Verdachtsunabhängige Personenkontrollen im Grenzgebiet zu anderen Schengen-Staaten, die illegale Einreisen verhindern sollen, verstoßen gegen EU-Recht. Die Frage nach angeblich diskriminierenden Polizeikontrollen ließ das VG Stuttgart offen.
Auch wenn der Kläger vor dem Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart erfolgreich war, ist die Entscheidung der Verwaltungsrichter nicht die Botschaft, die der in Kabul geborene Deutsche sich erhofft hat. Er wollte gerichtlich feststellen lassen, dass ausländisch aussehende Deutsche in ihrer Heimat nach wie vor diskriminiert würden, weil die Polizei sie verstärkt kontrolliere.
Der dunkelhäutige Deutsche war in einem Zug bei Baden-Baden, also im Grenzgebiet zu Frankreich, von Bundespolizisten kontrolliert worden. Durch die polizeilichen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung sah er sich diskriminiert. Er sei lediglich aufgrund seiner dunklen Hautfarbe kontrolliert worden, seine Kontrolle daher rechtswidrig, argumentierte er vor dem VG.
Im Ergebnis gaben ihm die Verwaltungsrichter Recht – seine Personenkontrolle war rechtswidrig. Die Frage, ob möglicherweise bei der Entscheidung, gerade ihn und nicht andere Mitreisende in dem betreffenden Waggon zu kontrollieren, seine Hautfarbe eine Rolle gespielt hat, und wie dies rechtlich zu bewerten wäre, ließ das Gericht hingegen ausdrücklich offen.
BPolG genügt europäischen Vorgaben nicht
Die 1. Kammer begründete ihr Urteil vielmehr damit, dass die deutsche Ermächtigungsgrundlage für die Personenkontrolle nicht den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an eine nationale Befugnis für verdachtsunabhängige Identitätskontrollen im Grenzgebiet zu anderen Schengen-Staaten (Urt. v. 22.06.2010, Az. C-188/10 und C-189/10) entspreche.
§ 23 Abs. 1 Nr. 3 Bundespolizeigesetz (BPolG) gewährleiste nämlich nicht, dass die tatsächliche Ausübung der Befugnis zur Durchführung von Identitätskontrollen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen hat. Es fehle an verbindlichen Regelungen hinsichtlich Intensität und Häufigkeit der Kontrollen, so die Verwaltungsrichter (VG Stuttgart, Urt. v. 22.10.2015, Az. 1 K 5060/13).
Vera Egenberger vom Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung bestätigte gegenüber der Deutschen Presseagentur, dass Deutschland die Vorgaben für die Bundespolizei seit dem EuGH-Urteil aus dem Jahr 2010 nicht EU-konform verändert habe. Inzwischen führe die EU-Kommission deswegen auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland.
Keine Entscheidung über Racial Profiling, Berufung möglich
Nur wenn in Deutschland auf der Grundlage der Art. 23 ff. des Schengener Grenzkodex' vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der betreffenden Binnengrenze eingeführt würden, könnte § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG als Ermächtigungsgrundlage greifen, so das VG Stuttgart. Dem war im Jahr 2013 nicht so, so dass der ausländisch aussehende deutsche Kläger schon aus diesem Grund Recht bekam. Zu einer Entscheidung über die in Deutschland nicht abschließend geklärte Rechtmäßigkeit des sogenannten Racial Profiling kam es daher nicht.
Die Entscheidung sei dennoch ein Erfolg beim Ziel, rassistische Kontrollen zu ächten, sagte Klägeranwalt Sven Adam. Gestützt auf das Bundespolizeigesetz würden Beamte vielfach zu angeblich zufälligen Kontrollen von Menschen mit dunkler Haut herangezogen, behauptete Adam. "Ich freue mich, dass mein Fall auf die eine oder andere Weise nun dazu beiträgt, dass diese Kontrollen irgendwann aufhören", sagte der Kläger, der seit seinem dritten Lebensjahr in Deutschland lebt, heute für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) arbeitet und angeblich regelmäßig kontrolliert wird.
Das Gericht hat gegen das Urteil die Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zugelassen.
pl/mbr/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
VG Stuttgart zu Personenkontrollen in Grenzgebieten: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17317 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag