Die juristische Presseschau vom 28. März 2024: BVerwG zu Zwangs­do­ping / BVerwG zu unfried­li­chen Pro­testen / Schutz der Stimme vor KI

28.03.2024

Opfer von DDR-Zwangsdoping haben laut BVerwG keinen Entschädigungsanspruch. Bei unfriedlichen Protesten gilt laut BVerwG das Polizeirecht, nicht das Versammlungsgesetz. Der Elvis-Act von Tennessee schützt Gesangsstimmen vor KI-Imitation.

Thema des Tages

BVerwG zu Zwangsdoping: Frühere DDR-Sportler:innen, die Opfer von Zwangsdoping wurden, haben keine Entschädigungsansprüche nach dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG). Das entschied das Bundesverwaltungsgericht, nachdem die Frage von den Verwaltungsgerichten bisher unterschiedlich behandelt worden war. Das Dopingprogramm der DDR sei weder politische Verfolgung noch ein Willkürakt gewesen. Es fehle an einer gezielten Diskriminierung der Betroffenen. Auch den später beschlossenen Dopingopfer-Hilfegesetzen, die eine finanzielle Hilfe lediglich aus humanitären und sozialen Gründen gewähren, liege die Annahme zugrunde, dass Opfer staatlichen Dopings keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung haben. LTO berichtet.

Rechtspolitik

Cannabis: Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig hat in Vertretung für den Bundespräsidenten das Cannabisgesetz unterzeichnet, so dass es wie geplant am 1. April in Kraft treten kann. Die Prüfung habe ergeben, dass "keine verfassungsrechtlichen Bedenken einer Ausfertigung entgegenstehen", teilte das Bundespräsidialamt mit. SZ (Georg Ismar/Angelika Slavik) und zeit.de berichten.

Tötungsdelikte: Den Vorstoß des Deutschen Anwaltvereins für eine Reform der Paragrafen 211 und 212 StGB stellt nun auch LTO (Charlotte Hoppen) vor. Der DAV schlägt dabei ein Regelungsmodell vor, das zwischen Mord und Totschlag sachlich-rechtlich nach dem Grad der Verantwortung differenziert. Ist ein Täter nach rechtlichen Kriterien "allein für die Tat verantwortlich", soll der Vorwurf des Mordes als Qualifikationstatbestand begründet sein. Sind hingegen auch entlastende Aspekte gegeben, so soll Totschlag vorliegen.

Gerichtsdokumente: LTO hat Ex-Bundesrichter Thomas Fischer nach seiner Meinung zur Diskussion um eine mögliche Streichung von § 353d Nr. 3 StGB befragt, der die Wortlautveröffentlichung von amtlichen Prozessdokumenten untersagt, "bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist". Die Debatte sei im Wesentlichen einseitig interessengeleitet, so Fischer kritisch, § 353d Nr. 3 StGB sei sowohl verfassungsgemäß als auch zweckmäßig.

Bürgergeld: Die von der CDU vorgeschlagene Änderung des Bürgergeldes in "Neue Grundsicherung" sei mehr als eine bloße Namensänderung, meint Heribert Prantl (SZ) kritisch in seiner Kolumne. Das Merz-Konzept betrachte die arbeitslosen Leistungsempfänger:innen wie potenzielle Missbraucher:innen. Aber "Bürgergeld" sei "ein gutes Wort, es ist dies ein Wort des Respekts. Es lässt Arbeitslose nicht in der Ecke der angeblich Unzulänglichen stehen, es grenzt sie nicht als angebliche Schmarotzer aus. Sozialstaat und Demokratie gehören zusammen, sie bilden eine Einheit".

Justiz

BVerwG zu unfriedlichen Protesten: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass eine von Anfang an unfriedliche Versammlung nicht erst aufgelöst werden muss, bevor die Polizei polizeirechtliche Maßnahmen gegenüber den Teilnehmenden ergreifen darf. Im zu entscheidenden Fall ging es um Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag 2016, die Teilnehmer waren teilweise vermummt und zündeten Pyrotechnik. Die Polizei hatte eine Menschengruppe eingekesselt und die Teilnehmer danach einzeln aus der Gruppe hinausgeführt. Weil die Protestaktion von Anfang an einen unfriedlichen Charakter gehabt habe, unterfalle sie nicht dem Schutzbereich des Art 8 GG, so das BVerwG. Deshalb sei allgemeines Polizeirecht und nicht das Versammlungsgesetz anzuwenden. Die Polizei habe die Versammlung nicht erst auflösen müssen, bevor sie Maßnahmen nach dem Landespolizeigesetz ergriff. LTO (Helena Schröter) und beck-aktuell berichten.

EuGH zu Amazon und DSA: Der Europäische Gerichtshof hat Amazon verpflichtet, entsprechend den Vorgaben des Digital Services Acts (DSA) nun doch sein Werbearchiv vorläufig zu öffnen und detaillierte Informationen über die Online-Werbung öffentlich zugänglich zu machen. Der EuGH-Vizepräsident korrigierte in der zweiten Instanz des Eilrechtsschutzes im Rahmen einer Folgenabwägung eine Aussetzung dieser Pflicht durch das EU-Gericht (EuG) aus dem September 2023. Amazon klagt gegen die Einstufung als sehr große Plattform durch die EU-Kommission und die damit verbundenen Folgen des DSA. beck-aktuell berichtet.

BVerfG – Präsidentenposten am OVG NRW: Die Leitung des Oberlandesgerichts Münster kann weiterhin nicht besetzt werden, weil ein unterlegener Mitbewerber jetzt Verfassungsbeschwerde erhoben hat. Das Karlsruher Gericht muss jetzt prüfen, ob das Auswahlverfahren gegen das Grundgesetz verstoßen hat. LTO berichtet und erläutert, dass vor der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde eine Besetzung nicht erfolgen kann, da die Ernennung einer fehlerhaft ausgewählte Amtsinhaberin nach dem Grundsatz der Ämterstabilität nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die Hintergründe des bisherigen Verfahrens fasst wdr.de (Philipp Raillon) zusammen.

OLG Hamburg zu Remigrations-Treffen: Auch in der zweiten Instanz sind jetzt Ulrich Vosgerau und ein weiterer Teilnehmer des rechtsextremen Treffens Ende November bei Potsdam mit ihrem Vorgehen gegen einen Bericht des Recherche-Netzwerks Correctiv gescheitert. Die beiden hatten vor dem LG Hamburg mehrere Passagen des Correctiv-Berichts angegriffen und dabei überwiegend verloren. Das Oberlandesgericht Hamburg hat jetzt auch die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. LTO (Felix W. Zimmermann) erläutert ausführlich, worum es in dem Rechtsstreit ging. Auch spiegel.de berichtet.

OLG München – Umsturzpläne/Reuß: Der zweite Prozess zu den Umsturzplänen einer terroristischen Vereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß soll am 18. Juni beginnen. Das hat zeit.de vom Oberlandesgericht München erfahren. Bisher seien 54 Verhandlungstage vorgesehen. Die Vereinigung soll laut Anklage geplant haben, die demokratische Ordnung in Deutschland mit Gewalt zu beseitigen. Der Generalbundesanwalt wirft den sechs angeklagten Männern und zwei Frauen unter anderem die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vor. Drei von ihnen sollen Gründungsmitglieder der Vereinigung gewesen sein, vier der Beschuldigten werden zudem wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und ein Angeklagter wegen Verstößen gegen das Waffengesetz angeklagt.  Das Urteil könnte nach derzeitiger Planung Anfang 2025 fallen.

LG München – Ex-Wirecard-Chef Braun: Über die im Wirecard-Verfahren gegen Markus Braun und andere Ex-Manager nun im Raum stehende Verständigung des mitangeklagten ehemaligen Chefbuchhalters Stephan von Erffa mit dem Landgericht München I berichten nun auch SZ (Johannes Bauer), spiegel.de und LTO. Um einer hohen Haftstrafe zu entgehen, müsste E. ein Geständnis ablegen, bisher allerdings habe er sich als einziger der drei Angeklagten nicht zu den Betrugs- und Bilanzfälschungsvorwürfen geäußert.

LG Hamburg zu Maskendeals/Hohlmeier: Das Landgericht Hamburg hat die von der CSU-Europaabgeordneten Monika Hohlmeier angestrebte Verfügung abgelehnt, dem BSW-Politiker Fabio de Masi eine Äußerung zu untersagen, die Hohlmeier in Zusammenhang mit den Straftaten Andrea Tandlers setzt. De Masi hatte auf X geschrieben, dass "die liebe Frau Tandler mit freundlicher Unterstützung von Frau Hohlmeier Masken-Millionen scheffelte und Steuer-Millionen hinterzog". Das Gericht stellte nun fest, Hohlmeier habe Tandler "unstreitig" Kontakte "zu Ansprechpartnern in Behörden vermittelt" und "einen objektiven Beitrag zu den kritisierten Aktivitäten von Frau Tandler" geleistet. Der Spiegel berichtet.

LG Kleve zu Glücksspielverlusten: Am Beispiel einer Entscheidung des Landgerichtes Kleve erläutert LTO-Karriere (Charlotte Hoppen), wie mit Rückzahlungsansprüchen von Spieleinsätzen in einer Klausur umzugehen ist. Mehrere Gerichte haben bereits entschieden, dass Spieler ihre Verluste aus Online-Glücksspielen über das Bereicherungsrecht zurückfordern können, wenn der Veranstalter nicht über die erforderliche Lizenz verfügt, um Online-Glücksspiele in Deutschland anbieten zu dürfen. Mittlerweile seien derartige Fallkonstellationen "Examensmaterial".

LG Oldenburg zu Tee-Verbrühung: Vor dem Landgericht Oldenburg ist eine Frau mit einer Schadensersatzforderung gegen eine Franchise-Nehmerin der Fast-Food-Kette McDonald's gescheitert. Sie hatte geltend gemacht, sich durch einen heißen Tee verbrüht zu haben. Das LG Oldenburg argumentierte, es sei allgemein bekannt, dass Tee mit sehr heißem Wasser aufgebrüht werde, es bestehe daher auch keine Pflicht, ihn nur mit verzehrfertiger Temperatur zu übergeben. Außerdem sei die Kundin durch eine Aufschrift und ein Piktogramm auf dem Becher ausdrücklich auf den heißen Inhalt und die davon ausgehenden Gefahren hingewiesen worden. beck-aktuell berichtet.

AG Berlin-Tiergarten zu Silvester-Ausschreitungen: Das Amtsgericht Tiergarten hat einen 23-jährigen Studenten, der in der Silvesternacht 2023 u.a. mit einer Schreckschusspistole einen Polizisten attackiert hatte, wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, tätlichen Angriffs auf und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.

LAG Nürnberg zu Druckkündigung: Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat einer Arbeitnehmerin im Streit um eine so genannte Druckkündigung Recht gegeben. Anlass der Kündigung war, dass sich Kolleg:innen über die Klägerin beschwert und ihrerseits mit einer Kündigung gedroht hatten. Eine Druckkündigung könne nur dann ausnahmsweise wirksam sein, wenn sich die Arbeitgeberin zunächst schützend vor die betroffene Beschäftigte stellt und aktiv alles Zumutbare versucht, "um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen". Der Spiegel berichtet.

VG Neustadt/W. zum PKW eines Rasers: Das Verwaltungsgericht Neustadt a.d. Weinstrasse hat im Eilverfahren entschieden, dass die Polizei ein Fahrzeug zur Gefahrenabwehr sicherstellen darf, wenn mehrere Bußgeldbescheide und polizeiliche Ansprachen den Eigentümer nicht zur Einsicht bringen und er mit "kaum zu überbietender Ignoranz" mit über 100 km/h statt der erlaubten 50 km/h durch die Stadt rase. Aufgrund des erheblich verkehrswidrigen und rücksichtslosen Fahrverhaltens liege es nahe, dass der Mann in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Verkehrsverstöße begehen werde, so das Gericht laut LTO.

Betrug bei Corona-Hilfen: Der Spiegel (Jörg Diehl/Lukas Eberle) widmet sich ausführlich der juristischen Aufarbeitung der zahlreichen Fälle, in denen zu Unrecht Corona-Hilfen bezogen wurden. Der Corona-Subventionsbetrug dürfte einer der größten Raubzüge in der deutschen Kriminalhistorie gewesen sein, heißt es im Text. Bis Ende 2023 seien deutschlandweit 7900 Verfahren wegen möglichen Betrugs eingeleitet worden – allein zu den Soforthilfen. Der Staat habe sich durch seine Generosität in die Bredouille gebracht, und die Justiz komme mancherorts kaum hinterher, so der Spiegel.

Recht in der Welt

USA – KI-Musik: Die SZ (Andrian Kreye) stellt den sogenannten Elvis-Act vor, der im Bundesstaat Tennessee beschlossen wurde und mit dem "eine Art Urheberrecht auf die Einzigartigkeit der eigenen Stimme, des Gesichts und des Körpers" etabliert werden soll. Sobald das Gesetz am 1. Juli in Kraft tritt, ist es untersagt, KI zu verwenden, um die Stimme eines Künstlers ohne Erlaubnis nachzuahmen.

USA – Abtreibungspille: Die SZ (Fabian Fellmann) porträtiert die US-amerikanische Anwältin Erin Hawley, die vor dem US-Supreme Court gegen das Abtreibungsmedikament Mifepriston kämpft. Sie ist außerdem als Ehefrau des Senators Josh Hawley bekannt geworden, der als erster Senator am 6. Januar 2021 Einspruch gegen die Wahl von Joe Biden erhoben hatte.

Polen – Verfassungsgericht: Wie die Präsidentin des polnischen Verfassungsgerichtes Julia Przylebska, die der ehemaligen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nahesteht, die von der neuen Regierung angestrebte Entpolitisierung der Justiz behindert, beschreibt das Hbl (Ivo Mijnssen). Justizminister Bodnar ist der Auffassung, dass Przylebska zurücktreten müsse, erst danach könne es einen "Neuanfang" geben.

Sonstiges

Digitale Märkte: Im Interview mit netzpolitik.org (Maximilian Henning) erklärt Jan Penfrat von der Europäischen Digitalrechtsorganisation EDRi den Digital Markets Act und wie die EU-Kommission die Umsetzung des neuen Regelwerkes durch die Unternehmen kontrolliert. Penfrat begrüßt beispielsweise die Brüsseler Ankündigung, zu untersuchen, ob Apple, Google und Facebook die Regeln des DMA richtig umgesetzt haben.

RAF: beck-aktuell (Tobias Freudenberg/Monika Spiekermann) hat sich mit dem früheren Bundesanwalt und Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger über die RAF-Verbrechen unterhalten. Laut Pflieger sind vor allem die zahlreichen Attentate der dritten RAF-Generation – etwa die Morde an Bankier Herrhausen und Treuhandchef Rohwedder – fast alle noch unaufgeklärt. Er plädiere seit vielen Jahren für einen Straferlass für verurteilte RAF-Terroristen, selbst bei Mordbeteiligungen, so Pflieger. "Meine Sorge ist, dass wir sonst die historische Wahrheit nie erfahren werden".

Rechtsgeschichte – keine Auslieferung an die DDR: Der Spiegel (Rainer Lübbert) erinnert an eine innerdeutsche Auseinandersetzung um die örtliche Gerichtszuständigkeit für ein Tötungsdelikt im Jahr 1974. Eine 16-jährige Schwesternschülerin hatte ihren Vater, der sie jahrelang gequält und missbraucht hatte, auf einer Brandenburger Müllhalde getötet, war nach West-Berlin geflohen und dort festgenommen worden. Die Frage, die sich dann stellte: Kann die Verdächtige an die DDR-Justiz überstellt werden, obwohl die Auslieferung Deutscher an einen anderen Staat im Grundgesetz verboten ist? Einbezogen in das weitere Verfahren waren das Berliner Kammergericht, das Bundesverfassungsgericht, der EGMR und der Bundestag. Letztlich fand der Prozess in Berlin statt und weil die DDR-Justiz den Obduktionsbericht nicht zur Verfügung stellte, kam die junge Frau mit einer 2,5-jährigen Freiheitstrafe davon.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Am Dienstag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/pf/chr

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. März 2024: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54222 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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