Die juristische Presseschau vom 24. August 2022: Neue Behörde gegen Finanz­kri­mi­na­lität? / Reichs­bürger als Gu­t­achter / Trump pocht auf Exe­ku­tiv­pri­vileg

24.08.2022

Finanzminister Christian Lindner (FDP) plant eine neue Behörde gegen Finanzkriminalität. Reichsbürger Klaus Maurer war in weiteren Bundesländern als Justizgutachter tätig. Donald Trump geht gegen Untersuchung zu Regierungs-Dokumenten vor.

Thema des Tages

Finanzkriminalität: Finanzminister Christian Lindner (FDP) will den Kampf gegen Geldwäsche und Finanzkriminalität durch die Schaffung einer bisher noch namenlosen Bundesoberbehörde neu organisieren, die die bisher zersplitterten Kompetenzen bündeln soll. Hierzu hat Lindner ein Eckpunktepapier vorgelegt. Die neue Behörde soll aus drei Säulen bestehen: Ein neu zu gründendes "Bundesfinanzkriminalamt" soll einen eigenständigen Fahndungsbereich und echte Ermittlungsbefugnisse bekommen. Die bisherige Anti-Geldwäsche-Einheit Financial Intelligence Unit (FIU) soll aus den Verdachtsmeldungen Fälle herausfiltern, denen die Fahnder:innen nachgehen. Und als dritte Säule soll eine koordinierende Zentralstelle für die Aufsicht über den sogenannten Nichtfinanzsektor (z.B. Immobilienwirtschaft und Glücksspielbranche) eingerichtet werden, für den bisher 320 staatliche Institutionen mit nur 280 Beamt:innen zuständig sind. Viele Mitarbeitende arbeiten in Teilzeit oder haben daneben noch andere Aufgaben zu erfüllen. Es berichten SZ (Meike Schreiber/Markus Zydra), FAZ (Katja Gelinsky), taz (Konrad Litschko), Hbl (Martin Greive/Jan Hildebrand), Welt (Karsten Seibel), spiegel.de (Christian Reiermann), zeit.de und LTO.

Katja Gelinsky (FAZ) begrüßt in einem separaten Kommentar das Vorhaben einer neuen "Superbehörde". Das sei zwar noch keine Garantie für bessere Ermittlungserfolge, aber es sei gut, dass "Lindner die Probleme anpackt".

Rechtspolitik

"Rasse" im Landesrecht/Hamburg: Hamburgs rot-grüner Senat schlägt vor, den Begriff "Rasse" aus dem Landesrecht zu entfernen, wo bisher an mehreren Stellen von einer Benachteiligung aufgrund der "Rasse" oder von "rassischer Verfolgung" die Rede ist. Stattdessen soll das Wort "rassistisch" verwendet werden, um sich von Theorien, die die Existenz verschiedener menschlicher Rassen behaupten, zu distanzieren. Es berichten FAZ und LTO.

Zivilgerichte/Internationale Kammern: Die Richterin Julia Flockermann und der Rechtsreferendar Paul Nicklas begrüßen auf LTO das im Ampel-Koalitionsvertrag erwähnte Vorhaben, englischsprachige Spezialkammern für Handelssachen zu schaffen. Ein noch ausstehender Gesetzentwurf des Justizministeriums könne sich auf einen Gesetzentwurf des Bundesrates aus dem März stützen, der die Länder ermächtigen würde, vor den Oberlandesgerichten einen Senat als englischsprachigen Commercial Court für Streitigkeiten mit einem Wert von über 2 Millionen Euro einzurichten. Vor den Landgerichten könnten zudem englischsprachige Kammern für internationale Handelssachen geschaffen werden. Problematisiert wird, dass vor dem Bundesgerichtshof dann wieder auf deutsch verhandelt werden müsste.

Justiz

Reichsbürger als Gerichtsgutachter: Der sogenannte Reichsbürger Klaus Maurer war als psychiatrischer Sachverständiger in viel mehr Verfahren eingesetzt als bisher bekannt. Bisher war nur über Fälle aus Hessen und Hamburg berichtet worden, nun kommen Fälle aus mindestens drei weiteren Bundesländern hinzu. In Berlin soll er zwischen 2009 und 2022 an neun Amtsgerichten in knapp 1.000 Betreuungsverfahren tätig gewesen sein, in Sachsen alleine in Leipzig in 540 Fällen und in Bayern in einem Fall. Der Arzt gilt als führender Ideologe der Reichsbürgerbewegung. spiegel.de (Sven Becker/Sven Röbel u.a.) berichtet.

BVerfG zu Masern-Impfpflicht: Libra (Hendrik Wieduwilt) spricht mit Rechtsprofessorin Andrea Kießling über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Masern-Impfpflicht. Kießling kritisiert den Umgang des BVerfG mit Kombinationsimpfstoffen. Wenn man eine Impfpflicht für Masern wolle, solle man auch einen Einzelimpfstoff ermöglichen. So aber wirkten die mit dem Masernimpfstoff kombinierten Impfstoffe gegen Mumps und Röteln wie ein "positiver Beifang".

Der SWR-RadioReportRecht (Fabian Töpel) erörtert die Entscheidung im Gespräch mit den Journalist:innen Gigi Deppe und Klaus Hempel.

BAG – Corona-Shutdown und Vergütung: Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard stellt Rechtsanwalt Thomas Köllmann die aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage vor, ob Beschäftigte ihren Anspruch auf Vergütung behalten, wenn die Arbeitsleistung wegen einer vorübergehenden Betriebsschließung nicht erbracht werden kann. Dies wird bejaht, wenn der Betrieb wegen einer besonderen Gefährdung geschlossen wird (etwa in der Fleischwirtschaft). Wenn aber nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden, entfällt auch der Vergütungsanspruch der Beschäftigten.

OVG NRW zu Reichsbürger-Gaststätte: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat im Eilverfahren die Schließung und Versiegelung eines Lokals durch die Stadt Köln bestätigt. Eine Frau hatte die Gaststätte mit dem Namen "Königreich Deutschland" ohne Erlaubnis eröffnet, wobei ihre Kundschaft laut NRW-Verfassungsschutz der heterogenen Szene der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter zugeordnet wird. Gleich zum Eröffnungstag setzte sich die Wirtin über die geltenden Hygienevorschriften hinweg, weil sie sich neben dem Recht des "Königreichs" an keine weiteren Rechte und Pflichten gebunden sah. LTO berichtet.

BayObLG – Wirecard/EY : Wie das Hbl (Bert Fröndhoff/René Bender u.a.) im Tagesthema berichtet, kommt auf die Wirtschaftsprüfungsgesellschaf Ernst & Young (EY) eine Klagewelle zu. Bereits im März wurde vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht ein Musterverfahren zugelassen, bei dem zahlreiche Wirecard-Kleinaktionäre, aber auch große institutionelle Investoren geltend machen, sich auf die Bewertung der großen Prüfungsgesellschaft verlassen zu haben. Bei EY fürchte man auch Klagen der Commerzbank und des Insolvenzverwalters Michael Jaffé.

LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: spiegel.de (Julia Jüttner) und zeit.de berichten über eine Zeugenaussage im Prozess gegen die KZ-Sekretärin Irmgard Furchner am Landgericht Itzehoe. Der 95-jährige Bruno Dey arbeitete als Wachmann im KZ Stutthof und wurde 2020 vom LG Hamburg wegen Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen und einer Beihilfe zum versuchten Mord zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Dey habe die Chance vertan, Antworten auf die Fragen zu geben, mit denen er sich in seinem eigenen Prozess belastet hätte. Er äußerte sich aber auch hier nur spärlich und berief sich auf Erinnerungslücken.

LG Dresden – Einbruch ins Grüne Gewölbe: Im Prozess um den Juwelendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe hat das Landgericht Dresden den Antrag eines der sechs Angeklagten auf Abtrennung des Verfahrens abgelehnt. Das Beziehungsgeflecht der Männer, die alle dem Berliner Remmo-Clan angehören, lasse sich nur in einem gemeinsamen Verfahren aufklären. Die FAZ (Stefan Locke) berichtet.

AG Essen zu Kindesentziehung: Das Amtsgericht Essen hat das Auswanderer-Paar, das ohne Zustimmung des jeweils anderen Elternteils seine Patchwork-Kinder wegen der deutschen Corona-Maßnahmen nach Paraguay verschleppt hatte, wegen Kindesentziehung zu zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Es berichten SZ und spiegel.de.

GenStA Berlin – Anlagebetrug/Cannabis: Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und die Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ermitteln wegen Anlagebetrugs gegen die niederländische "Juicy Holding". Über die Internetplattform "juicyfields.io" konnten Anleger:innen über ein sogenanntes eGrowing in medizinisches Cannabis investieren, wobei Renditen im prozentual dreistelligen Bereich angepriesen wurden. Nachdem die Holding zunächst Beträge auszahlte, war im weiteren Verlauf jedoch kein Zugriff auf die Kundenkonten mehr möglich. Die GenStA vermutet ein Schneeballsystem. LTO (Stefan Schmidbauer) berichtet.

Richterberuf: Die SZ (Christina Kunkel) berichtet über den Arbeitsalltag von Lydia Freund, Vorsitzende einer Zivilkammer am Landgericht Stuttgart. Freund schildert die Vorteile der richterlichen Unabhängigkeit, die juristische Ausbildung und die Konkurrenz der Justiz zur freien Wirtschaft bei der Akquise von überdurchschnittlichen Absolvent:innen.

Recht in der Welt

USA – Donald Trump/Dokumente: Nach der Durchsuchung des Anwesens des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump in Florida will dieser mit einem Antrag bei einem Bundesgericht die Aussetzung der Prüfung der beschlagnahmten Dokumente durch staatliche Ermittler:innen und die Einsetzung von neutralen Prüfer:innen erreichen. Trump beruft sich darauf, dass die sichergestellten Dokumente durch das Exekutivprivileg des US-Präsidenten geschützt seien. Nach der Wahlniederlage hatte Trump mehr als 300 als Verschlusssachen eingestufte Akten aus dem Weißen Haus auf sein Anwesen gebracht. Es berichten FAZ (Majid Sattar), taz (Dorothea Hahn) und LTO.

Israel – palästinensische Menschenrechtler: Im Interview mit spiegel.de (Monika Bolliger) kritisiert der israelische Rechtsanwalt Michael Sfard die Razzien bei palästinensischen Menschenrechtsorganisationen am vergangenen Donnerstag, die auf Terrorvorwürfe gestützt wurden. Mit den Terrorvorwürfen solle die Zusammenarbeit der Organisationen mit dem Internationalen Strafgerichtshof und ihre Finanzierung durch europäische Regierungen behindert werden. 

Argentinien – Cristina Kirchner: Am Montag hat ein argentinischer Bundesstaatsanwalt eine zwölfjährige Haftstrafe für die frühere Präsidentin und heutige Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner sowie einen lebenslangen Ausschluss von öffentlichen Ämtern gefordert. Kirchner regierte zwischen 2007 und 2015 und soll sich laut Anklage als Chefin einer kriminellen Vereinigung der Korruption und des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht haben. Es berichten FAZ (Tjerk Brühwiller) und taz (Jürgen Vogt).

Malaysia – Najib Razak: Der frühere Ministerpräsident von Malaysia, Najib Razak, muss für zwölf Jahre ins Gefängnis, nachdem das höchste Gericht des Landes seine Berufung gegen ein früheres Urteil verwarf. Ihm wird eine Beteiligung am Entwenden von geschätzten 4,5 Milliarden Dollar aus dem in seiner Regierungszeit gegründeten Staatsfonds "1 MDB" zur Last gelegt. Es folgen noch vier weitere Verfahren. Die FAZ berichtet mit zwei Artikeln (Christoph Hein und Till Fähnders).

Großbritannien – Streik der Anwaltschaft: Nun berichtet auch die FAZ (Philip Plickert) über den anstehenden Streik der Prozessanwälte (Barrister) in Großbritannien ab dem 5. September. Laut dem Vorsitzenden der Anwältevereinigung Criminal Bar Association (CBA) ist das Gehalt bei Berufseinsteigern mit einem jährlichen Mittel von 12.200 Pfund in den ersten drei Jahren besonders schlecht.

In einem separaten Kommentar zeigt Philip Plickert (FAZ) Verständnis für die streikwilligen Barrister. Durch den Exodus von Junganwälten drohe das Justizsystem auf immer wackeligeren Beinen zu stehen und die Regierung müsse aufpassen, in diesem "symbolträchtigen Arbeitskampf" nicht am falschen Ende zu sparen.

Iran – Hundehaltung: Schon seit vergangenem Monat ist es im Iran verboten, Hunde mit in Parks zu bringen. Nachdem sich Bürger:innen nicht daran hielten, will die iranische Polizei nun strenger gegen das Gassigehen in Parks vorgehen. LTO berichtet.

Juristische Ausbildung

Legal Tech: Libra (Stella Vogl) berichtet über den Stand der juristischen Ausbildung in Sachen Legal Tech. Das Thema sei an den Universitäten noch nicht so groß wie in der Praxis und werde in der Regel nur von einzelnen engagierten Studierenden und Dozierenden forciert. Die Verantwortung liege aber auch bei den Kanzleien, die noch keine konkreten Erwartungen an die Absolvent:innen stellen.  

Sonstiges

Bürgerräte: Im FAZ-Einspruch kritisiert Ortlieb Fliedner, Rechtsanwalt und früherer Bürgermeister von Marl, die Ankündigung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), künftig verstärkt auf Bürgerräte setzen zu wollen, deren Mitglieder per Losverfahren ausgewählt werden. In die Räte komme nur eine kleine Anzahl an Bürger:innen, sodass keine realistische Chance auf eine Teilnahme bestehe. Demokratische Bürgerbeteiligungsformen setzten zudem keine zufällige, sondern eine aktive Teilnahme voraus. Außerdem bestehe keine Repräsentativität und die Mitglieder könnten durch die geplanten Expertenvorträge beeinflusst werden.

Polizeigewalt: Rechtsprofessorin Anja Schiemann kritisiert auf Libra die aktuelle Diskussion über Polizeigewalt, die nach vier Toten in einer Woche aufkam, als "vorurteilsbehaftet". Es sei ein Fakt, dass es sich bei "vielen Fällen titulierter Polizeigewalt um rechtmäßiges polizeiliches Verhalten handelt." Insofern bittet sie um eine differenzierte Betrachtung mit der Frage, ob das polizeiliche Einschreiten von einer Norm gedeckt und verhältnismäßig war.

Kommentarautor Maaßen: Wie nun auch die FAZ (Patrick Bahners) meldet, hält der Verlag C. H. Beck an Hans-Georg Maaßen als Grundgesetz-Kommentator fest. 

 

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LTO/tr

(Hinweis für Journalist:innen

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. August 2022: . In: Legal Tribune Online, 24.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49407 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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