Der Thüringer VerfGH erklärte am Mittwoch einstimmig zahlreiche Regelungen des Polizeiaufgabengesetzes über heimliche Überwachungsmethoden für verfassungswidrig. Das Gericht kritisierte vor allem zu viele unklare und unverständliche Regelungen. Die Bestimmungen können nach Maßgabe der Urteilsgründe bis spätestens Ende September 2013 weiter angewandt werden.
Die Verfassungsbeschwerde gegen Ermächtigungsgrundlagen zur verdeckten Überwachung im Thüringer Polizeiaufgabengesetz (PAG) hatte im wesentlichen Erfolg. Der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) rügte vor allem zahlreiche Verstöße gegen die Normenklarheit. Immer wieder kritisierten die Richter nicht nur sprachliche Ungenauigkeiten und Fehler, sondern auch unvollständige Regelungen oder unverständliche Verweisungen von einem Gesetzespassus zum nächsten. Teilweise vergrößerten einzelne Sätze die "Verwirrung" über vorhergehende nur noch (Urt. v. 21.11.2012, Az. VerfGH 19/09).
Für Polizisten in einer unklaren Einsatzsituation mit Zeitdruck bedeute das nicht hinnehmbare Schwierigkeiten. Als ein Beispiel für unklare Eingriffsschwellen nannte das Gericht einen Katalog besonders schwerer Straftaten, der auch Raub mit Todesfolge enthalte. Ob eine Tat tatsächlich diesen Ausgang nehme, sei für Polizisten normalerweise schlicht nicht vorhersehbar.
Aufzeichnung geschützter Gespräche muss protokolliert werden
Außerdem kritisierten die Richter die Regelungen zum Schutz des persönlichen Kernbereichs und der Intimsphäre. Das PAG definiert nämlich sehr genau, was die Polizei unter dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zu verstehen hat. Darunter: innere Vorgänge wie Gefühle, Überlegungen, Ansichten, aber auch Gefühlsäußerungen, Ausdrucksformen der Sexualität sowie die Kommunikation mit Vertrauenspersonen. Die Kläger hatten moniert, diese abschließende Definition verkenne, dass das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich privater Lebensführung aus der Menschenwürde ableite, die nicht der Disposition des Gesetzgebers unterliege. Eine gesetzliche Aufzählung könne den Kernbereich nicht beschränken, sondern allenfalls beschreiben.
Dieser Ansicht folgte das Gericht nun weitestgehend. Die Aufzählung der geschützten Arten von Gesprächen und Gefühlsäußerungen sei viel zu eng gefasst. Unvollständig seien auch die Regelungen, wann in solchen Fällen Überwachungen unterbrochen werden müssten. Der Gesetzgeber hätte die Polizei außerdem verpflichten müssen, zu protokollieren, wenn geschützte Gespräche doch erfasst werden und ob diese gelöscht wurden. Eine solche Dokumentation ist für den Betroffenen nämlich unabdingbar, um eine Verletzung seiner Rechte vor den Gerichten geltend zu machen.
Die Richter rügten zudem die zu einfache Möglichkeit für Behörden, Betroffene nach einer Überwachung nicht über diese zu informieren. Eine solche Unterrichtung sei aber entscheidende Voraussetzung, um das Recht auf effektiven Rechtsschutz geltend machen zu können. Eine überarbeitete Version des PAG müsse vorgeben, dass eine Benachrichtigung nur mit einem entsprechenden richterlichen Beschluss entfallen dürfe. So sieht es beispielsweise das Polizeigesetz in Baden-Württemberg vor.
Erlass soll Umsetzung des Urteils vor PAG-Reform sicherstellen
Eingelegt hatten die Verfassungsbeschwerde drei Anwälte aus Erfurt und Jena. Die Kläger stießen sich als Berufsträger auch daran, dass das PAG die Überwachung der Telefone von Rechtsanwälten zulässt, die nicht als Strafverteidiger eines Beschuldigten tätig sind. Eine solche Beschränkung sieht etwa das Polizeigesetz in Baden-Württemberg nicht vor. Besonders gravierend wirke sich dies nach Ansicht der Kläger in Sozietäten und Bürogemeinschaften aus, wo der Mandant in dem einen Büro das Gefühl haben dürfe, sich frei seinem Anwalt anvertrauen zu können, in dem anderen aber mit einer Überwachung rechnen müsse. Die Weimarer Richter hielten auch diese Regelungen im PAG für zu ungenau. Es bleibe unklar, inwieweit nach der Vorstellung des Gesetzgebers Berufsgeheimnisträger von polizeilichen Maßnahmen ausgenommen bleiben sollen.
"Ich habe noch nie ein Urteil gehört, in dem ein Landesgesetz so gerügt wurde", sagte Burkhard Hirsch, früherer Innenminister Nordrhein-Westfalens, als Vertreter der klagenden Anwälte. Es sei damals erkennbar im Gefühl der absoluten Mehrheit ohne ausreichende Anhörung der Betroffenen "hingehuscht" worden. Die angegriffenen Ermächtigungsgrundlagen zur heimlichen Erhebung von Daten stehen in dieser Fassung seit Sommer 2008 im PAG. Vorbilder für eine Überarbeitung könnten die Abgeordneten in Nordrhein-Westfalen genauso finden wie in Bayern.
Innenstaatssekretär Bernd Rieder sagte, es mache jetzt keinen Sinn, das damalige Gesetzgebungsverfahren erneut zu bewerten. Das Ministerium wolle bis Anfang kommenden Jahres einen Referentenentwurf für eine Neufassung vorlegen. Ein Erlass solle außerdem dafür sorgen, dass der Urteilstenor auch vor dem neuen Gesetz schon in der praktischen Polizeiarbeit umgesetzt werde.
dpa/cko/LTO-Redaktion
Verdeckte Überwachung in Thüringen verfassungswidrig: . In: Legal Tribune Online, 21.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7604 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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