Nachdem Klima-Proteste auf der Autobahn einen Rettungseinsatz verzögert haben sollen, wird scharf über den Umgang mit den Aktionen auf der Straße diskutiert. Die Polizei ermittelt wegen Behinderung von hilfeleistenden Personen.
Die Diskussion um den Umgang mit Klimaprotesten auf der Straße hat an Schärfe zugenommen, nachdem die Berliner Feuerwehr am Montag mitteilte, ein Rettungseinsatz sei durch eine Demonstration auf der Autobahn erheblich behindert worden. Die Polizei Berlin hat bereits ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Personen wegen Behinderung von hilfeleistenden Personen eingeleitet, das teilte die stellvertretende Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Berlin gegenüber LTO mit.
Eine Radfahrerin war am Montagmorgen in Berlin-Wilmersdorf von einem LKW überrollt worden. Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, standen Feuerwehr-Einsatzkräfte mit Spezialgeräten wegen Protesten von Klimademonstranten im Stau und trafen erst verspätet am Unfallort ein. Die Frau wurde schwer verletzt in eine Klinik gebracht. Der Fahrer des LKW wurde nach dem Unfall nach mit einem Messer angegriffen und kam verletzt in ein Krankenhaus. Er wurde nach Angaben einer Polizeisprecherin von einer unbekannten Person attackiert, als er ausstieg, um nach der Frau zu schauen.
Bis zum 28. Oktober gingen bei der Staatsanwaltschaft Berlin insgesamt 754 Verfahren zu Aktionen von Klimaaktivisten ein, so die Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage von LTO. Viele Verfahren seien miteinander verbunden worden, da einzelne Personen an mehreren Aktionen beteiligt gewesen seien, damit habe sich die Zahl der Verfahren auf 435 reduziert.
Ein großer Teil der Verfahren ist bereits erledigt. In 252 Fällen sind Strafbefehle beantragt worden, in zwei Fällen sind Anklagen zum Jugendrichter erhoben worden, so die Generalstaatsanwaltschaft weiter. In fünf dieser Verfahren liegen mittlerweile rechtskräftige Verurteilungen vor. 58 Verfahren wurden gemäß § 154 der Strafprozessordnung vorläufig eingestellt, 15 Verfahren wurden nach § 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung eingestellt. Eine vorläufige Verfahrenseinstellung erfolgte nach § 154f der Strafprozessordnung. Zwei Verfahren wurden zuständigkeitshalber an die zuständige Ordnungswidrigkeitenbehörde abgegeben. 123 Verfahren sind noch offen, hier dauern die Ermittlungen noch an.
Die Generalstaatsanwaltschaft erklärte gegenüber LTO weiter, bei den Delikten handele es sich überwiegend um Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, vereinzelt auch um gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b des Strafgesetzbuches. Neu ist demnach nach dem Vorfall vom Montag, dass auch wegen Behinderung von hilfeleistenden Personen nach § 323c Abs. 2 StGB ermittelt wird.
Protestgruppe bestürzt, Polizei-Gewerkschaft fordert Konsequenzen
Die Klima-Protestgruppe "Letzte Generation" teilte der Deutschen Presse-Agentur mit, sie sei bestürzt und könne nicht ausschließen, dass die Verspätung der Feuerwehr auf einen durch sie verursachten Stau zurückzuführen sei. Nach Angaben des Feuerwehrsprechers standen Einsatzkräfte mit einem sogenannten Rüstwagen mit Spezialtechnik, die etwa zum Anheben schwerer Lasten eingesetzt wird, eine "recht relevante Zeit" im Stau auf der Stadtautobahn A100. Da die Technik nicht zur Verfügung stand, habe man an der Unfallstelle improvisieren müssen.
Die Sprecherin der Klima-Protestgruppe "Letzte Generation", Carla Hinrichs, sagte, die Gruppe hoffe inständig, dass sich der Gesundheitszustand der Frau durch die Verspätung des Feuerwehr-Spezialwagens nicht verschlimmert habe. "Bei all unseren Protestaktionen ist das oberste Gebot, die Sicherheit aller teilnehmenden Menschen zu gewährleisten."
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte die Blockadeaktion der Klimaschützer scharf. "Spätestens jetzt sollte man sich mal vom Märchen des harmlosen Protests verabschieden. Wer Verkehrswege blockiert, riskiert und behindert die Handlungsfähigkeit der Inneren Sicherheit und nimmt auch bewusst in Kauf, dass Menschen in Not länger auf Hilfe von Polizei und Feuerwehr warten müssen", sagte Sprecher Benjamin Jendro. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält eine Verschärfung des Polizei- und Ordnungsrechtes für erforderlich: "Die Hauptstadt wird solange Wohlfühl-Biotop für diese Aktionen sein, bis der Rechtsstaat deutlich macht, dass Straftaten nicht toleriert werden können", so Jendro.
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte, es sei jetzt Aufgabe der Polizei und der Gerichte, zu klären, inwieweit die Aktivisten eine Schuld daran trügen, dass dem Unfallopfer nicht schneller geholfen werden konnte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appellierte an die Klimaaktivisten, ihre Aktionen dürften nicht zur Gefährdung anderer beitragen. "Ich glaube, dass wir kritische Haltung, kritischen Protest, akzeptieren müssen. Dass die Aktionen jetzt nicht auf sehr weitreichenden Beifall gestoßen sind, ist auch offensichtlich", sagte Scholz.
Rund 150 Strafbefehle bis Mitte Oktober in Berlin
Aus Sicht der Berliner Justiz funktioniert die Zusammenarbeit zwischen der Staatsanwaltschaft Berlin und der Polizei inzwischen gut. Im Sommer war der Justiz von einigen Politikern vorgeworfen worden, sie reagiere nicht konsequent genug auf die Protestaktionen. Wiederholt sprach sich Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) gegen eine Einmischung in die Ermittlungen aus. Bei der Staatsanwaltschaft kümmern sich allerdings inzwischen zwei Schwerpunktabteilungen um die Fälle, auch die Polizei hat personell aufgestockt.
Bisher gab es einige Verurteilungen von Demonstranten zu kleineren Geldstrafen wegen Nötigung. Die Staatsanwaltschaft beantragt in der Regel eine Ahndung der Taten durch einen Strafbefehl. Rund 150 solcher Strafbefehle wurden bis Mitte Oktober nach Justizangaben vom Amtsgericht Tiergarten erlassen.
In einem ersten Strafprozess nach den Straßenblockaden hatte das Amtsgericht (AG) Tiergarten im August einen 20-Jährigen wegen Nötigung schuldig gesprochen und ihn nach dem Jugendstrafrecht zur Ableistung von 60 Stunden Freizeitarbeit verurteilt. Er hatte sich im Juni dieses Jahres an einer Blockade der Gruppe "Letzte Generation" an der Stadtautobahn A100 in Berlin-Wedding beteiligt und an der Fahrbahn festgeklebt.
Grundsätzlich kommt bei den Klimaprotesten auf der Straße eine Strafbarkeit wegen Nötigung gem. § 240 Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht. Nötigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Je nach Fallkonstellation können weitere Straftatbestände einschlägig sein - etwa ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB), Behinderung von hilfeleistenden Personen (§ 323c Abs. 2 StGB) oder Wiederstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB).
Mit den derzeit fast täglichen Aktionen der Klimaaktivisten, die auf den Berliner Straßen für erhebliche Behinderungen sorgen, wird in der Politik der Ruf nach Konsequenzen wieder lauter. So äußerte sich der bayerische Justizminister Gerorg Eisenreich (CSU) als Vorsitzender der Justizministerkonferenz, die am 10. November in Berlin stattfindet. "Jeder darf sich für den Klimaschutz einsetzen und für seine Ziele demonstrieren. Man darf andere aber nicht in Gefahr bringen, Notrufe missbrauchen oder Eigentum beschädigen. Demonstrantinnen und Demonstranten muss klar sein: Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit enden dort, wo das Strafrecht beginnt. Der Klimaschutz rechtfertigt keine Straftaten."
Der Text wurde mit Informationen der Generalstaatsanwaltschaft aktualisiert am 1.11.2022 um 17:20.
aka/dpa/LTO-Redaktion
Verfahren gegen Klimaaktivisten in Berlin: . In: Legal Tribune Online, 01.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50040 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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