Nach wochenlangem Ringen räumten Koalition und Union ihre Differenzen über viele Milliarden für die Bundeswehr aus. Noch vor der Sommerpause soll es forciert vorangehen mit der Beschaffung von Waffen.
Nach der Einigung von Union und Koalition auf Grundzüge des geplanten 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr sollen bald Rüstungsgüter im großen Stil bestellt werden. "Es wird unverzüglich und noch vor der parlamentarischen Sommerpause eine Initiative zur Beschleunigung der Beschaffung auf den Weg gebracht", teilten Vertreterinnen und Vertreter von SPD, Grünen, FDP, CDU und CSU am Sonntagabend nach mehr als dreistündigen Verhandlungen in einer gemeinsamen Erklärung mit. Der Bundesrat hatte schon zuvor angekündigt, keine grundsätzlichen Bedenken zu haben.
Dass es jetzt schnell gehen soll, bestätigten auch Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. "Es gibt die Möglichkeit, dass wir noch in dieser Woche das Gesetzgebungsverfahren abschließen", sagte Dobrindt am Montag im ZDF-Morgenmagazin. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte in derselben Sendung: "Das kann sehr schnell jetzt gelingen, denn die wesentlichen Punkte sind vereinbart."
Dann werde auch die Liste mit den genauen Bestellvorhaben für Panzer, Flugzeuge, Schiffe und andere Bundeswehrausrüstungen öffentlich werden, die Teil des Gesetzgebungsverfahrens sei, erklärte Dobrindt. Sie umfasst Lambrecht zufolge die ganze Bandbreite: Sie sprach von Nachtsichtgeräten, Funkgeräten bis hin zu schweren Transporthubschraubern. Allein an Munition gebe es für die Verpflichtungen in der Nato Bedarf im Volumen von 20 Milliarden Euro. "Wir können jetzt auch loslegen, wenn dieses Sondervermögen zur Verfügung steht", sagte die SPD-Politikerin.
Lindner betont "besonderen Ausnahmecharakter"
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), in dessen Ministerium die Verhandlungen geführt worden waren, sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass aus seiner Sicht zwei Ziele erreicht worden seien. "Erstens stärken wir die Bundeswehr in einem einmaligen finanziellen Kraftakt", so Lindner. "Zweitens stellen wir solide Staatsfinanzen sicher, indem die Schuldenbremse des Grundgesetzes erhalten bleibt." Durch die Verankerung in der Verfassung werde der "besondere Ausnahmecharakter" für die Bundeswehr betont. Das sei zur Bekämpfung der Inflation wichtig.
Auch die Union im Bundestag begrüßte die Einigung. "Die 100 Milliarden fließen vollständig in die Bundeswehr. Das ist aus unserer Sicht der Kernpunkt", sagte Unions-Haushälter Mathias Middelberg der Deutschen Presse-Agentur.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte das Sondervermögen und die Einhaltung des sogenannten Zwei-Prozent-Ziels am 27. Februar als Reaktion auf Russlands Einmarsch in die Ukraine angekündigt. Das Sondervermögen soll im Grundgesetz verankert werden, weil dafür an der Schuldenbremse vorbei Kredite aufgenommen werden sollen. Deshalb ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich und somit ein Mitwirken von Teilen der Opposition. Deshalb gelten die erfolgreichen Verhandlungen von Ampel und Union als so wichtig.
Zwei-Prozent-Ziel der Nato
"Wir stellen gemeinsam sicher, dass die Bundeswehr in den kommenden Jahren mit 100 Milliarden Euro zusätzlicher Investitionen gestärkt wird", stellten die Verhandlerinnen und Verhandler klar. Dabei werde das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der Nato "im mehrjährigen Durchschnitt" erreicht. Dieses Ziel besagt, dass zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgegeben werden soll. Es soll der Vereinbarung zufolge aber nicht jedes Jahr aufs Neue exakt eingehalten werden müssen.
All dieser Einigkeit zum Trotz: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich Mützenich hob zwar ebenfalls die Wichtigkeit der nächtlichen Entscheidung für das Sondervermögen hervor, äußerte sich aber nach den Verhandlungen kritisch zu dem fixen Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben. Er sprach am Montag im Deutschlandfunk von einer Unionsforderung, "eine vollkommen abstruse Kennziffer ins Grundgesetz festzuschreiben, um nachfolgenden Generationen aufzuerlegen, immer zwei Prozent zu erreichen" - dies sei "vollkommen falsch". Man solle nun doch erst einmal das Sondervermögen nutzen und sich dann in einigen Jahren erneut mit der Frage beschäftigen, was notwendig sei.
Mützenich argumentierte, dass die Nato-Partner 2014 in Wales vereinbart hatten, sich auf das Zwei-Prozent-Ziel zuzubewegen. Und diese Kennziffer sage "doch erstmal gar nichts aus". "800 Milliarden Euro werden jedes Jahr für Militär und Rüstung durch Nato-Staaten ausgegeben. Ich meine, das zeigt doch, dass wir keine Unterfinanzierung insgesamt innerhalb der Nato haben, sondern dass die einzelnen Streitkräfte nicht gut zusammenwirken", betonte er.
Cybersicherheit aus dem Bundeshaushalt, nicht aus dem Sondervermögen
Beim Streitpunkt der Verwendung des Geldes wurde nun zwar vereinbart, dass auch Maßnahmen zur Cybersicherheit, für den Zivilschutz sowie zur Stabilisierung von Partnerländern ergriffen werden - aber "aus dem Bundeshaushalt finanziert", also nicht aus dem Sondervermögen. Die Union hatte darauf gepocht, dass das Sondervermögen ausschließlich für die Bundeswehr verwendet wird. Vor allem die Grünen wollten, dass mit dem Geld auch Cyberabwehr sowie Unterstützung für Partnerstaaten finanziert wird.
Außenministerin Annalena Baerbock hat die Einigung auf Grundzüge des geplanten 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr begrüßt. Es sei "ein guter Kompromiss, wo wir dafür sorgen, dass sich die Nato auf uns verlassen kann", sagte die Grünen-Politikerin am Montag im Deutschlandfunk. Zugleich habe man "die große Herausforderung von Cyberabwehr, die wir ebenfalls massiv angehen müssen", gesetzlich verankert.
Wirtschaftsplan soll direkt auch beschlossen werden
Mit dem geplanten Gesetz zur Errichtung des Sondervermögens soll auch ein Wirtschaftsplan mit den konkreten Beschaffungsvorhaben beschlossen werden, vereinbarten Union und Koalition weiter. "Seine Realisierung wird von einem beratenden Gremium des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages begleitet."
Weiter sieht die Vereinbarung vor: "Nachdem das Sondervermögen in Anspruch genommen wurde, werden weiter die erforderlichen Mittel zur Erreichung der dann gültigen Nato-Fähigkeitsziele bereitgestellt." Nach der Inanspruchnahme beginne auch die Tilgung "innerhalb eines angemessenen Zeitraums".
dpa/ast/LTO-Redaktion
Einigung über geplante Grundgesetzänderung: . In: Legal Tribune Online, 30.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48588 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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