Gesetzentwurf für geschlechtliche Selbstbestimmung geht in die Ressortabstimmung. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf verpflichtet Pornoportale zur Alterskontrolle. In Hamburg wird gegen einen Mitarbeiter der Waffenbehörde ermittelt.
Thema des Tages
Geschlechtliche Selbstbestimmung: Wie zeit.de (Katharina Schuler) berichtet, haben sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) auf den Referentenentwurf für das geplante Selbstbestimmungsgesetz geeinigt, der nun in die Ressortabstimmung geht. Nach dem Entwurf soll für die Änderung des Geschlechtseintrags keine gerichtliche Entscheidung oder ärztliche Begutachtung mehr notwendig sein, sondern lediglich eine einfache Erklärung beim Standesamt. Diese wird drei Monate nach der Abgabe wirksam, wobei der Änderungswunsch in der Zwischenzeit noch ohne Folgen zurückgenommen werden kann. Nach der Änderung des Geschlechtseintrags oder des Vornamens soll für eine neuerliche Änderung dann eine Sperrfrist von einem Jahr gelten. Auch Kinder und Jugendliche sollen unter bestimmten Voraussetzungen von der Möglichkeit Gebrauch machen können. Eine Änderung soll keinen Einfluss auf Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen haben, wo der individuelle Bedarf ausschlaggebend sei. Ferner soll man sich im Kriegsfall durch einen Änderungsantrag nicht dem Dienst an der Waffe entziehen können. Der Entwurf enthält keine Regelungen zum Strafvollzug, weil die Gesetzgebungskompetenz hierfür bei den Ländern liegt. Auch zur Einstufung bei sportlichen Wettbewerben regelt der Entwurf nichts, sodass die Sportverbände selbst darüber entscheiden können. In der Begründung des Entwurfs wird das Hausrecht von Saunabetreiber:innen betont.
Rechtspolitik
StGB: Die Welt (Constantin van Lijnden) gibt in ihrem Tagesthema einen Überblick über den Stand der von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) geplanten "Entrümpelung des Strafrechts". Bisher habe sich Buschmann bei der Konkretisierung der Reform sehr zurückgehalten und nur die Beseitigung sprachlicher Überbleibsel aus der NS-Zeit forciert. Neben der angedachten Abschaffung der Strafbarkeit der Fahrerflucht bei Blechschäden und vielleicht auch des Schwarzfahrens sei es auch angezeigt, den "Gotteslästerungsparagraphen" § 166 StGB und den Beischlaf mit Verwandten in § 173 StGB zu hinterfragen. Zudem sollte sich der Exhibitionismus-Paragraf heutzutage nicht mehr nur an Männer als Täter richten, sondern auch an Frauen.
Dokumentation der Hauptverhandlung: Rechtsanwalt Rainer Hamm fasst auf beck-aktuell in groben Zügen die bisherige Debatte zur Dokumentation der Hauptverhandlung in Strafprozessen zusammen. Wem nach der jüngsten Umformulierung des Gesetztesentwurfs hin zur bloßen fakultativen Möglichkeit einer Videoaufnahme neben der Audioaufnahme "an der Beseitigung des geltenden Missstandes wirklich gelegen" sei, könne darauf nur ausrufen: "Bitte dann wenigstens das so schnell wie möglich!"
Gendern in der Rechtssprache: FAZ-Einspruch veröffentlicht einen preisgekrönten Aufsatz des wissenschaftlichen Mitarbeiters Johannes Forck, der sich satirisch mit der eventuell kommenden Gendersprache in deutschen Gesetzen befasst. Darin unterhalten sich personifizierte Paragraphen über ihre mögliche gendergerechte Anpassung. § 211 StGB fragt sich zum Beispiel mit Blick auf das Partizip als Zustandsform: "Wenn unsere Sprache gesellschaftliche Wirklichkeit gestaltet, bin ich dann dafür verantwortlich, dass durch den Begriff ‘Mordende‘ eine neue Realität mit nicht mehr zu stoppenden Triebtätern entsteht?"
Justiz
VG Düsseldorf zu Jugendschutz auf Pornoseiten: Vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf ist nach über vier Jahren ein Rechtsstreit zwischen deutschen Jugendschutzbehörden und den Pornoportalen Pornhub, YouPorn und Mydirtyhobby, die allesamt zum Konzern Mindgeek gehören, zugunsten der Behörden entschieden worden. Die in Zypern sitzenden Portale hatten geklagt, weil sie sich nicht an die Vorgaben der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) und der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) halten wollten, wonach sie eine Altersüberprüfung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen implementieren müssen. Die Anwälte der Portale hatten erfolglos versucht, mit dem Herkunftslandprinzip zu argumentieren, wonach für Internetanbieter aus einem EU-Mitgliedstaat grundsätzlich nur die dortigen Regeln gelten. Den Jugendschutz gewichtete das VG jedoch höher. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Entscheidung ließ das VG eine Berufung zu. Es berichten FAZ (Anna Vollmer) und spiegel.de.
Till Reimer-Stoldt (Welt) kommentiert, dass die LfM NRW mit diesem Erfolg nun Provider wie die Deutsche Telekom auffordern könne, betroffene Pornoseiten abzuschalten. Gleichzeitig sei es jetzt erforderlich, dass die deutsche Familien- und Jugendpolitik eine Wende einleite und die LfM mit aller Kraft unterstütze.
GenStA Hamburg – Amoktat bei Zeugen Jehovas: Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg ermittelt nach der Amoktat mit acht Toten bei den Hamburger Zeugen Jehovas Anfang März gegen einen Mitarbeiter der Waffenbehörde wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in sechs Fällen sowie der fahrlässigen Körperverletzung im Amt in 14 Fällen. Er soll Informationen über den psychischen Zustand des späteren Amoktäters Philipp F. innerhalb der Behörde nicht korrekt weitergeleitet haben. Außerdem werde gegen drei Mitglieder des Waffen-Prüfungsausschusses von F.s Schützenverein wegen Falschbeurkundung im Amt ermittelt. Sie sollen Philipp F. "blanko" ein auf den 28. April 2022 datiertes Sachkundezeugnis ausgestellt haben, obwohl er die praktische Sachkundeprüfung nicht bestanden hat. Es berichten taz-Nord (André Zuschlag), spiegel.de, bild.de (Tatjana Kaa/Noel Altendorf u.a.) und LTO.
EuGH – Fremdkapitalverbot für Anwaltskanzleien: Der Bayerische Anwaltsgerichtshof (AGH) hat beim Europäischen Gerichtshof ein Verfahren zum deutschen Fremdkapitalverbot bei Rechtsanwaltsgesellschaften vorgelegt. Der AGH hat erhebliche Bedenken, ob das strikte Verbot europarechtlich in Bezug auf die Freiheit des Kapitalverkehrs, die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt ist. Die Rechtsanwaltskammer (RAK) München hatte im November 2021 die Zulassung der Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft wegen einer Abtretung von Gesellschafteranteilen an eine österreichische GmbH widerrufen. LTO (Martin W. Huff) berichtet.
BGH zu Kündigung von Hochzeitsfotografin/Corona: Der Bundesgerichtshof hat den Leistungsanspruch einer Fotografin bejaht, die im August 2020 in Hessen für eine Hochzeit zu einem Preis von 2.500 Euro engagiert, später aber wieder gekündigt wurde, weil die Hochzeit unter Hinweis auf die Corona-Pandemie verschoben wurde. Der BGH sieht keine Unmöglichkeit der Leistung, weil die zu diesem Zeitpunkt geltende hessischen Corona-Verordnung kirchliche Trauungen prinzipiell zuließ. Für Handwerkstätigkeiten und Dienstleistungen wie das Fotografieren galt nur die Vorgabe, dass Körperkontakt zu vermeiden und Abstand zu halten ist. Eine Störung der Geschäftsgrundlage liege ebenfalls nicht vor. Es berichten spiegel.de, tagesschau.de (Klaus Hempel) und LTO.
BGH – KZ-Wachmann Sachsenhausen: Der frühere KZ-Wachmann Josef S., der wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 3500 Häftlingen des Konzentrationslagers Sachsenhausen vom Landgericht Neuruppin zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war, ist gestorben. Der 102-Jährige hatte im Juni vergangenen Jahres Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt, die sich damit nun erledigt hat. Die FAZ und Welt berichten.
OLG Düsseldorf zu Werbung für Eierlikör: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat dem niedersächsischen Spirituosenherstellers Nordik das Recht zugestanden, Eierlikörflaschen mit dem Zusatz "Ei, Ei, Ei, Ei, Ei" zu bewerben. Die geschützte Wortmarke "Eieiei" und der Slogan "Eieiei Verpoorten" des Wettbewerbers Verpoorten würden dadurch nicht verletzt. Der Zusatz weise lediglich auf das "Ei" als Kernzutat von Eierlikör hin. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Es berichten SZ (Felicitas Wilke), Welt und LTO.
LG Wiesbaden - Cum-Ex/Hanno Berger: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. hat im Cum-Ex-Prozess gegen den Steueranwalt Hanno Berger vor dem Landgericht Wiesbaden in ihrem Plädoyer wegen schwerer Steuerhinterziehung eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten gefordert. Aus dem Vermögen von Berger und einem Nebenbeteiligten sollen zudem jeweils 1,15 Millionen Euro Taterträge eingezogen werden. Ein Urteil wird am 30. Mai erwartet. Im Dezember war Berger bereits vom LG Bonn zu acht Jahren Haft verurteilt worden, wogegen Berger eine Revision angekündigt hat. Es berichten FAZ (Marcus Jung) und LTO.
LG Itzehoe – Messerangriff im Zug: Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hat Anklage gegen den Palästinenser Ibrahim A. erhoben, der Ende Januar in einem Regionalzug in Brokstedt mit einem Messer zwei junge Menschen getötet und fünf weitere verletzt hat. Die Anklage lautet auf Mord in zwei Fällen und auf versuchten Mord in vier Fällen, wobei jeweils von den Mordmerkmalen der niedrigen Beweggründe und der Heimtücke ausgegangen wird. Es berichten FAZ (Julian Staib), spiegel.de und zeit.de.
LG München I – "Badewannenmord": Am zweiten Prozesstag des wiederaufgenommenen Mordprozesses gegen den Hausmeister Manfred Genditzki wurden vierzehn Jahre nach dem Tod eine Polizistin und eine Pflegerin als Zeuginnen vernommen. Deren Aussagen seien recht verschwommen gewesen, wie spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet.
AG Berlin-Tiergarten zu rassistischem Angriff auf Dilan Sözeri: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat vier Personen verurteilt, die die 17-jährige Dilan Sözeri in einer Berliner Tram und an einer Haltestelle rassistisch beleidigt und angegriffen hatten. Als Täterinnen wurden zwei Frauen wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen auf Bewährung zwischen sechs und acht Monaten verurteilt. Ein 14-fach vorbestrafter Mann aus der rechten Szene erhielt wegen Beihilfe sechs Monate auf Bewährung und ein weiterer Mann wegen Bedrohung eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen á 55 Euro. Eine rassistische Motivation sah die Richterin nur bei einer der beiden Frauen als erwiesen an. Zwei weitere Personen wurden freigesprochen. Es berichten SZ (Verena Mayer), taz (Gareth Joswig), Welt und spiegel.de.
AG Berlin-Tiergarten zu Klimaprotest: Nun berichten auch zeit.de und LTO, dass das Amtsgericht Berlin-Tiergarten erstmals in Berlin eine (viermonatige) Freiheitsstrafe ohne Bewährung gegen eine Klima-Aktivistin ausgesprochen hat. Die aus Bayern stammende Frau hatte sich im vergangenen Sommer in der Berliner Gemäldegalerie am Holzrahmen eines Gemäldes festgeklebt und sich zudem an einer Straßenblockade beteiligt.
Recht in der Welt
USA – Disney-World/DeSantis: Das Unternehmen Walt Disney Parks klagt gegen Floridas republikanischen Gouverneur Ron DeSantis, weil er angekündigt hat, den Park strenger zu kontrollieren und ihm seine historische Selbstverwaltung zu streichen. In der Klage ist von einer "gezielten Vergeltungskampagne der Regierung" die Rede, die auf eine klare Positionierung des Unternehmens gegen das vor kurzem verabschiedete "Don’t say gay-Gesetz" reagiere. Das Gesetz verbietet in Floridas Grundschulen die Aufklärung über sexuelle Orientierung und Genderidentität. Es berichten SZ (Peter Burghardt) und FAZ (Roland Lindner).
USA – Trump/E. Jean Carroll: Über die Zeugenaussage der Autorin E. Jean Carroll in einem Zivilprozess gegen Donald Trump, bei der sie schildert, wie sie Mitte der 1990er-Jahre in der Umkleidekabine eines Kaufhauses von Trump vergewaltigt wurde, berichtet nun auch die SZ (Christian Zaschke) und mit einem noch ausführlicheren Beitrag erneut spiegel.de (Marc Pitzke).
Kenia – Sexueller Missbrauch durch Deutschen: Im kenianischen Nakuru ist eine Anklage wegen sexuellem Missbrauch gegen den 62-jährigen Deutschen Harald D. erhoben worden. Auf seiner Farm in Kenia soll er mindesten zehn kenianische Jungs aufgenommen und über Jahre hinweg sexuell missbraucht haben. Dabei wurde D. in großem Umfang von der Kirchengemeinde Heilbronn-Sontheim und dem deutschen Verein Karunga finanziell unterstützt. In den 1980er-Jahren war er in Sontheim ehrenamtlicher Oberministrant und soll auch dort sexuelle Übergriffe auf Kinder verübt haben. spiegel.de (Heiner Hoffmann/Birte Mensing) berichtet ausführlich
Sonstiges
Klimaprotest/Notwehr: Auf dem JuWiss-Blog gibt der Diplomjurist Lars Nielsen eine Replik auf einen Blog-Beitrag von Jendrik Wüstenberg vom 11. April, der die mediale Berichterstattung über Klimaproteste kritisierte, die ein Notwehrrecht der Autofahrer:innen relativiere und aushöhle. Nielson weist darauf hin, dass gerade die Existenz einer Notwehrlage und die Gebotenheit der Notwehrhandlung in Frage stehen und durch die mediale Berichterstattung versucht werde, eine Putativnotwehr oder einen intensiven Notwehrexzess zu vermeiden.
Das Letzte zum Schluss
Trinken ist wichtig: In der südspanischen Stadt Murcia hat ein Gericht ein Unternehmen dazu verurteilt, eine Kündigung gegen einen recht durstigen Elektriker zurückzunehmen oder ihn mit 47.000 Euro zu entschädigen. Ihm war gekündigt worden, weil er in der Mittagspause bis zu drei Liter Bier konsumierte. Damit gefährde er seine eigene Gesundheit und auch die von Kollegen, argumentierte das Unternehmen. Für Mängel an der Arbeitsleistung sah das Gericht jedoch keine Beweise. Zudem werde es in der Region sehr heiß und da müsse man auch viel trinken. Die FAZ berichtet.
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Am Dienstag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/tr/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 28. April 2023: . In: Legal Tribune Online, 28.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51655 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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