VG zum knappen Berliner Wohnraum: Zwe­ck­ent­f­rem­dungs­verbot gilt auch für Bau­ruine

18.09.2023

Wohnraum in Berlin ist seit Jahren ein Streitthema. Diesen einfach verfallen zu lassen, um so das Zweckentfremdungsverbot zu umgehen, funktioniert aber nicht, hat das VG Berlin entschieden.

Ein Gebäude, das ursprünglich zu Wohnzwecken errichtet wurde, kann nicht allein durch bewussten jahrelangen Leerstand und dadurch bedingten baulichen Verfall dem Zweckentfremdungsverbot entzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin (VG) in einem am Montag veröffentlichten Urteil entschieden (Urt. v. 12.7.2023, Az. VG 6 K 264/21).

Eine Bauentwicklungsgesellschaft kaufte 1998 ein Mehrfamilienhaus in Berlin-Mitte. Wie bei entsprechenden Investitionsvorhaben üblich sollte das Haus saniert werden, 23 neue moderne Wohnungen sollten entstehen. Die Gesellschaft beantragte dazu erfolgreich eine Baugenehmigung.

Von dieser Baugenehmigung machte die Gesellschaft allerdings nie Gebrauch. Spätestens seit 1998 stand das Haus leer und verfiel langsam. 2015 teilte die Baugesellschaft dem Bezirksamt mit, dass das Gebäude nicht mehr zur Wohnnutzung geeignet sei, es habe keine Heizung, Bäder und Toiletten und sei einsturzgefährdet. 2019 beantragte die Gesellschaft dann ein Negativattest. Damit sollte festgestellt werden, dass die Räumlichkeiten kein schützenswerter Wohnraum mehr seien. In diesem Falle wäre das Gebäude nämlich nicht mehr vom in Berlin geltenden Zweckentfremdungsverbot erfasst und könnte abgerissen werden. Das Zweckentfremdungsverbot soll dafür sorgen, dass Wohnraum auch als solcher und nicht anderweitig genutzt wird.

Aushebelung des Zweckentfremdungsverbots durch bewusstes Verfallenlassen von Wohnraum

Das Bezirksamt lehnte den Antrag auf ein Negativattest ab, die Baugesellschaft klagte daraufhin vor dem VG. Doch dieses lehnte nun die Klage ab. Entscheidend für die Anwendung des Zweckentfremdungsverbots sei nämlich die Frage, ob ein Gebäude "mit objektiv zumutbarem Aufwand" in einen bewohnbaren Zustand versetzt werden könne. "Unzumutbar" ist der Aufwand nämlich nur dann, wenn die anzusetzenden Wiederherstellungskosten voraussichtlich höher sein werden als die Rendite, die in zehn Jahren mit dem Wohngebäude erzielt werden kann. 

Hier hakte das VG ein: Ausgeklammert von der Berechnung der Wiederherstellungskosten seien solche Kosten, die durch unterlassene Instandsetzungs- und Unterhaltungsmaßnahmen zurückzuführen seien. Denn ansonsten, so das Gericht, könne das Zweckentfremdungsverbot durch gezielten Leerstand leicht unterlaufen werden. Würde der Leerstand von Wohnräumen - wie im Fall der klagenden Baugesellschaft - über Jahre hinweg fortgesetzt und von einer Instandhaltung abgesehen, sei zu vermuten, dass die Kosten zur Wiederherstellung der Bewohnbarkeit vermeidbar gewesen wären, so das VG Berlin. Entsprechend zählten sie bei der Berechnung der Gesamtwiederherstellungskosten mit.

Eine sonstige Unzumutbarkeit der Wiederherstellung der Wohnräume konnte die Baugesellschaft nach Auffassung des Gerichts auch nicht nachweisen, es wies die Klage daher ab. Gegen das Urteil hat das VG aber die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

ast/LTO-Redaktion

Anm. d. Red.: Korrigiert am 25.9.2023, 15.09

Zitiervorschlag

VG zum knappen Berliner Wohnraum: . In: Legal Tribune Online, 18.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52725 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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