Die juristische Presseschau vom 21. April 2022: OLG Celle zur Möhl­mann-Wie­der­auf­nahme / Ent­wurf zu Unter­neh­mens-Um­wand­lungen / BKartA mahnt Bahn

21.04.2022

OLG Celle hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Wiederaufnahme im Fall Möhlmann. Grenzüberschreitende Unternehmens-Umstrukturierungen sollen vereinfacht werden. Das BKartA moniert Geschäftsgebaren der Bahn gegenüber Plattformen.

Thema des Tages

OLG Celle – Mord an Frederike von Möhlmann: Das Oberlandesgericht Celle hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Wiederaufnahme im Fall Möhlmann. Es hat deshalb die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten Ismet H. gegen einen Beschluss des Landgerichts Verden, mit dem die Wiederaufnahme für zulässig erklärt wurde, abgewiesen. Das OLG habe keinerlei Zweifel daran, dass die neue Wiederaufnahmemöglichkeit gem. § 362 Nr. 5 StPO mit dem grundgesetzlichen Verbot der strafrechtlichen Doppelverfolgung vereinbar sei. So gelte sie nur für äußerst eng umgrenzte Fallkonstellationen und sehe hohe Hürden vor, heißt es im Beschluss, über den spiegel.de (Dietmar Hipp) und LTO schreiben. Das OLG hält auch die für eine Wiederaufnahme erforderlichen "dringenden Gründe" für gegeben, die für eine Verurteilung von Ismet H. wegen Mordes (zur Verdeckung einer Vergewaltigung oder einer Nötigung) sprechen.

Rechtspolitik

Unternehmens-Umwandlung: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat am Mittwoch den Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Umwandlungsrichtlinie vorgestellt. Die FAZ (Katja Gelinsky) erläutert die geplanten Neuregelungen, mit denen grenzüberschreitende Umstrukturierungen von Unternehmen künftig rechtssicherer und einfacher werden sollen. Dabei sei unter anderem vorgesehen, die Rechte der Minderheitsgesellschafter:innen zu vereinheitlichen. So soll die Ungleichbehandlung von Minderheitsgesellschaftern übertragender und übernehmender Gesellschaften bei der Verschmelzung nach dem Entwurf beendet werden.

Transsexuelle: Die von der Ampel-Koalition angekündigte Abschaffung des Transsexuellengesetzes zugunsten eines modernen Selbstbestimmungsgesetzes unterstützt Sven Lehmann (Grüne), der Beauftragte der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, in der Zeit. Das Transsexuellengesetz verletze die Würde des Menschen und die freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil es für die Änderung des Personenstands die Vorlage von zwei psychiatrischen Gutachten verlange, für die intimste Fragen zu beantworten sind. 

Impfpflicht: Lars Brocker, Präsident des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz, argumentiert in der FAZ, dass es eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers sei, eine Impfpflicht einzuführen, sollten im Herbst die Corona-Infektionszahlen wie prognostiziert wieder steigen. Brocker begründet das mit dem Menschenbild des Grundgesetzes, das nicht das eines isolierten souveränen Individuums sei, wie das Bundesverfassungsgericht bereits 1954 ausführte: "Das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“

Tracking: Ass. iur. Lena Leffer und Ref. iur. Michelle Weber untersuchen auf LTO die rechtliche (Un-)Zulässigkeit des Trackens anderer Personen mit Hilfe des AirTags von Apple. Dieses münzgroße Gerät, das an Gegenständen angebracht wird, um sie wiederzufinden, biete auch vielfältige Missbrauchsmöglichkeiten für Stalker:innen. Der Gesetzgeber müsse die Entwicklung hier aufmerksam verfolgen und ggf. reagieren.

Justiz

BGH zu Banken-AGBs: Ein Jahr nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Unzulässigkeit bestimmter Kontogebühren, die ohne Zustimmung der Kunden eingeführt wurden, weigern sich einige Geldhäuser nach wie vor, zu Unrecht erhobene Gebühren zurückzuzahlen, berichtet LTO. Der Verbraucherzentrale Bundesverband habe daher mehrere Musterfeststellungsklagen erhoben. Auch die Finanzaufsicht beobachte die Umsetzung der BGH-Entscheidung sehr genau und habe bereits im vergangenen Oktober die Geldhäuser gemahnt, das Urteil der Karlsruher Richter:innen zu beachten.

LG Hamburg – Mord bei Schizophrenie: Die Zeit (Diana Laarz) blickt zurück auf eine Entscheidung des Landgerichtes Hamburg aus dem Sommer 2021, in der ein junger Mann wegen zweifachen Mordes verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. Er hatte seine Freundin und seine Mutter getötet, weil er Stimmen in seinem Kopf hörte. Der Artikel zeichnet die Hintergründe der Taten nach, unter anderem hatte der Täter stark gekifft. 

LG Neubrandenburg – Mordversuch wegen Vaterschaft: Vom Prozess gegen einen Kriminalpolizisten, der seine Sexpartnerin zu töten versucht haben soll, berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm). Während er behauptete, die Frau in ihrer verqualmten Wohnung mit Verbrennungen vorgefunden zu haben, zweifelte der Brandsachverständige an einem solchen Tathergang. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, die Frau mit Brennspiritus übergossen und angezündet zu haben, um sie qualvoll zu töten, seine Vaterschaft zu verschleiern und keinen Unterhalt zahlen zu müssen.

LG Düsseldorf zu ärztlicher Schweigepflicht/Wendler: Das Landgericht Düsseldorf hat laut LTO und spiegel.de einen Unterlassungsantrag des Schlagersängers Michael Wendler gegen seinen Schönheitschirurgen abgewiesen. Der Arzt habe nicht gegen seine Schweigepflicht verstoßen, als er in einem Interview über eine Nasenkorrektur des Sängers berichtet hatte, weil er zuvor vertraglich umfassend von dieser Schweigepflicht entbunden worden sei, so das Gericht.

AG München zu Hitlergruß im Biergarten: Das Amtsgericht München verurteilte einen ehemaligen Polizisten, der in einem Biergarten den Hitlergruß gezeigt hatte, zu einer Geldstrafe von 4.200 Euro (280 Tagessätze zu je 15 Euro). Außerdem hatte der Mann Fotos eines gefesselten, nur mit Unterwäsche bekleideten dunkelhäutigen Gefangenen per Handy verschickt. Es schreibt spiegel.de.

GenStA Koblenz - Geplante Lauterbach-Entführung: Über die Ermittlungen wegen einer geplanten Entführung des Bundesgesundheitsministers berichtet LTO. Fünf Beschuldigten, von denen vier in Untersuchungshaft sind, wird danach die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen ssowie Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz. Laut zeit.de ist zudem inzwischen ein Mann nach einer Drohmail an den Koblenzer Generalstaatsanwalt festgenommen worden. Er hatte die Freilassung der vier Inhaftierten gefordert.

Rechtsextreme Richter:innen: Mehrere NGO's haben in einem gemeinsamen "Forderungspapier zur Justiz in Thüringen" ihre Vorstellungen zum Umgang mit rechtsextremen Richter:innen und Staatsanwalt:innen zusammengefasst. Unter anderem wird in dem Papier die Schaffung einer unabhängigen Beschwerdestelle gefordert, an die sich Menschen wenden können, denen Richter:innen oder Staatsanwält:innen als rechtsextrem aufgefallen sind. Außerdem müsse ermöglicht werden, dass gegen solche Jurist:innen frühzeitig Disziplinarmaßnahmen ergriffen werden können. LTO berichtet über das Papier.

Recht in der Welt

Frankreich – Verfassung: Im Interview mit der SZ (Thomas Kirchner/Nadia Pantl) erläutert der französische Verfassungsrechtler Jean-Philippe Derosier das französische Präsidialsystem und die Pläne der Präsidentschaftskandidaten zur Änderung dieses Systems. Marine Le Pen wolle beispielsweise per Referendum eine vorrangige Behandlung für geborene Franzosen in der Verfassung verankern, ohne die beiden Parlamentskammern damit zu befassen.

Russland – präsidiale Verfassung: Rechtsprofessor William Partlett analysiert im Verfassungsblog (in englischer Sprache) die verfassungsrechtlichen Strukturen, auf die sich die Macht des russischen Präsidenten Wladimir Putin stützt. Er zeigt auch die grundlegende Bedeutung, die detaillierte und oft technische Verfassungsregeln sowohl für einen demokratischen als auch für einen autoritären Staatsaufbau haben. "Möchtegern-Autokraten wissen sehr wohl, dass der Teufel im Detail der Verfassungsgestaltung steckt."

EGMR/Polen – Justizreform: Wie die SZ meldet, hat sich ein weiterer Richter an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt. Włodzimierz Wróbel, Mitglied des Obersten Gerichts in Polen und Kritiker der umstrittenen Justizreform des Landes, will hier gegen die versuchte Aufhebung seiner richterlichen Immunität vorgehen.

Großbritannien – Julian Assange: Der Westminster Magistrates Court hat laut LTO, SZ und spiegel.de den formellen Beschluss zur Auslieferung von Julian Assange an die USA erlassen. Endgültig müsse nun die britische Innenministerin Priti Patel über die Auslieferung entscheiden. Von den USA wird Assange Spionage vorgeworfen.

Sonstiges

BKartA – Deutsche Bahn: Das Bundeskartellamt hat die Deutsche Bahn abgemahnt, weil diese ihre marktbeherrschende Stellung im Fern- und Nahverkehr missbraucht habe, um Mobilitätsplattformen, die mit bahn.de konkurrieren, das Geschäft zu erschweren. Ein entsprechender Entscheidungsentwurf wurde der Bahn jetzt zur Stellungnahme zugestellt. Unter anderem wird der Deutschen Bahn vorgeworfen, dass die DB den Plattformen Zugang zu zentralen Prognosedaten des Schienenverkehrs in Deutschland (wie Zugverspätungen und -ausfälle) verweigert. Außerdem untersage die Bahn konkurrierenden Plattformen, auf Suchmaschinen sowie in App Stores und sozialen Netzwerken mit der vollen Sortimentsbreite der Deutschen Bahn – also auch mit DB-spezifischen Begriffen – zu werben und so ihr Angebot bekannt zu machen. Es berichten SZ (Markus Balser), taz (Anja Krüger), spiegel.de und LTO (Pauline Dietrich).

E-Examen für Anwaltsnotare: Ab September 2022 sollen, wie LTO-Karriere (Franziska Krings) berichtet, künftige Anwaltsnotar:innen ihr Examen auch digital ablegen können. Zunächst soll das E-Examen in Berlin starten. Seit Januar 2022 kann man sich dort für die digitalen Klausuren der Herbst-Prüfungskampagne anmelden.

Schmitt/Böckenförde: Den kürzlich erschienenen Briefwechsel zwischen Carl Schmitt und Ernst-Wolfgang Böckenförde hat die SZ (Oliver Weber) gelesen. Arbeite man sich durch das umfangreiche Material, könne man ungefähr ersehen, wie wichtig für Böckenförde das Schmitt'sche Refugium außerhalb des kritisch beäugten akademischen und journalistischen Betriebs gewesen sei. Vielleicht sei in dieser distanznehmenden Geisteshaltung, die von dort aus dann auch Bejahung erlaube, jene Gemeinsamkeit zu suchen, die den Theoretiker der freiheitlichen, modernen Demokratie mit dem "Feind des Rechtsstaates" bis zuletzt und unzertrennlich verband.

Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush": Die Zeit (Holger Stark) stellt den in der nächsten Woche anlaufenden Film über den Kampf der Mutter des 2002 in Guantanamo inhaftierten Bremers Murat Kurnaz vor. Der Autor outet sich als einer jener Journalisten, die seinerzeit die Verhaftung publik machten und sich dabei auf Informationen eines Staatsanwaltes stützten.

 

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LTO/pf

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. April 2022: . In: Legal Tribune Online, 21.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48194 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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