Ob es rechtmäßig ist, wenn die Polizei rabiat gegen Klimaaktivisten vorgeht und Schmerzgriffe anwendet, kann nicht im vorläufigen Rechtsschutz geklärt werden. Das entschied das VG Berlin. Es fehle an der Wiederholungsgefahr.
Klima-Aktivistinnen können sich nicht vorsorglich gegen einen möglichen polizeilichen Schmerzgriff gerichtlich absichern. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. Die Feststellung, dass ein polizeiliches Einschreiten rechtswidrig war, könne nicht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes erreicht werden (Beschl. v. 10.05.2023, Az. 1 L 171/23).
Vor Gericht gezogen war ein Mitglied der Klimagruppe "Letzte Generation", bei dem nach eigenen Angaben am 20. April ein solcher Schmerzgriff angewendet wurde. Nach Angaben der Berliner Polizei handelt es sich bei dem Klimaaktivisten um die Person, die auf einem Videomitschnitt im Zusammenhang mit einem Klimaprotest am 20. April zu sehen ist. Zu dem Vorgang hatte die Polizei am 22. April bei Twitter mitgeteilt, dass sie das im Netz kursierendes Video prüfe. Später hieß es, es sei eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt eingeleitet worden. "Die Ermittlungen dazu dauern an", sagte ein Polizeisprecher am Donnerstag.
"Letzte Generation" macht seit vergangenem Jahr regelmäßig mit Sitzblockaden auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam. Im April hatten die Klimaaktivisten ihren Protest auf Berlins Straßen intensiviert. Hunderte Polizisten waren im Einsatz, um Blockaden aufzulösen. Dabei wurden laut Gericht ausgesprochene Platzverweise regelmäßig durch Wegtragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer vollstreckt. Vereinzelt sei dabei die "Handbeugetransporttechnik" angedroht oder angewendet worden. Diese sei geeignet, beim Betroffenen Schmerzen auszulösen.
Den Antrag des Aktivisten, die Rechtswidrigkeit der Schmerzgriff-Anwendung im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) festzustellen, wies das VG als unzulässig ab. "Die Stellung von (Fortsetzungs-)Feststellungsanträgen ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht zulässig", so der Beschluss, der LTO vorliegt. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO sei lediglich auf den Erlass einer einstweiligen, d.h. vorläufigen Regelung gerichtet und führe nicht zu einer rechtskräftigen Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der beanstandeten Maßnahme. "Das Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer behördlichen Maßnahme kann daher nach ihrer Erledigung grundsätzlich nicht in einem Eilverfahren, sondern nur in einem Hauptsacheverfahren erfüllt werden", so das Gericht.
Gericht sieht keine Wiederholungsgefahr
Das VG sah sich auch nicht veranlasst, die die Feststellung ausnahmsweise im Eilverfahren zu treffen. Der Aktivist hatte sich darauf berufen, dass der Schmerzgriff einen besonders schwerwiegenden, sich üblicherweise kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriff darstelle. Zwar könne aus diesem Grund ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer erledigten Maßnahme bestehen. Der Aktivist habe aber nicht hinreichend dargelegt, dass eine konkrete Wiederholungsgefahr vorliegt.
Er habe zwar angekündigt, sich auch zukünftig an Sitzblockaden zu beteiligen. Dass die Polizei auch in der Zukunft wieder Schmerzgriffe gegen ihn einsetzen wird, hielt das Gericht jedoch für "fernliegend". Der Aktivist habe lediglich auf Fotos und Videos von acht Situationen verwiesen, bei denen Schmerzgriffe eingesetzt wurden. Angesichts der Tatsache, dass an einzelnen Tagen 200 bis 250 Personen aktiv an den Blockadeaktionen teilgenommen haben, lasse sich aufgrund der acht Videos nicht darauf schließen, dass die Polizei regelmäßig Schmerzgriffe einsetzten würde. Dazu heißt es im Beschluss:
"Im Gegenteil spricht gegen eine solche Annahme (...) das vom Antragsteller selbst in Bezug genommene Bildmaterial, das dokumentiert, dass in mehreren Fällen die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch die Polizei gegenüber Teilnehmern von Sitzblockaden ohne Anwendung der Handbeugetechnik erfolgt."
Verfassungsrechtler zweifeln an Verhältnismäßigkeit
Auch wenn man das Begehren Aktivisten als auf die vorbeugende Unterlassung der Anwendung des Schmerzgriffs ihm gegenüber auslegen würde, fehle es Gerichtsangaben zufolge daher ebenfalls an der konkreten Wiederholungsgefahr.
Immer wieder tauchen im Internet Videos auf, auf denen zu sehen ist, wie die die Polizei den Aktivisten beim Wegtragen Schmerzen zufügt. Im vergangenen Jahr hatte ein Polizist einer Aktivistin "unfassbare Schmerzen" angedroht, wenn sie nicht freiwillig aufstehen würde. Dies führte zu einer Debatte darüber, ob ein solches Vorgehen der Polizei überhaupt rechtlich zulässig ist. Die Berliner Polizei bejahte das, Verfassungs- und Verwaltungsrechtler äußerten gegenüber LTO jedoch Zweifel und sehen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzt.
Gegen den Beschluss des VG kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) erhoben werden.
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
VG Berlin zu polizeilichen Maßnahmen gegen "Klimakleber": . In: Legal Tribune Online, 11.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51749 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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