Das SG Berlin, Deutschlands größtes Sozialgericht, hat für 2015 Bilanz gezogen. Klagen von Flüchtlingen stiegen zum Jahresende drastisch. Oft gäbe es gar keine streitigen Fragen – das LaGeSo käme bloß mit der Bearbeitung nicht hinterher.
Gut 37.000 neue Verfahren gingen beim Sozialgericht (SG) Berlin im Jahr 2015 ein, und damit etwa vier Prozent weniger als im Vorjahr. Der Rückgang ist vor allem dem geringeren Aufkommen von Hartz-IV-Klagen und der in diesem Bereich inzwischen weitgehend gefestigten Rechtsprechung zu verdanken.
Leistungsbegehren von Asylbewerbern, meist unterstützt durch Hilfsorganisationen oder engagierte Bürger, stiegen zum Jahresende hingegen drastisch an: von vormals gut 20 Fällen pro Monat während der ersten drei Quartale auf jeweils gute 80 im Oktober / November, und 210 im Dezember.
Damit machen sie in absoluten Zahlen zwar noch keinen sonderlich hohen Anteil der Verfahren aus, doch die Präsidentin Sabine Schudoma sieht durch sie die langfristige Kapazitätenplanung des Gerichts gefährdet: "Andere wichtige Fälle bleiben liegen. Ich beobachte mit Sorge, dass sich immer mehr Richterinnen und Richter mit Flüchtlingsfällen befassen müssen, die eigentlich für den Abbau des Aktenbergs eingeplant waren."
Mehr als ein Jahrespensum an offenen Verfahren
Dieser ist gewaltig: Im Rekordjahr 2013 verzeichnete das SG 42.687 offene Verfahren. Seitdem ist es gelungen, die Zahl auf 39.835 zu verringern, was jedoch immer noch mehr als den Erledigungen des gesamten letzten Jahres (39.007) entspricht.
In den Verfahren vor dem SG gehe es oft um existenzielle Fragen etwa der Sozialhilfe, der Erwerbsminderungsrente oder des Krankenversicherungsschutzes, daher hätten schnelle Erledigungen hohe Priorität, so Schudoma. Doch der Abbau der Bestandsverfahren, welche sich vor allem in Folge der in früheren Jahren extrem zahlreichen Hartz-IV-Klagen aufgetürmt hätten, sei mit den verfügbaren Ressourcen nur als Langzeitprojekt realisierbar.
"Das Gericht wird zum Mahnbüro"
Entsprechend gering ist am SG die Begeisterung über den Anstieg der Asylbewerberverfahren, zumal diese in vielen Fällen nicht auf streitige Rechtsfragen, sondern auf die Überforderung des beklagten Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) zurückgingen.
Die meist im Eilverfahren geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder Bereitstellung von Unterkünften würden vom Amt oftmals gar nicht bestritten, aber eben auch nicht (rechtzeitig) erfüllt. Flüchtlinge riefen beim SG an, weil sie beim LaGeSo keinen Termin bekämen. Schudoma betont, dass "der Schlüssel zur Lösung des Problems nicht beim Sozialgericht" liege: "Ich kann nur hoffen, dass sich die Lage beim LaGeSo bald und auf Dauer verbessert. Die Arbeitssituation im LaGeSo und die Fallzahlen am Sozialgericht hängen unmittelbar zusammen. […] Das Gericht wird zum Mahnbüro."
cvl/LTO-Redaktion
Jahresbilanz von Deutschlands größtem Sozialgericht: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18162 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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