Eine lange Liste mit Namen haben die Ex-Minister Baum und Leutheusser-Schnarrenberger an die Bundesanwaltschaft geschickt. Darunter: Präsident Putin, der noch Immunität genießt. Sie werfen den Militärs Kriegsverbrechen in der Ukraine vor.
Ganz oben auf der Liste, die sie noch am Mittwochabend an den Generalbundesanwalt geschickt haben, steht "Wladimir Wladimirowitsch Putin (Präsident der Russischen Föderation und Vorsitzender des Sicherheitsrates)". Darunter kommen dutzende Namen weiterer wichtiger Personen des russischen Militärapparats bis hin zu den Kommandeuren einzelner Armeeeinheiten, einer Artilleriebrigade, einem Panzerregiment, einer Schützendivision. Luftwaffe, Marine, Heer.
40 Seiten umfasst die Anzeige wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine, die LTO vorliegt. Auf den Weg gebracht haben sie die beiden FDP-Politiker, der Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum und die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Seit Wochen arbeiten die beiden Kölner Rechtsanwälte Nikolaos Gazeas und Andrej Umansky an der Anzeige. Umansky hat selbst ukrainische Wurzeln, spricht Ukrainisch und Russisch.
Die Anzeige benennt eine ganze Reihe konkreter Vorfälle zwischen Ende Februar und Anfang April. Darunter der Luftangriff auf das Theater in Mariupol Mitte März, das nach Angaben der NGO Human Rights Watch 500 Zivilistinnen und Zivilisten als Zufluchtsort diente. Laut der Stadtverwaltung Mariupol kamen bei dem Angriff rund 300 Menschen ums Leben. Auch die mutmaßlichen Grausamkeiten in der Stadt Butscha bei Kiew sind aufgenommen. Daneben ein Angriff auf eine Geburtenklinik, ein Atomkraftwerk, den Fernsehturm, die Belagerung von Mariupol, der Einsatz von Streumunition. Eine Chronik des Schreckens.
"Es geht uns nicht nur darum, die Täter an der Staatsspitze zur Rechenschaft zu ziehen, sondern um alle Täter. Wir wollen die Stärke des Rechts gegen das 'Recht des Stärkeren' in Stellung bringen", sagten die Anzeigesteller Baum und Leutheusser-Schnarrenberger.
Konkrete Namen für ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft
Die Anzeige stützt sich einerseits – in Bezug auf die Namen der Kommandeure – auf Veröffentlichungen des ukrainischen Militärgeheimdienstes. Die Listen enthalten Namen, Dienstgrad, militärische Kennnummer, ausgeübte Tätigkeit in den Streitkräften sowie Geburtsdatum. Die Anzeige regt an, die dortigen Listen in den Ermittlungen besonders in den Blick zu nehmen. Andererseits stützt sie sich mit Blick auf die konkreten, mutmaßlichen Tatorte auf Erkenntnisse von NGOs, UN-Organisationen, Journalistinnen und Journalisten sowie Aktivisten und Aktivistinnen, die öffentlich verfügbare Quellen, etwa Fotos oder Videos aus der Ukraine, auswerten.
Die Anzeige geht davon aus, dass ein Anfangsverdacht für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit besteht, der die Bundesanwaltschaft zu Ermittlungen verpflichtet. Die Ermittlungen werden durch das Weltrechtsprinzip ermöglicht, das in Deutschland zuletzt immer wieder in Verfahren gegen Verantwortliche des Kriegs in Syrien zur Anwendung kam. Es erlaubt der Bundesanwaltschaft, auch Völkerstrafrechtstaten zu verfolgen, die im Ausland begangen wurden und gar keinen Bezug zu Deutschland aufweisen.
Zwar schützt den russischen Präsidenten die Immunität, wie auch die Anzeige einräumt – allerdings nur, solange er im Amt ist. Und unterhalb des Staatschefs genießen die Militärangehörigen keinen Schutz vor Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen.
Anfang März hat der Generalbundesanwalt bereits ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren eingeleitet. Dabei geht es zunächst darum, ohne konkrete Beschuldigte möglichst breit Beweise zu sichern. Eine lange Liste mit Namen liegt spätestens jetzt bei den Ermittlern auf dem Tisch.
Material für Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen: . In: Legal Tribune Online, 07.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48079 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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