Die vom Berliner Polizeipräsidenten verbotene Großdemonstration gegen die Corona-Politik darf stattfinden. Das VG Berlin gab am Freitag grünes Licht, allerdings unter Auflagen. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gehört nicht dazu.
Die von der Initiative "Querdenken 711" für den 29. August 2020 geplante Versammlung gegen die Corona-Politik von Bund und Ländern kann nach einem Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin stattfinden (Beschl. v. 28.08.2020, Az. VG 1 L 296/20); allerdings muss der Veranstalter diverse Auflagen zur Einhaltung des Mindestabstandes einhalten. Das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen fällt nicht darunter.
In einer ersten Reaktion gegenüber LTO zeigte sich der Anwalt der Veranstalter "Querdenken", Ralf Ludwig, erfreut über die "wegweisende" Entscheidung des Gerichts. Der Beschluss sei eine "Klatsche für den Berlins Innensenator Geisel", so Ludwig. Der Anwalt lobte, dass sich das VG hinreichend Zeit genommen habe, um sich intensiv mit den vorgetragenen Argumenten auseinanderzusetzen. Zudem habe es dem "hohen Gut der Versammlungsfreiheit" angemessen Rechnung getragen, begrüßte Ludwig.
Beide Seiten prüfen Beschwerde zum OVG
Trotz der im Grundsatz für ihn und seine Mandantschaft positiv verlaufenen Entscheidung kündigte Ludwig gegenüber LTO eine Prüfung an, ob sein Mandant Beschwerde gegen die vom VG erteilten Auflagen einreichen werde. Hintergrund sei, dass in früheren Gesprächen mit der Polizei über ganz andere Auflagen gesprochen worden sei. Dazu gehörte nach Angaben von Ludwig zum Beispiel nicht die Verlegung des Standortes der Bühne, die nach dem Beschluss des VG nun am Platz des 18.März/Ebertstraße installiert werden muss. Weiter gab das Gericht jetzt vor, dass der Veranstalter "im Bühnenbereich Gitter zur Vermeidung einer Personenballung aufstellen" muss. Mittels beständig wiederholter Durchsagen und unter Einsatz seiner Ordner muss „Querdenken“ zudem sicherstellen, dass auch die übrigen Teilnehmer die Mindestabstände einhalten.
Reaktionen aus aus dem Berliner Polizeipräsidium waren bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht zu bekommen. Ob der Polizeipräsident Berlin, der als zuständige Versammlungsbehörde die Verbotsverfügung erlassen hatte, gegen den Beschluss des VG Beschwerde beim Oberveraltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg einreichen wird, war bis zum Erscheinen des Artikels noch offen. "Das prüfen wir noch", erklärte ein Sprecher.
Verlautbarungen der vergangenen Tage könnten aber darauf hindeuten: So hatte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) das Verbot der Demonstration gegen die Corona-Politik immer wieder verteidigt und am Mittwoch unter anderem erklärt, dass er nicht bereit sei, "ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird".
Versammlungsbehörde: erhöhtes Infektionsrisiko rechtfertigt Verbot
Zur Begründung berief sich die Versammlungsbehörde auf die Gefahren, die mit der Durchführung der Veranstaltung für die körperliche Unversehrtheit anderer einhergingen. So sei aufgrund der Erfahrungen mit einer gleichgelagerten Versammlung am 1. August 2020 zu erwarten, dass die Teilnehmer die Vorgaben zum Infektionsschutz – insbesondere das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und die Einhaltung eines Mindestabstands untereinander – nicht beachten würden. Daher gehe mit der Abhaltung der Versammlung ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko der Bevölkerung mit COVID-19 einher. Vor diesem Hintergrund seien mildere Mittel als ein Verbot zur Abwehr der Gefahr nicht ersichtlich.
Dieser Auffassung folgte das VG Berlin nunmehr nicht – und zwar mit deutlichen Worten: Vor allem verneinte die 1. Kammer eine - nach dem Versammlungsgesetz für ein Versammlungsverbot nötige - unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Unter diesen Begriff aus § 15 Versammlungsgesetz fällt auch der Schutz zentraler Schutzgüter wie Leben und Gesundheit.
VG: Verfassungswidrige Gefahrenprognose
Das VG rüffelt indes die Berliner Versammlungsbehörde und betonte, dass diese "unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit" und insbesondere bei einem vorbeugenden Verbot keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen dürfe.
Das sei aber geschehen. Die Behörde habe eine Gefahrenprognose vorgenommen, die "nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben" genüge. Diese sei nicht "hinreichend konkret" gewesen, insbesondere habe sich die Behörde nicht mit den bereits getroffenen Wertungen der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung auseinandergesetzt. Danach seien Versammlungen grundsätzlich zulässig. Hierbei nehme der Verordnungsgeber– wie die fehlende Obergrenze der Teilnehmerzahl zeige - ein erhöhtes Infektionsrisiko in gewissem Umfang in Kauf. Zwar müsse der Veranstalter einer Versammlung ein individuelles Schutz- und Hygienekonzept erstellen, das Tragen einer Nase-Mund-Bedeckung sei indes nur "erforderlichenfalls" Teil eines solchen Konzepts.
Der Anmelder-Initiative "Querdenken" bescheinigte die Kammer unterdessen, dass diese ein ausreichendes Hygienekonzept vorgelegt habe. Auch sei nicht zu erkennen, dass die Veranstalter das Abstandsgebot bewusst missachten würden. Eine solche Prognose lasse sich weder aus dem Verlauf der Versammlung am 1. August 2020 noch aus der kritischen Haltung der Teilnehmer zur Corona-Politik ableiten. Vielmehr habe der Anmelder u.a. durch die Bereitstellung von 900 Ordnern und 100 Deeskalationsteams hinreichende Vorkehrungen dafür getroffen, entsprechend auf die Teilnehmer einzuwirken. Außerdem habe die Versammlungsbehörde Alternativen zum Versammlungsverbot nur unzureichend geprüft (etwa die Änderung der Örtlichkeit oder eine Begrenzung der Teilnehmerzahl).
VG Berlin erlaubt Anti-Corona-Demo in Berlin: . In: Legal Tribune Online, 28.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42634 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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