-Betrug: Vor dem Landgericht München I muss sich ein 45-jähriger Israeli verantworten, dem die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg gewerbs- und bandenmäßigen Betrug in Tateinheit mit Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung vorwirft. Es geht um 335 Betrugshandlungen auf Tradingplattformen mit einem Gesamtschaden von über 8,6 Millionen Euro. Die SZ (Uwe Ritzer) berichtet.
VG Berlin zur Übernachtung auf dem Segelboot: Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin ist ein generelles Übernachtungsverbot auf festgemachten Sportbooten an Steganlagen unzulässig. Geklagt hatte ein Segelsportverein mit einer Steganlage am Wannsee. Man dürfe ein bis zwei Nächte an Bord übernachten, bei Wettbewerben auch bis zu fünf Nächte. LTO berichtet.
AG Hamburg-Altona — HSV-Profi Jatta: Der Fußballprofi Bakery Jatta vom Hamburger SV wurde vor dem Jugendrichter des Amtsgerichts Hamburg-Altona wegen vier Vergehen gegen das Aufenthaltsgesetz und wegen einer mittelbaren Falschbeurkundung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg geht davon aus, dass der Fußballer eigentlich Bakary Daffeh heißt und etwa zweieinhalb Jahre älter ist als von ihm angegeben. Durch die Behauptung der Minderjährigkeit habe der aus Gambia geflüchtete Profi 2015 eine Duldung erreichen wollen. Es berichten die SZ (Peter Burghardt), FAZ (Frank Heike), spiegel.de und LTO.
Recht in der Welt
EGMR/Polen — Migrant:innen an der Grenze: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Polen in vierzig Fällen, Lettland in zwei Fällen und Litauen in einem Fall dazu verpflichtet, die Situation der Geflüchteten an der Grenze zu Belarus durch Sofortmaßnahmen zu verbessern (u.a. durch Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung). Zwischen dem 20. August und dem 3. Dezember sind von knapp 200 Menschen 47 Anträge auf solche vorläufigen Maßnahmen gestellt worden, 43 wurden bewilligt. Ob Polen seiner vertraglichen Verpflichtung zur Befolgung der Anordnungen nachkam, ist nicht bekannt. zeit.de berichtet.
Italien — Verfahrensnamen: Die italienische Regierung hat bei der Namensgebung für Strafverfahren Nüchternheit angeordnet, weil es zu immer spektakulären Namenskreationen seitens der Behörden kam. So wurde etwa eine Operation gegen die kalabrische Mafia nach dem Fluss der Unterwelt ("Styx") benannt. Dies rücke Beschuldigte verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit und verletzte die Unschuldsvermutung. Die SZ (Oliver Meiler) berichtet.
Großbritannien — Leichenfotos: Ein Londoner Gericht verurteilte zwei Polizisten zu knapp drei Jahren Gefängnis, weil sie Fotos von Mordopfern in Chatgruppen geteilt haben. Der Fall hat landesweit Entsetzen ausgelöst und das Vertrauen in die Londoner Polizei weiter beschädigt. spiegel.de berichtet.
USA — Entlassung von Unschuldigem: Die SZ (Fabian Fellmann) erzählt die Geschichte von Kevin Strickland, der im US-Bundesstaat Missouri 43 Jahre unschuldig in Haft saß und nun aufgrund des Einsatzes einer Stiftung für unschuldig inhaftierte Sträflinge entlassen wurde. Er erhielt keine Entschädigung, weil in Missouri dafür die Freilassung dezidiert auf einen DNA-Beweis gestützt werden muss. Es wurden jedoch 1,5 Millionen Euro für ihn gespendet.
Juristische Ausbildung
Verhandlungsführung: Im Gespräch mit Experten konstatiert LTO (Sabine Olschner) bei deutschen Jurastudierenden einen "großen Aufholbedarf" in Sachen Verhandlungstechnik. Das Erlernen gängiger Methoden wie des "Harvard-Konzepts" fände allenfalls im Rahmen von Schlüsselqualifikationen statt. In Eigeninitiative könnten sich Studierende jedoch an örtliche Hochschulgruppen wenden oder auf Seminare, Literatur und YouTube zurückgreifen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/tr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 7. Dezember 2021: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46854 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag