Der Generalbundesanwalt hat 25 Reichsbürger:innen festnehmen lassen, die einen Umsturz vorbereiteten. In München beginnt an diesem Donnerstag der Wirecard-Prozess. In Berlin sollen Gefangene mit reguliertem Internetzugang resozialisiert werden.
Thema des Tages
GBA – Umsturzpläne: Der Generalbundesanwalt hat 25 Personen aus der sogenannten Reichsbürgerszene in elf Bundesländern festnehmen lassen. die einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben sollen. 22 Personen wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, die anderen drei gelten als Unterstützer:innen. Ob auch ein "hochverräterisches Unternehmen" gem. § 83 StGB vorbereitet wurde, wird noch geprüft. Einer der beiden Anführer war der in Frankfurt lebende Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß, der offenbar als neues Staatsoberhaupt vorgesehen war. Der zweite Rädelsführer war Rüdiger von Pescatore, der für den Aufbau eines "militärischen Arms" zuständig gewesen sein soll. Er war in den neunziger Jahren Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 251, aus dem 1996 das Kommando Spezialkräfte (KSK) hervorging. Als Justizministerin war die ebenfalls festgenommene ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann vorgesehen, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag im März 2022 wieder Richterin am Landgericht Berlin wurde. Nach ihrer Festnahme ist sie aus ihrer Zivilkammer ausgeschieden und wird vorerst nicht mehr in aktuelle Verfahren eingebunden. Die Berliner Justizverwaltung war erst im Oktober mit ihrem Vorhaben gescheitert, Malsack-Winkemann wegen ausgrenzender und herabsetzender Äußerungen über Geflüchtete im Bundestag vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Es berichten FAZ (Reinhard Bingener/Marlene Grunert u.a.), SZ (Florian Flade/Jörg Schmitt), taz (Konrad Litschko/Sebastian Erb u.a.), Welt (Ulrich Kraetzer/Alexander Dinger u.a.), tagesschau.de (Michael Götschenberg/Frank Bräutigam u.a.), spiegel.de (Jörg Diehl/Matthias Gebauer u.a.) und LTO.
Jörg Schmitt (SZ) warnt davor, die Beschuldigten als harmlose Spinner abzutun. Einige von ihnen kämen aus der Mitte der Gesellschaft und sollten eigentlich die Säulen der Demokratie sein. Jasper von Altenbockum (FAZ) mahnt ebenfalls an, Hass und Hetze aus diesem Milieu in einem ernsthafteren Licht zu sehen und hält die Festnahmen für einen Erfolg unserer wehrhaften Demokratie. Ulf Poschardt (Welt) sieht die Razzia als Beweis dafür, wie gut die Dienste informiert sind und wie rechtzeitig sie reagieren können. Christian Rath (BadZ) sieht vor allem die Einbeziehung von Soldaten und Polizisten als gefährlich. "Wenn sich Bewaffnete einer Verschwörung anschließen, dann ist das kein Karneval mehr." Markus Sehl (LTO) beleuchtet in seinem Kommentar den Fall der Richterin Birgit Malsack-Winkemann und kommt zu dem Ergebnis, dass die Justiz bei der Aufdeckung von Extremismusfällen mehr Sensibilität und Recherche an den Tag legen müsse, um sich besser vor Verfassungsfeinden zu schützen.
Die FAZ (Reinhard Müller) portraitiert Generalbundesanwalt Peter Frank. Er halte die demokratische Legitimation allen staatlichen Handelns für wichtig und sehe das Recht und Gesetz als alleinigen Maßstab seines Handelns. Dass sich die freiheitliche Ordnung als wehrhaft erwiesen habe, sei auch ein Verdienst der "Bundesanwaltschaft, der Nachfolgerin der Reichsanwaltschaft, mit ihren handverlesenen Staatsanwälten aus ganz Deutschland."
Rechtspolitik
Video-Verhandlungen: Auf beck-aktuell kritisiert Richter Jan Spoenle, dass der Gesetzesentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit zwar viele Wünsche erfülle, aber über das Ziel hinausschieße. Das in § 128a II 2 ZPO-E vorgeschlagene Beschwerderecht würde zu Verlegungen führen, was Verfahren verzögere und nicht beschleunige. Offen bleibe auch, wie eine angefochtene Ermessensentscheidung zur Notwendigkeit einer Präsenzverhandlung sinnvoll überprüft werden kann. Einen Hebel für mehr digitale Prozesse sieht er in der Einrichtung eines technischen Supports an den Gerichten, damit sich Richter:innen auf die Verhandlung konzentrieren können.
Steuertransparenz: Wie spiegel.de berichtet, hat das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gebilligt, wonach große Konzerne künftig Berichte zu den bezahlten Ertragsteuern im Unternehmensregister veröffentlichen müssen. Der Entwurf soll eine EU-Richtlinie umsetzen und betrifft Unternehmen aus der EU oder mit größeren Aktivitäten in der EU, die weltweit einen Umsatz von über 750 Millionen Euro erzielen. Die Steuertransparenz soll eine öffentliche Diskussion darüber ermöglichen, wo multinationale Unternehmen ihre Steuern zahlen und wo nicht.
Commercial Courts: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Nicole Grohmann begrüßt auf dem ZPO-Blog das Vorhaben des Gesetzgebers, auch in Deutschland Commercial Courts einzurichten und so der internationalen Konkurrenz von staatlichen wie privaten Konfliktlösungsangeboten im Wetteifern um lukrative internationale Rechtsstreitigkeiten etwas entgegenzuhalten. Die bisherigen Vorstöße der Gerichte in Richtung einer spezialisierten Handelsgerichtsbarkeit zeigten das vorhandene Potenzial auf.
Whistleblowing: Der Anwalt Jan-Patrick Vogel kritisiert im Interview mit spiegel.de (Franca Quecke) den Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Hinweisgeberschutzgesetz. Der Entwurf erfasse keine Hinweise auf nicht strafbare sexuelle Belästigungen im Betrieb, obwohl solche Hinweise in der Praxis eine immer größere Rolle spielen.
Menschenrechte: Der siebte Menschenrechtsbericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte konstatiert in Deutschland unter anderem Defizite im Bereich des Rechts auf inklusive Bildung, in der Klimaschutzpolitik, bei den Rechten älterer Menschen und in Sachen kindgerechter Justiz. Gerichte, Staatsanwält:innen sowie Verfahrensbeistände müssten den Anspruch des Kindes auf Gehör stärker in die Verfahren integrieren und besser im Umgang mit Kindern geschult werden. Es berichten spiegel.de und LTO.
Justiz
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Im Sitzungssaal der Justizvollzugsanstalt Stadelheim beginnt an diesem Donnerstag vor dem Landgericht München I der Wirecard-Prozess gegen den ehemaligen CEO Markus Braun, den ehemaligen Chefbuchhalter Stephan E. und gegen den früheren Geschäftsführer einer Wirecard-Tochterfirma in Dubai, Oliver Bellenhaus. Bei dem vermutlich größten Wirtschaftsstrafprozess der Nachkriegsgeschichte wird den drei Managern unter anderem bandenmäßiger Betrug, Untreue, unrichtige Darstellung und Marktmanipulation vorgeworfen. Angesetzt sind 100 Sitzungstage. Es berichten SZ (Johannes Bauer/Jan Diesteldorf), Zeit (Ingo Malcher), Hbl (René Bender/Sönke Iwersen u.a.) und taz (Patrick Guyton).
Sönke Iwersen (Hbl) erhebt in seinem Kommentar schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft München, die bei ihren Ermittlungen zu Wirecard versagt habe und nun die Chance habe, das "Vertrauen in ihre Arbeit und Unabhängigkeit wiederherstellen." Die StA habe nach kritischen Berichten der Financial Times (FT) in den Jahren 2015 und 2019 zur Werthaltigkeit von Wirecard und zu Geldwäschevorwürfen keine Nachforschungen angestellt. Stattdessen habe man Wirecard gewähren lassen und gegen die FT-Reporter ermittelt. Zu Maßnahmen gegen Wirecard sei es erst kurz vor dem Zusammenbruch gekommen und auch dann habe man noch zugeschaut, wie Asienvorstand Jan Marsalek flüchtete.
Zum Prozess stellen die Doktorandin Katharina Reisch und die wissenschaftliche Hilfskraft Hendrik Uken auf LTO zwei Netflix-Produktionen und eine Theaterinszenierung vor. Die Netflix-Dokumentation "Skandal! Der Sturz von Wirecard" sei eine leicht zugängliche Grundlage für alle, die zum Prozessauftakt in Sachen Wirecard-Skandal mitreden wollen. Auf der Bühne überzeuge am Staatstheater Mainz die Komödie "Villa Alfons" – eine Anspielung auf die Villa von Jan Marsalek – mit einem siebenköpfigen Darstellerensemble in 37 verschiedenen Rollen.
Internetzugang im Gefängnis: Bis voraussichtlich Oktober 2023 soll es in Berliner Gefängnissen einen Internetzugang für alle Gefangenen geben. Mit dem Ziel, die Resozialisierung zu fördern, soll der Zugang zu ausgewählten Internetseiten ermöglicht werden. Das Ergebnis einer Erprobungsphase ist ein Bildschirm mit einem Kachelsystem, über das die Insass:innen zwischen den Kategorien Unterhaltung, Büro, Kommunikation und Selbstverwaltung wählen können. Soziale Netzwerke und öffentliche Chats sind nicht zugänglich. Das Projekt ist laut Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) bereits Anfang Dezember in der JVA für Frauen im Stadtteil Lichtenberg angelaufen und soll nun schrittweise ausgeweitet werden. Es berichten taz-Berlin (Marie Frank) und LTO.
EuG – "Fohlenelf" als Marke: Das Gericht der Europäischen Union hat einer Klage von Borussia Mönchengladbach gegen das Amt der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) rund um die Marke "Fohlenelf" teilweise Recht gegeben. EUIPO habe zu Unrecht festgestellt, dass eine ernsthafte Benutzung der Marke unter anderem bei Seifen, Trinkflaschen, Handtüchern und Spielen nicht nachgewiesen worden sei. Bei anderen Produkten wie Energydrinks und Bier ist die Marke allerdings verfallen. LTO berichtet.
BVerwG – Fehmarnbelt-Tunnel: Wie die taz-Nord berichtet, hat sich das Bundesverwaltungsgericht erneut mit dem Fehmarnbelt-Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark befasst. Drei Umweltschutzverbände halten die vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen für die Zerstörung von Riffen beim Tunnelbau für unzureichend. Eine Entscheidung soll am 14. Dezember verkündet werden.
VG Berlin zu Tantra-Studio: Mit Beschluss vom 17. November hat das Verwaltungsgericht Berlin im Eilverfahren entschieden, dass der Betrieb eines Tantra-Studios eine Erlaubnis nach dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) erfordert. Die Betreiberin eines Studios wertete ihre Tätigkeit als eine "alternativmedizinische Behandlung", die der einer gynäkologischen Untersuchungen ähnele. Das VG sah das jedoch anders: Eine Tantra-Massage, bei der beide Beteiligten nackt sind, ziele auf eine sexuelle Erregung der Kundschaft ab und erfordere deshalb eine Erlaubnis der zuständigen Behörde. Es berichten spiegel.de und LTO.
StA Hamburg - Udo Lindenberg: Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen Udo Lindenberg wegen Beleidigung eingestellt. Er hatte bei einer öffentlichen Veranstaltung dem Hamburger AfD-Bürgerschaftsabgeordneten Alexander Wolf den Stinkefinger gezeigt. An einer Strafverfolgung bestehe kein öffentliches Interesse, so die Staatsanwaltschaft, Wolf müsse den Weg der Privatklage gehen. spiegel.de berichtet.
Recht in der Welt
USA – Jamal Khashoggi: Die Verlobte des 2018 in Istanbul ermordeten regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi, Hatice Cengiz, ist in den USA mit einer Klage gegen den amtierenden saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman gescheitert. Der Richter sagte, dass sie "starke" Argumente vorgebracht habe, aber er die Klage wegen der Immunität des Prinzen abweisen müsse. Er fühle sich an die Einschätzung der US-Regierung gebunden, dass bin Salman Immunität genieße. Bin Salman war erst kürzlich von seinem Vater, dem saudischen König, zum Ministerpräsidenten ernannt worden. Welt und spiegel.de berichten.
USA – Trump-Unternehmen: Ein New Yorker Gericht hat zwei Unternehmen der Unternehmensgruppe von Donald Trump für schuldig befunden, ein Steuerbetrugsschema entworfen zu haben, das es in den letzten 15 Jahren ermöglichte, unversteuerte Leistungen an Führungskräften zu gewähren. Dazu zählten zum Beispiel Leasingraten von Mercedes-Benz-Limousinen, die Mieten für Luxusapartments oder Schulgebühren. Es wird eine Geldstrafe von 1,6 Millionen Dollar erwartet. Trump selber belastet das Urteil jedoch nicht. Die FAZ (Winand von Petersdorff) berichtet.
USA – Regisseur James Toback: 38 Frauen haben beim Obersten Gerichtshof des Staats New York eine Sammelklage wegen sexualisierter Gewalt gegen den US-Regisseur James Toback, 78, eingereicht. Er soll sie durch Betrug, Nötigung, Gewalt und Einschüchterung in kompromittierende Situationen gelockt und dann sexuelle Übergriffe verübt haben. spiegel.de berichtet.
Argentinien – Cristina Kirchner: Ein Bundesgericht in Buenos Aires hat Argentiniens Vizepräsidentin Cristina Kirchner am Dienstag wegen Korruption und Amtsmissbrauch zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt. Zudem verhängte das Gericht ein lebenslanges Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter. Wegen ihrer Immunität muss Kirchner aber nicht ins Gefängnis. Es ging um 51 Straßenbauprojekte mit einem Volumen von knapp einer Milliarde Euro, die während ihrer Regierungszeit in den Jahren 2003 bis 2015 vergeben wurden. Die taz (Jürgen Vogt) berichtet.
Neuseeland – Sorgerecht/Impfgegner:innen: Das Oberste Gericht in Neuseeland hat einem Elternpaar vorläufig das Sorgerecht für ihren Säugling entzogen, weil sie eine lebensnotwendige Herzoperation des Kindes verhinderten. Sie fürchteten, dass das Kind mit Bluttransfusionen versorgt werden könnte, die möglicherweise von Personen stammen, die gegen Corona geimpft wurden. spiegel.de berichtet.
Juristische Ausbildung
Studierende und Absolvent:innen: Wie LTO-Karriere (Franziska Kring) berichtet, ist die Zahl der Jurastudierenden und Absolvent:innen von 2020 zu 2021 leicht gesunken. Seit 2007 war die Zahl der Studierenden von 84.000 auf 119.000 im Jahr 2020 gestiegen, 2021 ist die Zahl aber nun erstmals wieder um 600 gesunken. Bei den Absolvent:innen des ersten Staatsexamens lag die Zahl 2019 noch bei 9.500, im Jahr 2020 waren es dann nur noch knapp über 9.000. Es wird ein Zusammenhang mit der Corona-Pandemie vermutet.
Sonstiges
Straftaten von Geflüchteten: Nachdem ein Asylantragssteller aus Eritrea im baden-württembergischen Illerkirchberg ein 14-jähriges Mädchen erstochen hat. stellt die SZ (Ronen Steinke) die aktuelle Statistik zu von Geflüchteten begangenen Straftaten vor. Tatsächlich machten Geflüchtete mit einem Anteil von 12,8 Prozent unter den Tatverdächtigen bei Tötungsdelikten einen hohen Anteil aus. Damit seien sie im vergangenen Jahr, gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung, fast sechs Mal so auffällig wie deutsche Täter. Eine Erklärung sei, dass der Anteil von jungen Männern unter den Geflüchteten mit 34 Prozent deutlich höher sei, als der Anteil von jungen Männern in der deutschen Population (acht Prozent). Denn junge Männer seien überall auf der Welt die Bevölkerungsgruppe, die am häufigsten aggressiv werde.
Film über Gefangenen: In der Zeit berichtet der brandenburgische Strafrichter Thomas Melzer über die Entstehung des Films "Anmaßung", der von 3sat koproduziert wurde und in der ZDF-Mediathek abrufbar ist. Die Filmemacher Stefan Kolbe und Chris Wright hätten auf der Suche nach Inspirationen seinen Richteralltag begleiten wollen und seien dann von ihm nach einer Weile in eine JVA geschickt worden. Dort seien sie auf einen Gefangenen mit uneindeutiger psychologischer Diagnostik gestoßen, den sie dann zum Protagonisten ihres Films gemacht haben und über Jahre begleiteten.
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LTO/tr/chr
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Die juristische Presseschau vom 8. Dezember 2022: . In: Legal Tribune Online, 08.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50403 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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