Sollte "Catcalling" strafbar sein? Bislang ist das Hinterherrufen oder -pfeifen regelmäßig weder Straftat noch Ordnungswidrigkeit. Seit Jahren wird diskutiert das zu ändern, nun stößt Niedersachsens Justizministerin die Diskussion wieder an.
Für viele Frauen gehört "Catcalling" zum Alltag. Damit sind anzügliche Rufe, Pfeifen oder Gesten in der Öffentlichkeit gemeint. Strafbar ist das bislang regelmäßig nicht. Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann will das ändern und verbale sexuelle Belästigungen künftig als Straftat ahnden, sagte die SPD-Politikerin der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) am Montag. Das bedarf es einer Gesetzesänderung auf Bundesebene, insbesondere des Strafgesetzbuches (StGB).
Wahlmann sieht hier aktuell eine Strafbarkeitslücke: Bislang werde nur die körperliche sexuelle Belästigung bestraft, allerdings können auch unangebrachte Bemerkungen sexuell übergriffig sein. "Sexualstraftaten werden in Deutschland im Vergleich zu anderen Bereichen wie etwa Vermögensdelikten oder Drogendelikten vergleichsweise geringfügig bestraft – aus meiner Sicht zu geringfügig", betonte Wahlmann. Sie wolle sich dafür einzusetzen, "dass eine Expertenkommission das Gefüge der Strafrahmen insgesamt in den Blick nimmt und in ein gerechtes Gleichgewicht bringt".
Nur körperliche sexuelle Belästigung ist strafbar
Das StGB stellt in den §§ 174 ff. vor allem körperliche Handlungen unter Strafe, als sexuellen Missbrauch (von Kindern und Schutzbefohlenen), als sexuellen Übergriff, sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung. Wenn ein Mann eine andere Person durch exhibitionistische Handlungen belästigt, droht im nach § 183 StGB Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
Eine rein verbale sexuelle Belästigung ist dagegen allenfalls als Beleidigung nach § 185 StGB strafbar. Aber auch dies scheidet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Fall von Catcalling regelmäßig aus.
Besonders deutlich wurde die restriktive Rechtsprechung des BGH in einer Entscheidung aus 2017: Der zur Tatzeit 65-jährige Täter hatte ein 11-jähriges Mädchen zunächst aufgefordert, mit ihm zu kommen. Als das Kind der Aufforderung nicht nachkam, folgte er ihr und sagte, dass er "an ihre Muschi fassen wolle". Das Mädchen rannte davon, der Mann landete später vor Gericht. Nicht nur wegen dieses Vorfalls - er hatte auch gegenüber mehreren Frauen die Absicht geäußert, Geschlechtsverkehr mit ihnen zu haben bzw. ihre Vulva zu lecken.
Das Landgericht Rostock verurteilte den Mann in diesen Fällen jeweils wegen Beleidigung, im Fall des 11-jährigen Mädchens zudem wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Der BGH hob diese Verurteilungen allesamt auf und sprach den Mann insofern frei (Beschl. v. 02.11.2017, Az. 2 StR 415/17).
BGH: Absichtsbekundung zum Geschlechtsverkehr ist keine Beleidigung
"Bloß sexualbezogene oder grob sexuelle Äußerungen" allein erfüllten weder den Tatbestand eines Sexualdelikts noch den der Beleidigung. Die mit dem Tatbestand der Beleidigung sanktionierte Verletzung der persönlichen Ehre setze voraus, dass der Täter eine andere Person so anspricht, als weise diese "einen [die] Ehre mindernden Mangel auf". Dafür genüge eine "sexuell motivierte Äußerung" allein in der Regel nicht. Zwar sei dadurch ggf. das Schamgefühl der geschädigten Person betroffen, doch fehle es an einer "herabsetzenden Bewertung".
Gemessen an dieser Rechtsprechung scheidet eine Strafbarkeit in deutlich harmloseren Catcalling-Fällen erst recht aus. Und diese sind - in Form vom Hinterherpfeifen oder vermeintlichen "Komplimenten" durchaus häufig: Der HAZ-Bericht zitiert eine Studie des Instituts für Angewandte Sexualwissenschaft mit der Hochschule Merseburg, wonach sich neun von zehn Frauen schon einmal verbal belästigt gefühlt haben, ebenso viele diverse Personen. Auch Männer seien betroffen, jedoch deutlich seltener.
Experten sprächen sich schon lange dafür aus, auch verbale sexuelle Übergriffe zu bestrafen. Auch wird angeregt, das Catcalling nach französischem Vorbild als Ordnungswidrigkeit zu erfassen.
mk/dpa/LTO-Redaktion
Niedersachsens Justizministerin fordert Expertenkommission: . In: Legal Tribune Online, 12.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53855 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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