Die juristische Presseschau vom 25. Januar 2024: Gesetz­ent­wurf gegen "Geh­s­teig­be­läs­t­i­gungen" / Ände­rung des Streik­rechts? / Gesch­macks­mus­ter­schutz für Lego

25.01.2024

Belästigungen vor Abtreibungsinstitutionen sollen Ordnungswidrigkeit werden. CDU-Politiker:innen fordern Einschränkungen für Streiks in Daseinsvorsorge. Das EuG billigt Lego-Steinen Geschmacksmusterschutz zu.

Thema des Tages

Aktionen vor Abtreibungseinrichtungen: Die Bundesregierung will gegen sogenannte "Gehsteigbelästigungen" vor Schwangerschaftsberatungen, Kliniken und ähnlichen Einrichtungen vorgehen. Das Bundeskabinett beschloss einen entsprechenden Gesetzentwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). Er richtet sich gegen Aktionen von Abtreibungsgegner:innen vor Praxen und Beratungsstellen, die Hilfe suchende schwangere Frauen bedrängen. Künftig soll dies als Ordnungswidrigkeit geahndet werden können, bei Zuwiderhandlungen droht ein Bußgeld. In Bremen gibt es eine solche Regelung bereits, mit der geplanten Regelung in Schwangerschaftskonfliktgesetz soll jetzt eine bundeseinheitliche Regelung geschaffen werden. SZ (Nadja Lissok), taz (Nicole Opitz), spiegel.de und LTO berichten.

Nicole Opitz (taz) begrüßt die geplante Sanktionierung von Belästigungen vor Abtreibungseinrichtungen, betont jedoch, dass im Koalitionsvertrag in Bezug auf die Selbstbestimmung von Frauen deutlich mehr versprochen worden sei.

Schwangerschaftsabbruch: Im Interview mit der taz (Dinah Riese) erläutert Rechtsprofessorin Liane Wörner den Stand der Arbeiten jener Untergruppe der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission für reproduktive Rechte, die prüfen soll, ob Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafrechts geregelt werden können. Dabei werde der Spielraum ausgelotet, den der Gesetzgeber habe, um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch (neu) zu regeln, und welche Risiken er bei welcher Regelung eingehe, zB das Risiko neuer Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht.

Rechtspolitik

Streik: Unions-Politiker:innen haben sich für eine Änderung des Streikrechts ausgesprochen. Angesichts des aktuellen GDL-Streiks solle insbesondere in Bereichen kritischer Infrastruktur ein Streik erst nach einem verpflichtenden Schlichtungsverfahren zulässig sein, fordert beispielsweise die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Gitta Connemann. Außerdem müsste den Gerichten z.B. durch Regelbeispiele ein Rahmen für die "Angemessenheit" von Streikmaßnahmen vorgegeben werden. Die einschlägige arbeitsgerichtliche Rechtsprechung sei ihr zu arbeitnehmerfreundlich, meinte Connemann, es bedürfe klarer Spielregeln durch den Gesetzgeber. Die Rechtsprofessor:innen Lena Rudkowski und Michael Fuhlrott sehen für eine gesetzliche Regelung keine verfassungsrechtlichen Probleme. Ein solches Gesetz müsste allerdings bestimmte Grenzen einhalten. LTO (Hasso Suliak) berichtet.

Einbürgerung: Die drei "Antisemitismus-Filter", die jetzt in der vom Bundestag beschlossenen Reform des Einbürgerungsrechts enthalten sind, erläutert LTO (Max Kolter). Das für die Einbürgerung erforderliche Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird konkretisiert, zusätzlich müssen sich Einbürgerungskandidat:innen künftig "zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihren Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges" bekennen. Der dritte Filter ist ein "Antisemitismus-Check" durch die Staatsanwaltschaften: Bei bestimmten Straftaten, in denen eine antisemitische oder sonst menschenverachtende Motivation naheliegt, sind die Einbürgerungsbehörden künftig verpflichtet, eine Abfrage bei der zuständigen Staatsanwaltschaft vorzunehmen.

Sorge- und Umgangsrecht: spiegel.de (Heike Klovert) fasst das vorige Woche veröffentlichte Eckpunktepapier von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) für eine Reform im Umgangs- und Sorgerecht zusammen. U.a. ist vorgesehen, dass getrennte Eltern künftig Vereinbarungen über die Aufteilung der Betreuung ihres Kindes beurkunden und damit der sofortigen Vollstreckbarkeit unterwerfen lassen können. Das Wechselmodell soll gerichtlich angeordnet werden können, wenn das dem Kindeswohl entspricht. Und es soll gesetzlich klargestellt werden, dass ein Familiengericht in Umgangsverfahren "etwaige Anhaltspunkte für häusliche Gewalt gegenüber dem Kind und/oder dem anderen Elternteil und deren Auswirkungen umfassend und systematisch ermittelt und eine Risikoanalyse vornimmt".

Verkehrsgerichtstag – Punktehandel: Beim diesjährigen Verkehrsgerichtstag geht es unter anderem um den florierenden "Punktehandel". Im Internet vermitteln dubiose Anbieter Strohmänner oder -frauen, die Punkte, die wegen Verkehrsverstößen verhängt wurden, gegen Bezahlung auf sich nehmen. spiegel.de (Lukas Kissel) beschreibt das Geschäftsmodell. Der Verkehrsrechtler Markus Schäpe vom ADAC fordert ein Handeln des Gesetzgebers. Diese Lücke müsse unbedingt geschlossen werde.

Themen des Verkehrsgerichtstags: Darüber hinaus befassen sich laut LTO die Juristen auf der Tagung mit möglichen Sanktionsverschärfungen nach Trunkenheitsfahrten und mit Rechtsfolgen für Unfallflucht.

Finanzgerichtstag - Videoverhandlungen: Vom diesjährigen Finanzgerichtstag berichtet LTO (Tanja Podolski). Es ging am Montag u.a. um Videoverhandlungen und den Einsatz von KI. Kritik am kürzlich vom Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Förderung von Videokonferenzen übte bei der Veranstaltung NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). Er sehe es kritisch, dass Videoverhandlungen zum Regelfall werden und auf Anregung eines Beteiligten angeordnet werden sollten.

BayVerfGH-Richterwahl: Der bayerische Landtag hat mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern 15 ehrenamtliche Richter:innen für das Landesverfassungsgericht gewählt – darunter 2 Kandidaten der AfD. SPD und Grüne hatten gegen die Liste gestimmt und damit auch gegen ihre eigenen Kandidat:innen. Ausschlaggebend für die Zustimmung von CSU und Freien Wählern sei die Sorge um die Arbeitsfähigkeit des höchsten bayerischen Gerichts gewesen – zumal den ehrenamtlichen Richter:innen in der täglichen Praxis ohnehin keine große Bedeutung zukomme. spiegel.de und LTO berichten.

Justiz

EuG zu Lego: Das Gericht der Europäischen Union hat Lego in einem Rechtsstreit mit einem deutschen Unternehmen recht gegeben. In der Auseinandersetzung mit Delta Sport ging es darum, ob das Aussehen von Lego-Steinen vor allem technischer Natur sei. Bislang haben Gerichte diese Frage bejaht und es somit anderen Unternehmen – die ihre Produkte in der Regel günstiger anbieten – ermöglicht, ebenfalls Klemmbausteine herzustellen und zu verkaufen. Delta Sport hatte daher beantragt, das Geschmacksmuster für den Lego-Stein zu löschen. Die entsprechende Entscheidung des EU-Markenamt lehnte das EuG jetzt aber ab. Ein Design sei nur dann wegen seiner Funktion als Verbindungselement nicht schützenswert, wenn sämtliche Design-Merkmale dem Zweck dienten, das Produkt mit einem anderen Produkt zu verbinden. Dies sei bei dem Design des Lego-Steins in Bezug auf ein Merkmal gerade nicht der Fall: Die glatte Oberfläche des Klemmbausteins diene gerade nicht der Verbindung und sei deshalb nicht vom Schutz ausgenommen. FAZ (Marcus Jung), spiegel.de und LTO berichten.

BVerwG zu Fortbildung für Personalrat: Ein Masterstudiengang ist zur Schulung eines Personalrats nicht erforderlich, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Prinzipiell entscheide zwar der Personalrat in eigener Kompetenz, welches seiner Mitglieder welcher Schulungen bedarf. Allerdings müsse die Fortbildung am Sinn und Zweck ausgerichtet sein, wonach die Weiterbildung dazu befähigen soll, Beteiligungsrechte im Interesse der Beschäftigten sachgerecht wahrzunehmen. Ein Studium gehe darüber hinaus. beck-aktuell berichtet.

OLG Frankfurt/M. zu IS-Mitglied: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat eine 39 Jahre alte Frau wegen Kriegsverbrechen und wegen der Mitgliedschaft in der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Laut FAZ war das Gericht der Auffassung, die Angeklagte habe die Kampfhandlungen, an denen ihr Mann beteiligt war, befürwortet und ihn unterstützt, indem sie den Haushalt führte, ihn versorgte und ihm damit ermöglichte, sich auf seine Tätigkeit als Kämpfer der Vereinigung zu konzentrieren. Außerdem habe die Frau sich darum bemüht, weitere IS-Mitglieder anzuwerben, wofür sie auch Hilfe bei der Ausreise aus Deutschland angeboten habe.

LG Magdeburg zu Zugang zu AfD-Veranstaltung: Das Landgericht Magdeburg hat laut spiegel.de in einer Eilentscheidung entschieden, dass Journalisten des rbb Zugang zu einer AfD-Veranstaltung zu gewähren ist. Die Partei hatte mit der Begründung, es würden nur "seriöse Journalisten" zugelassen, einem Team der Sendung "Report" die Drehgenehmigung verweigert. Den AfD-Fraktionsvorsitzenden Ulrich Siegmund und Oliver Kirchner wurde ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht, sollten sie den Reportern den Zutritt zu der Veranstaltung verwehren oder ihnen die Berichterstattung nicht im gleichen Umfang wie anderen Medien gestatten.

LG Hof – Tod im Kinderheim: Die Zeit (Astrid Geisler) berichtet über einen vor dem Landgericht Hof anstehenden Prozess um den Tod einer Zehnjährigen in einem Kinderheim. Das Mädchen soll vorübergehend in dem Heim untergebracht worden sein und wurde nach den bisherigen Erkenntnissen von einem Erwachsenen sexuell missbraucht und später durch einen Elfjährigen getötet. Im Strafprozess werde es auch um das Versagen der staatlichen Stellen gehen.

LG Mönchengladbach – Diabetes-Tod auf Studienfahrt: Vom Fortgang des Prozesses gegen zwei Lehrerinnen wegen des Todes einer diabeteskranken Schülerin während einer Studienfahrt berichten SZ (Jana Stegemann) und spiegel.de (Julia Jüttner). Mitschüler:innen berichteten, dass sie die Lehrkräfte über die schlechte gesundheitliche Verfassung des Mädchens informierten, diese aber nicht angemessen reagiert hatten.

LG Stendal – Geiselnahme durch Attentäter: Stephan Balliet, der Attentäter von Halle, muss sich ab diesem Donnerstag vor dem Landgericht Stendal wegen einer Geiselnahme verantworten. Er soll im Dezember 2022 versucht haben, aus der Justizvollzugsanstalt Burg zu entkommen und im Verlauf der Tat mithilfe eines selbst gebauten Schussapparats Justizbedienstete als Geiseln genommen, sie zum Öffnen von Türen gezwungen haben und so bis zur Ausgangsschleuse des Gefängnisses gelangt sein. Die FAZ (Reinhard Bingener) berichtet.

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Im Wirecard-Prozess vor dem Landgericht München I hat jetzt der aus Malaysia angereiste Manager Yoshio Tomiie ausgesagt, der mehrere Jahre für eine der so genannten Drittpartner-Firmen tätig war, über die angebliche Kreditkartenzahlungen in Asien abgewickelt wurden. Nach der von Dolmetscher:innen übersetzten Aussage des Managers hatte die Drittpartner-Gesellschaft Senjo Payment aber weder die Technik noch das Personal noch die Lizenz, um Zahlungsverkehr abzuwickeln. FAZ (Marcus Jung), SZ (Johannes Bauer und Stephan Radomsky), Hb (René Bender/Annika Keilen u.a.), spiegel.de und LTO berichten.

LG Frankfurt/M. zu Mietwagen-Strafzettel: Das Landgericht Frankfurt/M. hat die Klausel eines Mietwagenunternehmens für unwirksam erklärt, die für die Bearbeitung von Strafzetteln ausnahmslos eine pauschale Gebühr von 40 Euro vorsah. Entgegen der gesetzlichen Regelung verwehre eine solche Klausel dem Kunden den Nachweis, dass kein oder ein geringerer Schaden entstanden ist, so das Gericht laut beck-aktuell.

Unabhängiger Kontrollrat: Josef Hoch, der Präsident des Unabhängigen Kontrollrats (zur Kontrolle der technischen Aufklärung des BND), erläutert im Interview mit beck-aktuell (Tobias Freudenberg), dass er sein Gremium der Judikative und nicht der Exekutive zurechnet, weil es mit ehemaligen Bundesrichter:innen besetzt ist, konkrete Fälle bearbeitet und unabhängig anhand des Gesetzes entscheidet. Konkrete Ablehnungsquoten seien wenig aussagekräftig, weil der UKR den BND schon durch seine bloße Existenz und durch seine Verhandlungen zu gesetzeskonformen Anträgen anhält. 

Recht in der Welt

Polen – Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit: Die Zeit (Heinrich Wefing) widmet sich ausführlich der Situation in Polen, wo gerade versucht wird, die illiberale Umwandlung des Rechtsstaates durch die PiS-Regierung wieder rückgängig zu machen. Dabei stelle sich die Frage, so der Autor: "Kann man einen demolierten Rechtsstaat wiederaufbauen, ohne selbst das Recht zu brechen?"

EGMR/Griechenland – Umgang mit Schutzsuchenden: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat, so die SZ (Tobias Zick), Griechenland innerhalb weniger Tage zweimal wegen seines konventionswidrigen Umgangs mit Schutzsuchenden verurteilt. Aktuell gab der EGMR einem aus Afghanistan stammenden Kläger recht, der im Winter 2018/19 als damals noch minderjähriger Asylsuchender in Athen monatelang der Obdachlosigkeit ausgeliefert war, ohne regelmäßigen Zugang zu Trinkwasser, Nahrung und einer Toilette. Vorige Woche war Griechenland verurteilt worden, weil ein Beamter der griechischen Küstenwache im September 2014 auf das Boot syrischer Flüchtlinge schoss,  nachdem das Boot der Flüchtlinge trotz mehrfacher Aufforderung und in die Luft gefeuerter Warnschüsse nicht stoppte. Dabei war ein Flüchtling in den Kopf getroffen worden und später gestorben.

Es sei hilfreich, dass die Justiz mit solchen Entscheidungen gelegentlich daran erinnere, dass es Grundrechte gebe, die auch an den äußeren Rändern Europas gelten, schreibt Tobias Zick (SZ) in einem separaten Kommentar. Es gebe gute Gründe dafür, das "Grenzmanagement" an Europas Rändern zu verbessern. Aber besser heiße dann eben auch: auf Basis von Recht und Gesetz statt anarchischer Gewalt.

Sonstiges

Resiliente Demokratie: Rechtsprofessor Friedhelm Hufen erläutert in der FAZ, warum aus seiner Sicht die "Mechanismen der streitbaren Demokratie" zum Schutz des Rechtsstaates ausreichen und selbst angesichts der Umfrageergebnisse und Wahlerfolge der AfD keine Gefahren für die Demokratie drohten. Nicht zuletzt seien die bundesstaatlichen Strukturen "Sicherheitsschlösser streitbarer Demokratie".

Tag des bedrohten Anwalts: Dem gestrigen Internationalen Tag des bedrohten Anwalts widmet sich LTO. Seit 1977 gibt es diesen Gedenktag, auch DAV und CCBE erinnern jährlich daran. Neben Journalisten seien mittlerweile auch Rechtsanwälte weltweit massiven Bedrohungen ausgesetzt, so der DAV, und das nur, weil sie ihren Berufspflichten nachkämen.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/pf/chr

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 25. Januar 2024: . In: Legal Tribune Online, 25.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53717 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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