Die juristische Presseschau vom 9. August 2024: Durch­su­chungen bei der Letzten Gene­ra­tion / Neue Ver­fü­gung gegen Ramm­stein-Pod­cast / Justiz im Ukraine-Krieg

09.08.2024

Die Staatsanwaltschaft FFM reagierte mit Durchsuchungen auf Flughafen-Blockaden. Das LG Hamburg erließ eine neue einstweilige Verfügung gegen den NDR-Podcast "Row Zero". Wie können ukrainische Gerichte unter Kriegsbedingungen arbeiten?

Thema des Tages

StA Frankfurt/M. - Klimaprotest/Flughafen: Nach den Blockaden am Flughafen Frankfurt/M. ließ die Staatsanwaltschaft Frankfurt/M. Wohnungen von Aktivist:innen der Letzten Generation durchsuchen, wobei auch DNA-Proben genommen wurden. Betroffen waren Wohnungen von acht Beschuldigten in Baden-Württemberg, Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt; es geht um den Verdacht der Nötigung, Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruchs. FAZ, SZ und Welt berichten.

Rechtspolitik

Geheimdienstkontrolle: Rechtsprofessor Markus Ogorek auf beck-aktuell mahnt die Ampel-Koalition, endlich die Vorgaben des BVerfG aus einer Entscheidung von 2022 zum bayerischen Verfassungsschutzrecht umzusetzen. Auch auf Bundeseebene müsse eine Vorabkontrolle für den Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittler:innen sowie für langfristige Observationen eingeführt werden. Der Autor gibt einen Überblick über die Modelle auf Landesebene. Bei dieser Gelegenheit könne auch der Militärische Abschirmdienst gestärkt werden, der seit Russlands Überfall auf die Ukraine mehr gefordert sei.

Künstliche Intelligenz: Welche Praktiken durch den jüngst in Kraft getretenen AI Act strikt verboten werden und warum, erklären die Rechtsanwälte Nico Kuhlmann und Jasper Siems auf LTO im zweiten Teil ihres dreiteiligen Überblicks über die neuen Regeln. Weder in den Verkehr gebracht noch in Betrieb genommen werden dürfen danach Social Scoring Tools, die beispielsweise Emotionen am Arbeitsplatz überwachen oder prognostizieren, ob jemand straffällig wird.

Grundsicherung: Die im Deutschen Juristinnenbund aktiven Doktorandinnen Shari Gaffron, Friederike Löbbert und Lara Schmidt kritisieren auf dem Verfassungsblog aus feministischer Sicht die "erwerbszentrierte" deutsche Sozialpolitik. Wenn über Leistungskürzungen und Sanktionsverschärfungen der Druck zur Aufnahme einer Erwerbsarbeit erhöht werden soll, lasse dies außer Acht, dass ein Großteil der Grundsicherungsbeziehenden (überwiegend Frauen) sich deshalb nicht über Erwerbsarbeit finanziere, weil sie Care-Arbeit für Kinder und pflegebedürftige Angehörige leisten.  

Justiz

LG Hamburg zu Rammstein-Podcast: Erneut sind die Anwälte von Rammstein-Sänger Till Lindemann erfolgreich gegen den Podcast des NDR "Rammstein – Row Zero" vorgegangen. Das Landgericht Hamburg hat nun gegen die erste Folge des vierteiligen Hörstücks eine einstweilige Verfügung erlassen, über die die FAZ (Michael Hanfeld) berichtet. Danach ist es dem NDR untersagt, "den Verdacht zu erwecken und/oder erwecken zu lassen, Till Lindemann habe sexuelle Handlungen an einer Frau, die im Podcast mit 'Cynthia A.' bezeichnet wird, ohne deren Zustimmung und gegen deren erkennbaren Willen vorgenommen". Erst vor wenigen Tagen hatte Lindemanns Anwalt vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen die zweite Folge des Podcasts erwirkt. Davor ist Rammstein bereits erfolgreich aus urheberrechtlichen Gründen gegen den Podcast vorgegangen, weil Ausschnitte aus Liedern der Band unzulässig verwendet wurden.

BVerfG zu Bundestags-Wahlrecht: Rechtsprofessor Matthias Friehe analysiert im FAZ-Einspruch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Wahlrechtsreform von 2023. Er attestiert dem Richterspruch eine fehlende dogmatische Überzeugung. Der Autor meint, dass das Wahlsystem in der Verfassung verankert werden soll, "weil es sich um eine grundlegende Frage der demokratischen Ordnung handelt, die nicht zum Spielball der Tagespolitik werden sollte".

Eine "große Chance für die Demokratie" sieht Rechtsprofessor Gregor Kirchhof auf beck-aktuell in den nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes notwendig gewordenen Wahlrechtsänderungen. Der Bundestag sollte in einem breiten demokratischen Konsens mit einer Zweidrittelmehrheit ein neues Wahlrecht beschließen, meint Kirchhof. Gleichzeitig sei das Grundgesetz so zu ändern, dass jede neue Wahlrechtsänderung dieser Mehrheit bedarf.

BVerwG zu Informationsfreiheit: Auf dem JuWissBlog analysieren Marco Mauer und Jannis Krüßmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Jurastudent, ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem März, wonach eine anonyme Antragsstellung nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ausgeschlossen ist. Das IFG unterscheide sich hier vom Umweltinformationsgesetz (UIG). Rechtspolitisch wird vorgeschlagen, auch im IFG die anonyme Antragsstellung zu erlauben.

OLG Brandenburg zu konfiguriertem Notebook: Dem Käufer eines Notebooks bei eBay, das aus serienmäßig vorgegebenen Standardoptionen konfiguriert und zusammengebaut wurde, steht ein Widerrufsrecht zu. Denn die Auswahl aus vorgegebenen Optionen stellt laut OLG Brandenburg keine Maßanfertigung dar. beck-aktuell fasst die Entscheidung zusammen.

OLG Frankfurt/M. zu Vormundschaftsbestellung während Corona: Während der Corona-Pandemie durfte bei der Bestellung eines (berufsmäßigen) Vormunds auf den eigentlich gesetzlich geforderten "Handschlag an Eides statt" verzichtet werden, hat das OLG Frankfurt a.M. entschieden. Der Handschlag solle dem Verpflichteten den Ernst und die Bedeutung der von ihm zu übernehmenden Pflichten verdeutlichen. Dies könne aber auch telefonisch geschehen, meint das OLG. Das gelte umso mehr, wenn es – wie hier aufgrund der Pandemielage – nachvollziehbare und vernünftige Gründe für ein Abweichen vom gesetzlichen Regelfall gab. beck-aktuell berichtet.

KG Berlin zu Kontoplünderung durch Ehegatten: Wer das Konto seines Ehegatten plündert, während dieser an einem Schlaganfall leidet, riskiert, vom Versorgungsausgleich ausgeschlossen zu werden, hat das Kammergericht entschieden. In dem konkreten Fall habe die Frau vorsätzlich, hinterrücks und entgegen den gemeinsamen Absprachen gehandelt, sie habe das Geld auch ausschließlich für sich selbst verwendet, und nicht – wie vorher geplant – der gemeinsamen Alterssicherung zugeführt. beck-aktuell berichtet. 

LG Heidelberg zu Tötung der Ex-Freundin: Zu elf Jahren Haft wegen Mordes und Körperverletzung hat die Große Jugendkammer des Landgerichtes Heidelberg einen 18-Jährigen verurteilt, der im Januar 2024 seine gleichaltrige Ex-Freundin und Mitschülerin getötet hatte. swr.de (Alexander Krüger) berichtet und erläutert insbesondere die Besonderheiten des Jugendgerichtsgesetzes. 

LG München I zu Mieterhöhung und Inflation: Mit der gestiegenen Inflation könne ein Zuschlag auf die im Mietspiegel ausgewiesenen Mietwerte nicht begründet werden, hat laut beck-aktuell das Landgericht München I entschieden. Dem Verbraucherpreisindex könne für den spezifischen Anstieg der Wohnungsmieten und erst recht für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete keine belastbare Aussage entnommen werden, so das Gericht. 

LG München I zu Letzte Generation/Pressetelefon: Auch LTO (Kevin Japalak) und beck-aktuell berichten jetzt, dass das Landgericht München I die Beschwerden zweier Journalisten gegen das Abhören eines Pressetelefons der Letzten Generation abwies. Die Maßnahme sei zwar ein Eingriff in die Pressefreiheit gewesen, aber verhältnismäßig und daher rechtmäßig, so das Gericht.

LG Heidelberg zu Eigenbedarfskündigung: Das Landgericht Heidelberg hat laut LTO in einem Räumungsverfahren einer schwerbehinderten Mieterin Recht gegeben. Die Vermieterin hatte Eigenbedarf geltend gemacht, weil sie in der Wohnung ihre ebenfalls gehbehinderte Mutter unterbringen wollte. Zwar hätten, so das Gericht, beide Parteien ein gewichtiges Interesse am Bezug der Wohnung, die soziale und therapeutische Versorgung der derzeitigen Mieterin sei aber eng mit ihrer jetzigen Wohnung verknüpft, die sie bereits seit 20 Jahren bewohnt, so dass im Ergebnis das Interesse der Mieterin das Interesse der Vermieterin überwiege.

Recht in der Welt

Ukraine – Justiz: Wie die Gerichte in der Ukraine unter den Kriegsbedingungen arbeiten, beschreibt der ukrainische Rechtsjournalist Serhii Sachenko auf LTO. Dabei sei, so schreibt er, obwohl seit dem Beginn der Invasion im Februar 2022 etwa 6,5 der rund 38 Millionen Bürger die Ukraine verlassen haben, die Zahl der neuen Fälle bei den Gerichten erheblich gestiegen. In der Strafjustiz stiegen die Fälle im Zusammenhang mit mutmaßlichen russischen Kriegsverbrechen, bei den Zivilgerichten nähmen Schadensersatzforderungen wegen Kriegsschäden gegen Russland  zu. Erschwert werde die Situation dadurch, dass der Krieg das ukrainische Justizsystem auch personell erheblich beeinträchtigt hat.

Österreich – Justizsystem: Dem Fortgang der Debatte um den Bericht einer vom österreichischen Justizministerium eingesetzten Kommission widmet sich die FAZ (Stephan Löwenstein). Bei der Übergabe des Berichtes hatte der damalige Leiter der Kommission Martin Kreutner schwere Vorwürfe erhoben und behauptet, Österreich habe "eine Zweiklassenjustiz und würde daher gegenwärtig nicht wieder in die Europäische Union aufgenommen werden". Der Bericht selbst, der kürzlich veröffentlicht wurde, zeige jedoch, dass diese Behauptungen übertrieben seien. Generell werde ausdrücklich festgehalten, das österreichische Justizsystem funktioniere auch im internationalen Vergleich sehr gut, einschließlich der Staatsanwaltschaften. 

Frankreich - Regierungsbildung: Der Doktorand Arne P. Wegner analysiert auf dem Verfassungsblog die Situation in Frankreich nach den jüngsten Parlamentswahlen aus verfassungsrechtlicher Sicht. In Frankreich sei es üblich, vor den Wahlen eine Koalition zu bilden, die dann aufgrund des Wahlrechts eine deutliche Mehrheit im Parlament erhalte. Da sich aus den jüngsten Wahlen keine klare parlamentarische Mehrheit ergab, müsse Frankreich nun lernen, auch nach den Wahlen Koalitionen zu bilden. Die zu erwartende Cohabitation könne zur Lähmung Frankreichs auf EU-Ebene führen.

Sonstiges

Großkanzleien: Anwält:innen konnten im Vergleich zum Vorjahr deutlich höhere Honorare bei Mandat:innen durchsetzen, weshalb sich viele Kanzleien in ihrer finanziell stärksten Position seit mehr als zehn Jahren befinden, berichtet die FAZ (Marcus Jung). Insbesondere die Nachfrage bei M&A-Transaktionen und öffentlichen Übernahmen habe bei amerikanischen Großkanzleien im ersten Halbjahr 2024 zugenommen und eine länger andauernde Flaute beendet.

Taylor-Swift-Konzert: beck-aktuell gibt Tipps, ob und wie die Erstattung von Kosten im Zusammenhang mit dem abgesagten Taylor-Swift-Konzert in Wien verlangt werden kann. Hoffnung bestehe dabei für jene, die über einen Veranstalter ein Reisepaket rund um das Konzert gebucht haben. Den anderen bleibe nur: stornieren und auf den Kosten sitzen bleiben oder dennoch nach Wien fahren bzw. dort bleiben und sich die Stadt anschauen.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/pf/chr

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. August 2024: . In: Legal Tribune Online, 09.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55177 (abgerufen am: 01.09.2024 )

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