Zehntausende Staatsbedienstete verloren ihren Job, hunderttausende Menschen wurden inhaftiert und noch immer sitzen viele von ihnen im Gefängnis: Die Auswirkungen des Putschversuchs in der Türkei in Zahlen drei Jahre danach.
Bei dem Putschversuch vor drei Jahren in der Türkei waren mehr als 200 Menschen getötet worden. Präsident Recep Tayyip Erdogan macht den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen als Drahtzieher verantwortlich. Erdogan hatte kurz nach dem Umsturzversuch den Ausnahmezustand ausgerufen, der seither sieben Mal verlängert wurde und erst im Juli 2018 endete.
Die Regierung ging mit Entlassungen und Verhaftungen gegen angebliche Putschisten, aber auch gegen Journalisten und Menschenrechtler vor. Noch immer gibt es wöchentliche Razzien gegen vermeintliche Gülen-Anhänger und zahlreiche Prozesse gegen mutmaßliche Putschisten laufen noch.
Rund 129.000 Staatsbedienstete sind nach offiziellen Angaben wegen angeblicher Verbindungen zum Putschversuch gefeuert worden, unter ihnen zahlreiche Akademiker. Eine Kommission, bei der Beschwerde eingelegt werden kann, hat zwar mehr als 3.000 Betroffene wiedereingesetzt, die Gesamtzahl der Entlassenen beläuft sich aber noch immer auf rund 126.000. Am stärksten betroffen sind die Ministerien Inneres (mehr als 41.000 Entlassungen) und Bildung (rund 34.000 Entlassungen). Nach Angaben von Erdogan sind mehr als 31.000 Mitarbeiter der Polizei vom Dienst enthoben, demnach verloren außerdem mehr als 15.000 Militärangehörige und mehr als 4.000 Juristen ihren Job.
Erdogan ließ 100 Medienhäuser schließen
Insgesamt sind seit dem Putschversuch nach Regierungsangaben vom März rund 500.000 Menschen wegen angeblicher Gülen-Verbindungen vorübergehend festgenommen worden. 30.000 von ihnen sind noch in Haft. Insgesamt wurden nach Informationen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu 265 Prozesse gegen angebliche Putschisten abgeschlossen, 24 Verfahren laufen weiter. Gegen mehr als 2.000 Angeklagte verhängten die Gerichte demnach eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Unter den Verurteilten sind ehemalige Top-Militärs wie der Ex-Kommandeur der türkischen Luftwaffe, Akin Öztürk. Er erhielt im Juni 141 Mal lebenslänglich. Öztürk war nach Gülen selbst der zweite Hauptverdächtige: Er soll einem Gremium vorgestanden haben, das die beteiligten Soldaten in der Putschnacht koordiniert haben soll.
Nach dem Putschversuch ließ Erdogan per Dekret mehr als 100 Medien und Verlage schließen. Zahlreiche Journalisten sitzen außerdem im Gefängnis, viele davon ohne Anklage in Untersuchungshaft. Die Angaben über die Zahl der inhaftierten Reporter gehen auseinander. Die Nichtregierungsorganisation P24 zählt mindestens 140 Journalisten und Medienmitarbeiter im Gefängnis. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen sind zurzeit 34 Journalisten inhaftiert. Die Organisation erklärt jedoch, dass in vielen weiteren Fällen ein Zusammenhang zwischen Inhaftierung und Journalismus wahrscheinlich sei, dieser aber nicht nachgewiesen werde könne. Grund sei, dass die Betroffenen und Anwälte oft gar nicht wüssten, wie der genaue Vorwurf laute.
dpa/mgö/LTO-Redaktion
Die Türkei drei Jahre nach dem Putschversuch: . In: Legal Tribune Online, 16.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36501 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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