Deutschlands größtes Sozialgericht widerspricht dem BSG ausdrücklich. Einen Anspruch auf Grundsicherung für arbeitssuchende EU-Bürger hält man dort für generell ausgeschlossen. Das BSG überschreite mit seiner gegenteiligen Ansicht die Grenzen richterlicher Auslegung.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage eines Bulgaren, der sich nur zur Arbeitssuche in Deutschland aufhält und aus diesem Grund Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) begehrt, abgewiesen. Dies wurde am Mittwoch bekannt (Urt. v. 11.12.2015, Az. 1 149 AS 7191/13).
Mit ihrer Entscheidung widersprechen die Richter der 149. Kammer des SG ausdrücklich der Rechtsansicht des Bundessozialgerichts (BSG). Jenes hatte Anfang des Monats entschieden, dass arbeitssuchende EU-Bürger zwar keinen Hartz-IV-Anspruch hätten, ihnen aber nach sechs Monaten ein Anspruch auf Sozialhilfe zustünde, weil nach einem Aufenthalt von solcher Dauer eine "tatsächliche Aufenthaltsverfestigung" eintrete. Einen generellen Leistungsausschluss für EU-Bürger, wie ihn nun das SG Berlin postuliert, hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuvor als mit dem Europarecht vereinbar bewertet.
Die Entscheidung des BSG, einen solchen Anspruch unter bestimmten Umständen dennoch anzuerkennen, wurde in Politik und Medien teils heftig kritisiert. Das SG tritt ihr nun in ungewöhnlich offener Weise entgegen. Zu entscheiden hatte es über die Klage eines 1980 geborenen Bulgaren, der seit 2010 bei seiner Mutter in Berlin lebt. Zumindest bis Ende 2013 sei er keiner Beschäftigung nachgegangen, so die Feststellungen des SG. Im Februar 2013 hatte der Mann beim Jobcenter einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts gestellt, der dort ein halbes Jahr später abgelehnt wurde. Das Jobcenter erklärte, Leistungen für EU-Bürger, die sich nur zur Arbeitssuche im Land aufhielten, seinen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II) ausgeschlossen.
SG: BSG-Urteil "verfassungsrechtlich nicht haltbar"
Die Berliner Richter stimmten der Behörde nun zu. Sie verwiesen dabei auf die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen "Dano" und "Alimanovic". Anders als das BSG meine, dürfe der Leistungsausschluss nicht derart ausgelegt werden, dass EU-Bürgern dennoch ein Anspruch auf Sozialhilfe nach dem SGB XII zustünde, findet das SG. Der Gesetzgeber habe in der Gesetzesbegründung zu § 21 S. 1 SGB XII unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass Personen wie der Kläger, die dem Grunde nach erwerbsfähig seien, gar nicht dem Regelungsbereich des Sozialhilferechts unterfallen sollen. Wenn das BSG meine, sich über diesen gesetzgeberischen Willen hinwegsetzen zu können, so sei dies "verfassungsrechtlich nicht haltbar". Die höchsten Sozialrichter hätten damit das Prinzip der Gewaltenteilung durchbrochen.
Der klagende EU-Bürger habe auch nicht aus Gründen des deutschen Verfassungsrechts Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, so das SG weiter. Hierbei müsse schließlich der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beachtet werden, der ihm bei der Gewährung solcher Leistungen zustehe. Und im Gegensatz zu Asylbewerbern sei es Unionsbürgern regelmäßig möglich, ohne drohende Gefahren in ihr Heimatland zurückzukehren, um dort staatliche Leistungen zu beanspruchen.
Der deutsche Staat sei daher nur verpflichtet, Überbrückungsleistungen zu gewähren, namentlich u.a. die Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts in Deutschland. Da der Mann solche Leistungen aber nicht begehrt hatte, wiesen die Richter seine Klage vollumfänglich ab.
una/LTO-Redaktion
Kein Anspruch arbeitssuchender EU-Bürger auf Soziallleistungen: . In: Legal Tribune Online, 16.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17880 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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