Justizminister Buschmann hofft auf Unterstützung durch Flüchtlinge bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen. Die Pläne für ein novelliertes Triage-Gesetz sorgen für Empörung. Reichsbürger darf nicht als "Notar a.D." firmieren.
Thema des Tages
Kriegsverbrechen in der Ukraine: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bittet in einem Gastbeitrag für die BamS ukrainische Flüchtlinge um Unterstützung bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen. Man sei auf Zeugenaussagen von Menschen angewiesen, die entweder Kriegsverbrechen erlebt oder mitangesehen haben. Buschmann regt an, entsprechende Fragebögen nicht nur bei den deutschen Polizeibehörden, sondern auch bei den Arbeitsagenturen und Ausländerbehörden auszuhändigen. "In Mariupol ist praktisch jeder Zivilist potenziell Opfer eines Kriegsverbrechens geworden. Zudem muss man aufklären, ob einzelne russische Soldaten für die Taten verantwortlich waren oder es dazu konkrete Befehle gegeben hat. Diese Befehlsketten müssen nachvollzogen werden. Das alles wird viele Jahre dauern", so Buschmann.
Amnesty International hat einen Bericht über russische Kriegsverbrechen nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew vorgestellt, über den LTO berichtet. Dokumentiert werden mehr als 40 durch Luftangriffe getötete Zivilisten in Borodjanka und 22 Fälle von illegalen Tötungen in und bei Butscha.
Ukraine-Krieg und Recht
Sanktionen gegen Russland: Rechtsprofessor Kilian Wegner erläutert im Interview mit LTO (Franziska Kring/Felix W. Zimmermann) welche Arten von Sanktionen es gibt und gegen wen sie sich richten. "Individualsanktionen dürfen nur gegen Personen verhängt werden, die zumindest mittelbar den Krieg fördern oder von ihm profitieren." Außerdem werden die Rechtsmittel der unmittelbar Betroffenen zum Gericht der EU (EuG) erläutert. Wer nur reflexhaft von allgemeinen Sanktionen betroffen ist, habe jedoch keine Rechtsmittel.
Rechtspolitik
Triage: Bei knappen Kapazitäten während einer Pandemie soll es künftig rechtlich möglich sein, die intensivmedizinische Behandlung eines Menschen zugunsten einer Patient:in mit einer höheren Überlebenschance abzubrechen. Das sieht der überarbeitete Formulierungsvorschlag für ein Triage-Gesetz aus dem Hause von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor, der sich noch in der Ressortabstimmung befindet. Eine derartige Ex-Post-Triage soll aber nur dann zulässig sein, wenn drei intensivmedizinisch erfahrene Fachärzt:innen die Entscheidung einvernehmlich treffen. Außerdem soll bei der "Zuteilung von pandemiebedingt nicht ausreichenden überlebenswichtigen, intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten im Krankenhaus" niemand aus "Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden". Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber im Dezember 2021 aufgegeben, unverzüglich Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen bei einer pandemiebedingten Triage zu treffen. RND (Tim Szent-Ivanyi) und zeit.de (Tina Groll) berichten.
"Ungeheuerlich" sei das, was die Bundesregierung hier plane, meint Christina Berndt (Mo-SZ). Es sei eine Brüskierung jener Menschen mit Behinderung, die in Karlsruhe geklagt hatten. Die Regelung der Ex-Post-Triage wäre ein unerträglicher Paradigmenwechsel.
Ökologie und Grundgesetz: Im Interview mit LTO (Hasso Suliak) erläutert Rechtsprofessor Jens Kersten, warum seiner Ansicht nach nur eine grundlegende Reform der Verfassung den ökologischen Herausforderungen begegnen kann. Erforderlich sei, dass die Verfassung "durchökologisiert" werde, fordert Kersten. Umwelt- und Tierschutz lediglich als Staatsziel in Art. 20a GG vorzusehen, reiche heute nicht mehr, erforderlich sei vielmehr ein Umweltgrundrecht. Auch die Schranken bestehender Grundrechte müssten angepasst und neu formuliert werden.
Cannabis: Laut LTO soll noch in diesem Jahr die von der Ampel-Koalition geplante Cannabis-Legalisierung auf den Weg gebracht werden. Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert habe angekündigt, gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium und weiteren Ressorts "einen gründlichen Konsultationsprozess" zu starten. In der zweiten Jahreshälfte soll dann ein Gesetzentwurf folgen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe seine ursprünglich ablehnende Position aufgegeben.
Konsumentenkredite/ewiges Widerrufsrecht: Nils Wischmeyer (Mo-SZ) kritisiert, dass Deutschland bei der geplanten Überarbeitung der EU-Richtlinie für Konsumentenkredite das so genannte "ewige Widerrufsrecht" abschaffen will. Das wichtigstes Anliegen der Bundesregierung sei also nicht die Vereinfachung der komplexen Kreditverträge oder der Schutz von unwissenden Kreditnehmer:innen, sondern die Abschaffung eines Rechts, das Schuldner:innen vor der Überschuldung und Privatinsolvenz schütze. Bisher können Bankkund:innen Kreditverträge ewig widerrufen, wenn der Vertrag signifikante Fehler, etwa einen nicht klar definierten Zinssatz, enthalte oder wenn die Bank eine falsche Widerrufsbelehrung gebe.
Bedingungsloses Grundeinkommen: Die Berliner Initiative "Expedition Grundeinkommen" setzt sich in einem Volksbegehren dafür ein, dass 3.500 zufällig ausgewählte Bürger:innen eine monatliche Zahlung von 1.200 Euro erhalten, die an keinerlei Pflichten geknüpft ist. Der Modellversuch soll dann wissenschaftlich begleitet werden und "Wissenschaft und Politik richtungsweisende Informationen darüber geben, wie die Umgestaltung der Sozialsysteme in Deutschland in Zukunft gelingen kann". Sa-FAZ und Sa-SZ (Jan Heidtmann) berichtet über das Volksbegehren, das in Berlin zur Abstimmung gestellt wird, wenn mehr als 175.000 Menschen unterschreiben.
Justiz
BGH zu Reichsbürger als Notar a.D.: Einem Jurist, der vorzeitig aus dem Notarsamt ausschied und sich selbst als "Staatsangehöriger des Königreichs Preußen" bezeichnet, durfte zu Recht die Erlaubnis entzogen werden, die Bezeichnung "Notar außer Dienst" zu führen. Der Bundesgerichtshof hat damit den Widerruf der beim OLG angesiedelten Notaraufsicht bestätigt. Diese hatte den Widerruf damit begründet, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Juristen betrieben werde und er zudem der "Reichsbürger"-Szene angehöre. Letzteres hätte laut BGH als Begründung genügt. LTO berichtet.
BGH zur erweiterten Einziehung: Eine erweiterte Einziehung von Taterträgen setzt eine umfassende Prüfung der Einkommensverhältnisse des Täters voraus, betonte der Bundesgerichtshof in einem Betäubungsmittelverfahren. Erforderlich sei die sichere Überzeugung, dass die Gegenstände aus Straftaten stammen, der bloße Verdacht genüge nicht. In konkreten Fall monierte der BGH, dass das Landgericht als Vorinstanz pauschal annahm, alle Bankgutaben und alles Bargeld stamme aus illegalen Quellen, dabei aber nicht den Arbeitslohn des Täters in Rechnung stellte. beck-aktuell berichtet.
OLG Celle zu Mord an Frederike von Möhlmann/Wiederaufnahme: Rechtsprofessor Arnd Diringer befasst sich in seiner WamS-Kolumne mit der neuen gesetzlichen Möglichkeit, Strafverfahren zu Lasten eines früher Freigesprochenen wieder aufzunehmen, und der Entscheidung des OLG Celle, die die Verfassungsmäßigkeit des entsprechenden Gesetzes bestätigt hatte. Beendet sei der Streit damit nicht, alsbald werde sich wohl das Bundesverfassungsgericht damit beschäftigen, so Diringer. Und das habe schon so manches Mal überrascht.
LG Hamburg – Pippi Langstrumpf: Nachdem das Landgericht Hamburg im Herbst 2020 entschieden hatte, dass die Erben der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren an der Verwertung des bekannten Liedtextes "Hey Pippi-Langstrumpf" beteiligt werden müssen, gab es jetzt eine Einigung der Lindgren-Erben mit den deutschen Rechte-Inhabern. Danach werde Lindgren nun als Mitautorin des Liedtextes bei der Verwertungsgesellschaft Gema registriert, so LTO, die Einnahmen sollen künftig geteilt werden. Lindgren habe die Figuren geschaffen, die der Liedtexter Wolfgang Franke verwendete.
LG Bremen – Volksverhetzung durch Pastor: An diesem Montag beginnt vor dem Landgericht Bremen die Berufungsverhandlung zur Verurteilung eines Pastors wegen Volksverhetzung. Weil er Homosexuelle als Verbrecher beschimpft hatte, ist der Geistliche 2020 verurteilt worden. Überschattet wurde das bisherige Verfahren durch die Einbindung eines theologischen Gutachters, die seinerzeit auf viel Kritik gestoßen war. Im säkularen Rechtsstaat dürfe es für die Frage, ob der objektive Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt werde, nicht auf die theologische Bewertung von Homosexualität ankommen, meinte 2021 zum Beispiel Rechtsprofessor Hans Michael Heinig. LTO (Eckhard Stengel) berichtet.
LG Koblenz zu Steinschlag im Weinberg: Der Eigentümer eines Hanggrundstücks muss einem benachbarten Winzer keinen Schadensersatz zahlen, wenn dieser den Weinbau aufgrund der Gefahr durch Steinschlag einstellen muss, hat das Landgericht Koblenz entschieden. Selbst wenn man eine Steinschlaggefahr vom Grundstück des Beklagten bejahe, sei dieser kein "Störer", weil etwaiger Steinschlag das allgemeine Lebensrisiko in Form von Naturkräften darstelle. Der Winzer müsse deshalb selbst für die Sicherung seines Grundstücks sorgen, so das Gericht laut LTO.
VG Ansbach zu Masernimpfung: Zur Erfüllung der Masernimpfpflicht beim Kindergartenbesuch reicht die Verwendung eines Einfachimpfstoffes aus der Schweiz aus, entschied laut LTO das Verwaltungsgericht Ansbach in einer Eilentscheidung. Anders als bei Corona, sei es bei der Masernimpfpflicht nicht notwendig, dass das Kind mit einem in der EU zugelassenen Impfstoff geimpft wird. Bisher sind in Deutschland nur Kombi-Impfstoffe zugelassen, die neben Masern auch gegen andere Krankheiten wie Mumps impfen, für die keine Impfpflicht besteht.
StA Stuttgart – Innenminister Strobl: Rechtsanwalt Yves Georg erläutert auf LTO, dass sich der ba-wü. Innnenminister Thomas Strobl nicht strafbar machte, als er ein Anwaltsschreiben aus einem Disziplinarverfahren an einen Journalisten weitergab. Eine Verletzung von Dienstgeheimnissen gem. § 353b StGB könne nicht vorliegen, wenn Strobl nicht die Ermächtigung zur Strafverfolgung gebe. Eine verbotene Mitteilung aus Gerichtsverhandlungen gem. § 353d StGB sei nicht gegeben, weil ein Anwaltschreiben kein amtliches Dokument sei.
Recht in der Welt
USA – Abtreibungsgesetz Mississippi: Die FAS (Frauke Steffens) schildert die US-Diskussion, ob der Urteilsentwurf zum Abtreibungsrecht eher von linken oder von konservativen Beschäftigten des US-Supreme Courts durchgestochen wurde. Geschildert werden auch frühere Leaks aus dem Supreme Court. Im Spiegel (Gabrielle Hauth/René Pfister) wird noch einmal die damalige und die heutige Debatte um die Supreme-Court-Entscheidung Roe v. Wade zusammengefasst. Die Mo-taz (Gilda Sahebi) beleuchtet die sozialen Implikationen eines weitgehenden Abtreibungsverbotes. Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen treffe marginalisierte Gruppen besonders.
Wie die Publizistin Carolin Emcke in der Sa-SZ schreibt, offenbare der Urteilsentwurf, dass für Frauen mühsam erlangte Rechte nie als unantastbar, sondern als ewig prekär gelten und weiter gegen Angriffe verteidigt werden müssten.
Jost Müller-Neuhof (tagesspiegel.de) stellt fest, dass auch die Entscheidung Roe v. Wade 1973 sehr umstritten war, weil sie damals 30 US-Staaten, die Schwangerschaftsabbrüche verboten hatten, die Möglichkeit dazu nahm. Auch die liberale Supreme Court-Richterin Ruth Bader-Ginsburg fand, dass das Urteil zu früh kam und den Bundesstaaten zu wenig Spielräume ließ. In Deutschland sei die Entwicklung anders gelaufen. Hier beschloss der Bundestag liberale Regelungen und das Bundesverfassungsgericht bremste, was aber – anders als in den USA – letztlich zu Rechtsfrieden geführt habe.
Italien – Meinungsfreiheit in Südtirol: Das Landesgericht Bozen hat den grünen Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Umweltaktivisten Karl Bär nach zwei-jährigem Prozess freigesprochen. Er war von 1.376 Südtiroler Obstbauern wegen übler Nachrede angezeigt worden, weil er den Pestizideinsatz beim Südtiroler Apfelanbau kritisiert hatte. Nach europaweiter Kritik zogen alle Obstbauern ihre Strafanträge zurück, so dass sich das Landesgericht Bozen nun als nicht mehr zuständig erachtete, berichtet die Sa-SZ (Philipp Bovermann/Uwe Ritzer).
Schweiz – Pressefreiheit/Bankgeheimnis: Die Schweizer Parlamentskommission für Wirtschaft und Abgaben hält an dem umstrittenen Artikel 47 des Bankengesetz fest, berichtet spiegel.de (Frederik Obermaier/Bastian Obermayer u.a.). Sie stelle damit – so die Kritik von Expert:innen – weiterhin Bankenwohl vor Pressefreiheit. Nach der Regelung droht auch Journalist:innen eine Haftstrafe, wenn sie Bankgeheimnisse offenbaren.
Frankreich – Conseil constitutionnel: Rechtsprofessor Thomas Perroud erläutert im Verfassungsblog (in englischer Sprache) die Strukturen am französischen Verfassungsgerichtshof: Die Entscheidungen werden von der Rechtsabteilung, dem Service Juridique, getroffen, die Richter:innen haben nur beschränkte Wirkmacht.
Sonstiges
Rechtsanwalt Putz: Die Sa-SZ (Nina von Hardenberg) portraitiert Rechtsanwalt Wolfgang Putz und seinen jahrzehntelangen Kampf für die Rechte von Sterbewilligen. Er sei "ein Missionar, eine Art Mini-Pressure-Group für mehr Selbstbestimmung am Lebensende". Sein größter Erfolg war eine Grundsatzentscheidung des BGH im Jahr 2010: Wer eine künstliche Ernährung beendet, tötet den Patienten nicht (aktive Sterbehilfe), sondern unterlässt die Weiterbehandlung (passive Sterbehilfe). Letzteres sei sogar geboten, wenn es dem Willen des Patienten entspreche.
Suizidhilfe: Die FAS (Eva Schläfer) schildert ausführlich den Fall eines Ehepaares, das vor einem Jahr mit Hilfe seiner Kinder und der Organisation "Sterbehilfe Deutschland" gemeinsam freiwillig aus dem Leben schied. Ermöglicht wurde die Suizidhilfe durch ein Urteil des BVerfG vom Februar 2020, das die zeitweilige Kriminalisierung der Suizidhilfe für verfassungswidrig erklärte.
Südschleswigscher Wählerverband: Rechtsprofessor Florian Becker erläutert im FAZ-Einspruch, dass für den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) als "Partei einer nationalen Minderheit", hier der dänischen Minderheit, die 5-Prozent-Hürde nicht gilt, und dass dies auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.
Rechtsgeschichte – Wiltraut Rupp-von Brünneck: LTO (Annelie Kaufmann) hat mit Fabian Michl über sein Buch über die Ex-Verfassungsrichterin Wiltraut Rupp-von Brünneck gesprochen, die die zweite Frau am Bundesverfassungsgericht war. Sie begriff den Richterposten als "eine Funktion, ein Amt, das es auszufüllen galt, möglichst unabhängig von der eigenen Person". Sie habe sich dabei "natürlich sehr wohl an einem von machtbewussten Männern geprägten Gericht als Frau durchsetzen" müssen, erzählt Michl.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/pf
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
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Die juristische Presseschau vom 7. bis 9. Mai 2022: . In: Legal Tribune Online, 09.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48374 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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