Die juristische Presseschau vom 24. bis 26. Februar 2024: IGH-Anhörung zu Israel endet / Canna­bis­ge­setz ver­ab­schiedet / Sebas­tian Kurz ver­ur­teilt

26.02.2024

Die Anhörung des IGHs zur Besatzung von palästinensischen Gebieten endet an diesem Montag. Der Bundestag hat das Cannabisgesetz beschlossen. Der österreichische Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz wurde wegen Falschaussage verurteilt.

Thema des Tages

IGH/Israel – Besatzung palästinensischer Gebiete: Am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag endet am heutigen Montag die einwöchige Anhörung zu Israels 56-jähriger Besatzung palästinensischer Gebiete, insbesondere im Westjordanland und in Ost-Jerusalem. Die Mo-FAZ (Alexander Haneke) beleuchtet noch einmal die Hintergründe des vor dem UN-Gericht geführten Gutachten-Verfahrens. Israel habe wohl rechtmäßig gehandelt, als es im Sechstagekrieg 1967 unter anderem das Westjordanland und den Gazastreifen militärisch besetzte, denn damals habe sich das Land auf sein Selbstverteidigungsrecht berufen können, weil es einem Angriff der arabischen Nachbar-Staaten zuvorkam. Allerdings gebe es Stimmen, wie jene der Schweiz in ihrer Stellungnahme zum Verfahren, die darauf abstellten, "dass die völkerrechtlichen Regelungen zur Besatzung von der Idee ausgingen, dass eine 'Besatzung' vorübergehender Natur sei und dass davon nach über 56 Jahren nicht mehr die Rede sein könne". Der IGH werde diese Fragen nun beantworten müssen. Sollte er von einer faktischen Annexion ausgehen, könnte er die Besatzung für illegal erklären, was den Druck auf Israel und seine verbliebenen Unterstützer deutlich erhöhen würde. Das Gutachten war von der UN-Generalversammlung in Auftrag gegeben worden.

IGH/Israel – Krieg in Gaza: Israel muss ebenfalls heute den vom Internationalen Gerichtshof im Eil-Verfahren über den Völkermordvorwurf Südafrikas eingeforderten Bericht zu den ergriffenen Maßnahmen in Gaza vorlegen. spiegel.de (Julia Amalia Heyer) hat die Situation analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass Israel beispielsweise nicht mehr Hilfsgüter nach Gaza lasse. Es gebe nahezu keine medizinische Versorgung mehr und auch der Hass auf die Palästinenser, der keine Unterschiede kenne zwischen Terroristen und Zivilisten, äußere sich nach wie vor öffentlich und durch alle gesellschaftlichen Schichten.

Israel – Angriff der Hamas: Der Rechtswissenschaftler Noam Kozlov erläutert im Verfassungsblog in englischer Sprache Wege und Möglichkeiten für Israel, individuelle Hamas-Kämpfer juristisch für die Angriffe vom 7. Oktober zur Verantwortung zu ziehen. Er plädiert für eine Aufarbeitung vor ordentlichen Gerichten, nicht vor Militärgerichten, weil so eher die Einhaltung ordnungsgemäßer Verfahrensstandards zu erwarten sei, die dann auch nicht zur Verhängung von Todesstrafen führten.

Rechtspolitik

Cannabis: Am Freitag hat der Bundestag eine Teil-Legalisierung von Cannabis beschlossen. Das Cannabisgesetz sieht den legalen Besitz und Konsum von Cannabis für Erwachsene vor. Ermöglicht wird in strengen Grenzen auch der private Eigenanbau, der gemeinschaftliche nichtgewerbliche Eigenanbau und die kontrollierte Weitergabe von Cannabis durch Anbauvereinigungen. Ob die Neuregelung allerdings tatsächlich wie vorgesehen zum 1. April in Kraft treten kann, sei noch fraglich, denn der Bundesrat könnte noch den Vermittlungsausschuss anrufen. Es berichten Sa-FAZ (Marlene Grunert), Sa-SZ (Angelika Slavik) und LTO (Hasso Suliak). 

Die Regelungen, die für den Cannabis-Konsum in Deutschland fortan gelten sollen, seien "umständlich, kleinteilig und bisweilen lebensfremd", findet Angelika Slavik (Sa-SZ). Es sei ein wirklich schlechtes Gesetz, aber dass es beschlossen wurde, sei trotzdem eine gute Nachricht. Ähnlich sieht es Hasso Suliak (LTO), der die Verabschiedung des Cannabisgesetzes mit der Einführung der schwachen "eingetragenen Partnerschaft" 2001 vergleicht, die aber den Weg für die 2017 beschlossene "Ehe für Alle" ebnete. Auch jetzt reagiere der Gesetzgeber wieder auf eine gesellschaftliche Realität, trete den Betroffenen mit Respekt gegenüber und passe die Rechtslage an. Auch Frederik Schindler (WamS) findet es "gut und wichtig, dass Cannabis-Konsumenten künftig nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden und zumindest einen Teil des schädlichen Schwarzmarkt-Stoffs durch risikoärmere Alternativen ersetzen können". Das Gesetz, so wie es jetzt ist, könne nur der Anfang sein, kommentiert Bernd Pickert (Sa-taz). Die "2. Säule", also Anbau und Verkauf unter staatlicher Lizenz, müsse so schnell wie möglich dazukommen, und nicht nur in wenigen punktuellen Modellprojekten. Kritischer sieht es Jasper von Altenbockum (Sa-FAZ), der die Bedenken aufzählt, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gegen die Liberalisierung "routiniert beiseite gewischt" habe: "Neue Suchtgefahren für Jugendliche? Gesundheitsgefährdung? Keinerlei realistische Möglichkeiten einer Kontrolle? Hoher Verwaltungsaufwand?"

Resilienz des BVerfG: Am Freitagnachmittag machte CDU-Fraktions-Chef Friedrich Merz einen halben Rückzieher: Wenn es geeignete Vorschläge gebe, das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen, sei er "selbstverständlich für eine Diskussion offen".  Er reagierte damit auf vielfältige Kritik am Abbruch der Gespräche über eine Grundgesetzänderung durch die CDU/CSU-Fraktion. Auch die Rechtspolitiker:innen der CDU/CSU hatten den überraschenden Gesprächsabbruch skeptisch gesehen. Es berichten Sa-FAZ (Stephan Klenner), Sa-taz (Christian Rath) und spiegel.de (Jonas Schaible). 

Die Union wisse nicht, was sie wolle, kommentiert Julian Sadeghi (zeit.de). Besserer Schutz, ja oder nein? Oder nur, wenn auch das Wahlrecht in die Verfassung kommt? Man könne nicht anders, als sich verwundert am Kopf zu kratzen angesichts so viel Uneinheitlichkeit.

BVerfG/elektronischer Rechtsverkehr und Richteranklage: Der Bundestag hat am Donnerstagabend zwei Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) beschlossen. Zum einen wird der elektronische Rechtsverkehr mit dem Bundesverfassungsgericht eingeführt, zum Anderen wird die Frist für eine Richteranklage von zwei auf fünf Jahre verlängert. LTO berichtet.

Digitale Verwaltung: Der Bundestag hat am Freitag die Novelle des Onlinezugangsgesetzes verabschiedet, das unter anderem einen einklagbaren Rechtsanspruch auf elektronischen Zugang zu Verwaltungsleistungen des Bundes ab 2029 vorsieht. Außerdem soll das Bundesinnenministerium binnen zwei Jahren einheitliche Standards für die Digitalisierung der Verwaltung entwickeln. beck-aktuell und netzpolitik.org (Esther Menhard) berichten.

Elektronische Beurkundung: Das Bundesjustizministerium hat einen Referentenentwurf veröffentlicht, nach dem künftig Beurkundungen auch im Präsenzverfahren elektronisch möglich sein sollen. Vorgesehen sei, dass die Urkundsperson die Niederschrift unmittelbar als elektronisches Dokument aufnehmen kann, berichtet beck-aktuell. Die Beteiligten unterschreiben die elektronische Niederschrift auf einem elektronischen Hilfsmittel, etwa einem Unterschriftenpad oder einem Touchscreen, oder nutzen eine qualifizierte elektronische Signatur. Abschließend signiert die Urkundsperson die Niederschrift qualifiziert elektronisch.

Meinungsfreiheit: Rechtsprofessor Arnd Diringer befürchtet in seiner WamS-Kolumne, dass die Freiheit durch die derzeitige Regierungskoalition "meterweise ermordet" werde und bezieht sich dabei insbesondere auf das geplante Selbstbestimmungsgesetz und das darin enthaltene, auch für Private geltende Offenbarungsverbot und die ebenfalls geplanten Änderungen im Schwangerschaftskonliktgesetz, wonach die so genannte "Gehsteigbelästigung" als Ordnungswidrigkeit geahndet werden soll. Wenn die Gefühle derjenigen, die sich von abweichenden Ansichten oder der Realität gestört fühlten, über das Menschenrecht der Meinungsfreiheit gestellt und sogar Tatsachenäußerungen sanktioniert werden, sei das brandgefährlich, warnt Diringer.

Suizidhilfe für psychisch Kranke: Barbara Dribbusch (Mo-taz) fordert, dass bei der Suizidhilfe für psychisch Kranke nicht nur der helfende Arzt die Freiverantwortlichkeit des Suizidwillens feststellt, sondern auch ein:e zweite Ärzt:in, am besten eine Psychiater:in. Anlass ist ein bereits beendetes Verfahren vor dem Landgericht Essen und ein noch laufendes Verfahren vor dem Landgericht Berlin I, in denen sich jeweils ein Arzt dafür verantworten muss(te), Menschen mit psychischen Erkrankungen beim Suizid geholfen zu haben.

IStGH: Im Verfassungsblog spricht sich Isabelle Hassfurther vom European Center for Constitutional and Human Rights (in englischer Sprache) für eine Reform des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs aus. Das derzeitige Gerichtsstandsregime lasse Lücken, die in den letzten zwei Jahren schmerzlich sichtbar geworden seien, kritisiert die Autorin. Vor allem in Bezug auf das Verbrechen der Aggression sei eine Reform längst überfällig.

Justiz

OVG NRW – Verdachtsfall AfD: Die Bedeutung des Thüringer AfD-Landesparteivorsitzenden Björn Höcke für die Bundespartei wird eine der zentralen Fragen sein, mit der sich das Oberverwaltungsgericht Münster laut Sa-SZ (Christoph Koopmann/Ronen Steinke u.a) am 12. März im Verfahren um die Einstufung der AfD-Bundespartei als "Verdachtsfall" durch den Verfassungsschutz befassen muss. "Ist der Rechtsextremist Höcke nur eine 'Einzelperson' in der AfD und der Co-Vorsitzende eines vergleichsweise kleinen Landesverbandes, wie die AfD-Anwälte behaupten oder doch der einflussreiche Strippenzieher in der Partei, wie die Anwälte des Verfassungsschutzes argumentieren?"

LG Hamburg – Remigrations-Treffen: Der Privatdozent und AfD-Anwalt Ulrich Vosgerau hat vor dem Landgericht Hamburg gar nicht die Kernaussagen des Correctiv-Berichts über ein Rechtsextremistentreffen in Potsdam angegriffen, sondern nur die ihm zugeschriebenen Aussagen zu jungen Türkinnen und Wahlbeschwerden. Die von beiden Seiten vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen zu den Kernaussagen des Correctiv-Berichts dienen nach Recherchen von LTO (Felix W. Zimmermann) nur der Litigation-PR. Denn sowohl Vosgerau als auch Correctiv gehen davon aus, dass es sich bei Aussagen wie "Ihr wichtigstes Ziel: 'Menschen sollen aufgrund rassistischer Kriterien aus Deutschland vertrieben werden können – egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht.'" um Werturteile handele und nicht um Tatsachenäußerungen.

LG Berlin II zu Olaf-Scholz-Deep-Fake: Die Bundesregierung hat vor dem LG Berlin II erfolgreich ein Video des Künstlerkollektivs "Zentrum für Politische Schönheit" (ZPS) verbieten lassen, in dem die Stimme von Olaf Scholz ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD ankündigt. Die gesamte Gestaltung des Videos sei nicht nur dazu geeignet, sondern gerade darauf gerichtet, mit einer offiziellen Regierungserklärung verwechselt zu werden, so das Gericht laut LTO in der Eilentscheidung. Laut Rechtsanwalt Thorsten Feldmann werde das ZPS den Beschluss nicht hinnehmen und "eine grundsätzliche Klärung anstreben".

LG Detmold zur Tötung eines Obdachlosen: Das Landgericht Detmold hat, wie die Sa-FAZ (Reiner Burger) berichtet, drei 15-jährige Jugendliche für die Tötung eines Obdachlosen zu Freiheitsstrafen zwischen fünf und sechseinhalb Jahren verurteilt. Der Anklagevorwurf des Mordes aus Heimtücke ließ sich nicht belegen, denn bei dem Angriff sei das Opfer nicht mehr arglos gewesen. Einer der drei unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehenden Jungen hatte die Tat gefilmt und an Freunde geschickt, so kamen die Ermittler dem Trio auf die Spur.

LG Braunschweig – Christian B.: Vom zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen Christian B., der verdächtigt wird, 2007 in Portugal die drei Jahre alte Madeleine McCann ("Maddie") getötet zu haben, sich jetzt aber wegen mehrerer anderer Straftaten, darunter drei Vergewaltigungen, rechtfertigen muss, berichten Sa-FAZ (Reinhard Bingener) und spiegel.de (Julia Jüttner). In seinem "opening statement" habe der Hauptverteidiger des Angeklagten die Tatvorwürfe zurückgewiesen und von einer Vorverurteilung seines Mandanten gesprochen.

LG Berlin I zu Tötung von Mohamed Rabih: Das Landgericht Berlin I hat in der vergangenen Woche das Urteil gegen Omar O. verkündet, der auf dem Volksfest "Neuköllner Maientage" den 25-jährigen Boxer Mohamed Rabih niedergestochen und dabei tödlich verletzt hat. Die Jugendstrafkammer verhängte eine Jugendstrafe von acht Jahren. Der Angeklagte sei wegen eines vorherigen Messerangriff des späteren Opfers "auf Rache" aus gewesen, stellte das Gericht fest. Zusammen mit Freunden sei er auf den verhassten Gegner losgegangen. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.

LG Bielefeld zu "#Bielefeldmillion": Das Landgericht Bielefeld hat bereits im September die Klage eines Gewinnspielteilnehmers abgewiesen, der das von der Stadt Bielefeld ausgelobte Preisgeld von einer Million Euro für den Nachweis der Nicht-Existenz der Stadt Bielefeld einklagen wollte, berichtet jetzt LTO. Er will bewiesen haben, dass es die Stadt Bielefeld tatsächlich nicht gebe. Das Gericht meinte allerdings, dass es nach der Veröffentlichung aller zum Wettbewerb erfolgten Texte des Stadtmarketings und auch der Teilnahmebedingungen deutlich gewesen sei, dass es sich um eine scherzhafte Marketing-Aktion gehandelt habe. Der unterlegene Kläger muss nun nicht nur die Gerichtsgebühren im fünfstelligen Bereich, sondern auch noch die Anwaltskosten der Bielefeld Marketing GmbH zahlen.

LG Hamburg zu "Tony’s Chocolonely": Der Schokoladenhersteller Tony’s Chocolonely, der sich für fairen Handel und das Verbot von Kinderarbeit einsetzt, darf laut einer Entscheidung des Landgerichts Hamburg, über die die Sa-FAZ (Marcus Jung) schreibt, seine Schokoladen nicht mehr in lilafarbener Verpackung bewerben und in der EU verkaufen. Der US-Lebensmittelkonzerns Mondelez, dem die bekannte Marke "Milka" gehört, hatte eine entsprechende Unterlassungsverfügung beantragt. In einer aktuellen Kampagne bedient sich Tony’s Chocolonely der Farben und Verpackungen anderer bekannter Schokoladenmarken, wobei Tafeln jedoch den Namen Tony’s Chocolonely tragen.

LG Lübeck zu Aufklärungspflicht des Steuerberaters: Weil er seinen Mandaten nicht darüber aufgeklärt hatte, dass eine vom Finanzamt gewährte Steuerermäßigung nur einmalig in Anspruch genommen werden kann, muss ein Steuerberater jetzt Schadensersatz in Höhe von 220.000 Euro zahlen. Das hat das Landgericht Lübeck auf die Klage des früheren Mandanten hin festgestellt. beck-aktuell berichtet.

VG Schleswig zu Waffenschein/Rechtsrockfan: Das Verwaltungsgericht Schleswig hat den Entzug des Waffenscheins bei einem Besucher von Rechts-Rockkonzerten bestätigt. Der Mann war wegen zweifacher Teilnahme an dem Festival "Schild & Schwert" von den Verfassungsschutzbehörden als "subkulturell geprägter Rechtsextremist" eingestuft worden. Der Behauptung des Mannes, er habe von dem verfassungsfeindlichen Charakter des Festivals nicht gewusst, glaubte das Gericht laut LTO nicht.

SG Mainz zu Einzelzimmerkosten: Das Sozialgericht Mainz hat laut beck-aktuell in einem Rechtstreit über die Übernahme der Kosten für ein vom Patienten selbst gebuchtes Krankenhauseinzelzimmer festgestellt, dass die Krankenkasse die Extrakosten dafür nicht zahlen muss, und zwar unabhängig davon, ob die Einzelzimmer-Unterbringung medizinisch notwendig war oder nicht.

AG Berlin-Tiergarten zu Körperverletzung mit Rollator: Über einen ausgearteten Streit an einer Supermarktkasse hatte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten zu entscheiden. Eine Rentnerin hatte eine andere Kundin beleidigt, ausländerfeindlich beschimpft und mit ihrem Rollator verletzt. Sie wurde wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von einhundert Tagessätzen à 15 Euro verurteilt. Der Spiegel (Frauke Hunfeld) berichtet. 

Geständnisse im Strafprozess: Dass Geständnisse in Strafverfahren nicht unbedingt etwas mit der Wahrheit zu tun haben müssen, erläutert Ex-Bundesrichter Thomas Fischer in seiner spiegel.de-Kolumne. Tatsächlich sei das Geständnis im Strafprozess der Gegenwart ein unter vielfältigem Einfluss stehendes und von vielfältigen Interessen gesteuertes Ereignis. Die verbreitete Annahme, das Geständnis des Beschuldigten sei eine Garantie für die materielle und prozessuale Richtigkeit des Verfahrensergebnisses, treffe unter dem Regime der formellen und informellen "Absprachen" schon lange nicht mehr zu.

Recht in der Welt

Österreich – Sebastian Kurz: Der frühere österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wurde vom Wiener Landesgericht für Strafsachen zu einer Bewährungssstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte Kurz vorgeworfen, im Juni 2020 in einem Untersuchungsausschuss über seine Rolle bei Postenbesetzungen falsch ausgesagt zu haben. Dabei wurde Kurz nur in einem von drei Anklage-Vorwürfen wegen Falschaussage verurteilt. Kurz hat angekündigt, Rechtsmittel einzulegen. Mo-FAZ (Stephan Löwenstein) und spiegel.de berichten.

Ein Sieg sei das politisch ungemein aufgeladene Verfahren vor allem für den österreichischen Rechtsstaat gewesen, findet Cathrin Kahlweit (Mo-SZ). Ein früherer Kanzler, der zeitweilig wie ein Popstar und ein Heilsbringer verehrt worden war, habe zwölf Tage lang auf einer Anklagebank verbringen müssen. Wegen eines Vergehens, das im politischen Geschäft nicht selten ist: Er hatte vor einem parlamentarischen Kontrollorgan seine Rolle schöngeredet und es mit der Wahrheitspflicht nicht so genau genommen.

IGH – Russland/Ukraine: Die beiden Rechtswissenschaftler:innen Iryna Marchuk und Aloka Wanigasuriya widmen sich im Verfassungsblog (in englischer Sprache) dem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof, in dem sich die Ukraine gegen den von Russland erhobenen Vorwurfes eines Genozids an der russischsprachigen Bevölkerung der Ostukraine wehrt, mit dem der Angriffskrieg gerechtfertigt werden soll. Statt auf diese falschen Behauptungen Russlands sollte sich die Ukraine allerdings stärker auf die zehntausenden entführten Kinder konzentrieren und auf dieser Grundlage eine neue Klage gegen Russland unter der Völkermordkonvention anstrengen, regen die Autor:innen an.

Sonstiges

Russische Kriegsverbrechen in der Ukraine: Am Freitag hat beim Bundesjustizministerium eine internationale Konferenz zum Völkerstrafrecht stattgefunden, über die LTO (Franziska Kring/Oscar Genter) berichtet. Hochrangige Politiker:innen, Staatsanwält:innen und NGO-Vertreter:innen diskutierten über die strafrechtliche Aufarbeitung des Ukraine-Krieges – auf nationaler und internationaler Ebene. In der Ukraine sind bereits mehr als 120.000 Anzeigen zu möglichen Kriegsverbrechen registriert worden. In Deutschland wurden mehr als 500 Hinweise gesammelt und mehr als 160 Zeug:innen vernommen. Der ukrainische Generalstaatsanwalt Andriy Kostin hofft, dass noch in diesem Jahr die institutionellen Voraussetzungen für ein internationales Sondertribunal geschaffen werden.

Einstufung der AfD: Das Bundesamt für Verfassungsschutz bereitet eine Einstufung der AfD-Bundespartei als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" vor. Die Mo-SZ (Ronen Steinke) legt Indizien hierfür dar, nachdem sie interne Kommunikation des Bundesamts für Verfassungsschutz ausgewertet hat. Das Bundesamt warte nur noch auf mögliche rechtliche Hinweise in der bevorstehenden Entscheidung des OVG Münster zur Einstufung der AfD als Verdachtsfall. 

EU-Geldwäschebehörde: Die neue EU-Geldwäschebehörde AMLA ("Anti-Money Laundering Authority") soll in Frankfurt/M angesiedelt werden. Die Mo-SZ (Ronen Steinke) nimmt die Entscheidung zum Anlass und erläutert den Begriff der Geldwäsche.

 

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LTO/pf/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. bis 26. Februar 2024: . In: Legal Tribune Online, 26.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53962 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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