Die Parlamente hätten in der Pandemie eine stärkere Rolle spielen sollen, meint der Verfassungsrechtler Heinig. Das BVerfG weist den Eilantrag gegen das neue Wahlrecht zurück und Polen muss bis heute Teile seiner Justizreform zurücknehmen.
Thema des Tages
Corona – Parlamente: Rechtsprofessor Hans Michael Heinig widmet sich in der Mo-FAZ nach knapp eineinhalb Jahren Pandemie ausführlich der Frage, welche Rolle die Parlamente spielen sollten, beziehungsweise hätten spielen sollen. Parlamente seien, so meint er, im politischen System am ehesten in der Lage, Wissens- und Machtkonflikte auf produktive Weise zu unterscheiden und aufeinander zu beziehen, weil sie äußerst heterogen besetzt und unmittelbar demokratisch legitimiert seien. Sie stünden damit nicht in derselben Versuchung wie etwa Regierungen, Expertenkommissionen, Verfassungsgerichte oder Zentralbanken, die Grenze zwischen Wissen und Werten weichzuzeichnen. Stattdessen hätten allerdings marginalisierte Parlamente, außerparlamentarische Querdenker und innerparlamentarischer Rechtspopulismus dazu geführt, dass sich die von der rechts- und politikwissenschaftlichen Literatur aufgestellte Negativbilanz der Repräsentation während der Pandemie nicht verbesserte.
Rechtpolitik
Unternehmenssanktionen: Die Pläne der Regierungskoalition zur Einführung eines Unternehmenssanktionenrechts sind in der zu Ende gehenden Legislaturperiode gescheitert. Ein schon im Kabinett beschlossener Entwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft hat es nach einer monatelangen Blockade der Union nicht einmal geschafft, im Bundestag beraten zu werden. In der Mo-SZ (Jan Diesteldorf) wird der bisherige Diskussionsstand zusammengefasst und ein Ausblick gegeben, inwieweit sich wohl auch die nächste Regierung mit dem Thema befassen werde. Falls es keine schwarz-gelbe Bundesregierung geben sollte, werde sich die nächste Koalition ziemlich sicher wieder an einer Reform versuchen.
Betrug: Wie die BamS (Burkhard Uhlenbroich) berichtet, fordern der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) und der stellvertretende CDU-Bundestags-Fraktionsvorsitzende Thorsten Frei in einem Strategiepapier höhere Strafen für den sogenannten Enkeltrick. Für einen Betrug, bei dem "Alter, Erkrankung oder Behinderung des Opfers" ausgenutzt und "es in eine finanzielle Notlage" gebracht wird, soll dann eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahre drohen. Außerdem wird vorgeschlagen, dass unter Federführung der europäischen Polizeibehörde Europol international besetzte Ermittlungsgruppen gegen grenzübergreifende Betrügerbanden eingerichtet werden.
Justiz
BVerfG zum Wahlrecht: Das Bundesverfassungsgericht hat am vergangenen Freitag den Eilantrag von 216 Abgeordneten von FDP, Linken und Grünen gegen die im vergangenen Herbst beschlossenen Änderungen im Bundestagswahlrecht abgewiesen. Die verfassungsrechtlichen Argumente – u.a. sei das neue Wahlrecht zu unbestimmt – seien weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die Richter bringen zudem noch eine übergroße Komplexität als verfassungsrechtlichen Makel ins Spiel. In einer Folgenabwägung kamen die Richter aber zum Schluss, dass die Gründe für eine vorläufige Rückkehr bei der kommenden Wahl zum alten Wahlrecht nicht überwiegen. Sa-SZ (Robert Rossmann), Sa-FAZ (Helene Bubrowski), Sa-taz (Christian Rath, erweiterte taz.de-Fassung) und LTO (Franziska Kring) fassen Sachverhalt und Entscheidungsgründe zusammen.
In einem separaten Beitrag auf LTO werden Reaktionen der Parteien dargestellt. So erklärte die Abgeordnete Britta Haßelmann (Grüne), dass das Gericht klar gemacht habe, "dass unsere verfassungsrechtlichen Bedenken Gewicht haben und einer Klärung bedürfen", während sich die Union zuversichtlich zeigte, dass die Karlsruher Richter die Neuregelung im Hauptsacheverfahren für verfassungsgemäß erklären werden.
Daniel Deckers (Sa-FAZ) erinnert daran, dass die Diskussion um eine Wahlrechtsreform vorrangig von machttaktischen Aspekten gprägt war. Der Senat habe am Freitag zu Recht auf die Zuständigkeit des Gesetzgebers und damit auf die Macht der Parteien verwiesen, der Demokratie hätten CDU, CSU und SPD mit dieser Neuregelung aber einen Bärendienst erwiesen.
BGH zu Facebook-Gemeinschaftsstandards: Rechtsprofessor Arnd Diringer befasst sich in seiner Kolumne in der WamS jetzt auch mit der BGH-Entscheidung zu den Gemeinschaftsstandards von Facebook. Die Karlsruher Richter hatten festgestellt, dass bei Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze Sperrungen von Inhalten nur zulässig sind, wenn sie begründet werden und gleichzeitig die Möglichkeit zur Gegenäußerung gegeben wird. Damit habe "der BGH einen Pflock eingeschlagen", so Diringer. Wenn Facebook und Co die Verfahrensanforderungen nicht oder nicht ordentlich umsetzten, werde ihnen das vor Gericht immer wieder auf die Füße fallen.
VGH Bayern zu Airbnb: Eine Stewardess hat vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Recht bekommen und darf, so spiegel.de, nun ihre Wohnung an Touristen vermieten. Zuvor war ihr auf der Grundlage des von der Stadt München erlassenen Zweckentfremdungsverbotes untersagt worden, die Wohnung über die Plattform Airbnb anzubieten. Der VGH hat jetzt festgestellt, dass das Interesse der Klägerin hier die öffentlichen Belange am Wohnraumerhalt überwiege, weil die Eigentumswohnung bei Abwesenheit der Stewardess "nicht dem allgemeinen Wohnungsmarkt zur Verfügung" stehe.
OVG Sachsen zu Abschiebung nach Georgien: Das Oberverwaltungsgericht Sachsen hat die Behörden verpflichtet, eine Familie, die nach Georgien abgeschoben wurde, zurückzuholen, meldet LTO. Zwei der Kinder hätten einen Anspruch auf Erteilung einer verfahrensbezogenen Duldung gehabt und auch für die Eltern und die Geschwisterkinder habe aufgrund des Bestehens einer familiären Lebensgemeinschaft im Zeitpunkt der Abschiebung ebenfalls ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung bestanden.
VG München zur Einfuhr von Kulturgut: LTO berichtet über eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes München, mit der die Nachweispflicht für Kulturguteinfuhren bestätigt wird. Es ging um antike Münzen im Wert von etwa 20.000 Euro, die ein Mann in den USA bei einer Auktion erworben und nach Deutschland eingeführt hatte. Sie wurden sichergestellt, weil der notwendige Nachweis einer rechtmäßigen Herkunft nicht erbracht wurde. Zu Recht, wie das Gericht feststellte, die Nachweispflicht greife nachteilig zu Lasten des Einführenden insbesondere dann, wenn als Herkunftsstaat mehrere Staaten in Betracht kommen oder der Zeitpunkt über die Ausfuhr aus dem Herkunftsstaat ungeklärt bleibe.
LG Wiesbaden/LG Bonn – Cum-Ex/Hanno Berger: Die FAS (Corinna Budras) porträtiert Hanno Berger, der in der Schweiz vor der Auslieferung nach Deutschland steht. Im Text wird Bergers Weg vom Beamten der Finanzverwaltung hin zu einem der Hauptdrahtzieher im Cum-Ex-Skandal nachgezeichnet. Nun weigere er sich mit allen rechtlichen Mitteln gegen seine Auslieferung.
GenStA Berlin – "Ehrenmord": Die FAS (Julia Schaaf) berichtet, was die Ermittlungen zum mutmaßlichen Ehrenmord an der jungen Afghanin Maryam H. in Berlin bisher ergeben haben. Möglicherweise sei der Mordbefehl vom Vater aus Afghanistan gekommen. Die Strafrechtlerin Clara Rigoni unterscheidet zwischen "Ehrenmorden" und Partnerschaftsgewalt.
Morten Friedel (FAS) kritisiert die Diskussion um den Begriff "Ehrenmord", die zwischen Berliner Politikern nach der Entdeckung der Tat entbrannte. So wies Berlins Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) darauf hin, dass auch Einheimische ihre Partnerinnen ermorden, und wollte lieber von Femizid reden. Dabei werde allerdings nicht berücksichtigt, argumentiert Friedel, dass auch Männer im Namen falsch verstandener Ehre ermordet werden, beispielsweise, weil sie homosexuell sind oder sich weigerten, selbst zum Täter zu werden oder auch, weil sie eine Frau liebten, die sich aus freien Stücken dazu entschieden hat. Wer so argumentiere, verharmlose Ehrenmorde und behindere die Diskussion über ihre Wurzeln. Jost Müller-Neuhof (Tsp) meint, dass beide Begrifflichkeiten für die weiteren Ermittlungen und ein individuell schuldangemessenes Strafen in einem späteren Prozess vermutlich wenig brächten, die Akteurinnen vielmehr das Verbrechen nutzten, um politisch Stimmung zu machen.
StA Koblenz – Hochwasser: Wie schwer es für die Justiz ist, eine Schuld im strafrechtlichen Sinn festzustellen, schreibt Heribert Prantl (Sa-SZ) in seiner Kolumne anlässlich der eingeleiteten Ermittlungen zu möglichen Versäumnissen im Zusammenhang mit dem Hochwasser in Rheinland-Pfalz. "Aber selbst, wenn die Schuld klein ist und die Strafe daher nicht hoch – ein Schuldspruch ist für die Angehörigen und Freunde der Opfer wichtig, weil er Trost ist. Und er ist wichtig für die Gesellschaft, weil er zeigt, dass die Justiz nicht kapituliert vor der Größe einer Katastrophe", so Prantl.
Baden-Württemberg – Klageflut: Das Justizministerium Baden-Württemberg beobachtet mit Sorge eine Zunahme von Massenklagen wie im Zuge des Dieselskandals oder in Kapitalanlagefällen. Solche Massenverfahren führten insbesondere bei den Landgerichten als Eingangsinstanz und den Oberlandesgerichten als Rechtsmittelinstanz zu erheblichen Belastungen, wird ein Sprecher des Ministeriums von LTO zitiert. Deshalb meint der Präsident des Landgerichtes Stuttgart, Andreas Singer, dass eine Reform des kollektiven Rechtsschutzes unumgänglich sei. Die Justizministerkonferenz hatte sich im Juni für die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens ausgesprochen.
Recht in der Welt
Polen – Justizreform: Der Spiegel (Maximilian Popp/Jan Puhl) beschreibt ausführlich die praktischen Wirkungen der Justizreform, die die PiS-Regierung umgesetzt hat und aufgrund der die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Auch in Polen selbst regt sich Widerstand – beispielsweise durch den Warschauer Richter Igor Tuleya, gegen den die Staatsanwaltschaft sieben Disziplinarverfahren eröffnet hat und dessen Immunität sie aufheben ließ. Bis zum 16. August musste Polen Teile der Justizreform nun zurücknehmen, um ein neues Verfahren der EU-Kommission zu verhindern.
Der Politikberater Gerald Knaus fordert auf spiegel.de, dass die europäischen Institutionen im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens "eine beispiellose Geldstrafe" gegen Polen verhängen. Jetzt sei die wohl letzte Möglichkeit, eine noch tiefere, existenzielle Krise zu verhindern. Es gehe nicht darum, wie Polen seine unabhängige Justiz organisiere, sondern ob es überhaupt noch eine gebe.
USA – Impfpflicht an Universität: Der Oberste Gerichtshof der USA hat die Klage mehrerer Studenten gegen die Impfpflicht an der Indiana-Universität zurückgewiesen. Da inzwischen mehr als 700 Bildungseinrichtungen in den Vereinigten Staaten eine Impfpflicht für Studenten und Professoren eingeführt haben, gelte das Urteil des Supreme Court als wegweisend, schreibt die Sa-FAZ.
Sonstiges
EU-Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil: Kritisch analysiert der Spiegel (Markus Becker/Sophie Garbe u.a.) das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik wegen der EZB-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes und befasst sich dabei kritisch auch mit der Antwort der Bundesregierung. In Berlin habe man sich dafür entschieden, die Auseinandersetzung zu lösen, indem man sie für gegenstandslos erklärt, heißt es im Text. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werde ausführlich, aber zugleich sehr lückenhaft erläutert und so entstehe der Eindruck, Karlsruhe läge mit den Vorstellungen Brüssels und des EuGH auf einer Linie.
Eherecht: Die Rechtsprofessorin Angelika Nake spricht im Interview mit der Mo-SZ (Sonja Salzburger) über den Sinn von Eheverträgen und die Notwendigkeit einer guten Altersvorsorge.
Weinrecht: LTO (Pauline Dietrich) hat den Generalsekretär des Deutschen Weinbauverbands Christian Schwörer zum Weinrecht befragt.
Cold case getötetes Kind: Der Spiegel (Julia Jüttner) erzählt einen Fall, in dem die Ermittlungen in einem sogenannten cold case aufgrund eines Hinweises aus einem anderen Fall wieder aufgenommen wurden und letztendlich 19 Jahre nach dem Verbrechen der Täter verurteilt wurde. Er hatte 1999 ein achtjähriges Mädchen entführt, betäubt, womöglich missbraucht und jedenfalls getötet. Das Landgericht Gießen verurteilte ihn 2018 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
Currywurst: Martin Rath widmet sich auf LTO – aus aktuellem Anlass – der Currywurst, allerdings weniger in ihrer zumindest vom Ex-Kanzler behaupteten Eigenschaft als "Kraftriegel", sondern ihrem Schicksal im Rahmen gerichtlicher Auseinandersetzungen.
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lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 14. bis 16. August 2021: . In: Legal Tribune Online, 16.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45736 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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