Nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts ist der Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei Dieselfahrzeugen unionsrechtswidrig. Das Thermofenster sei eine unzulässige Abschalteinrichtung, heißt es in den Schlussanträgen.
Volkswagen droht im Rechtsstreit um mutmaßlich vertragswidrige Abschalteinrichtungen eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). In den am Donnerstag veröffentlichten Schlussanträgen des obersten europäischen Gerichts vertritt Generalanwalt Athanasios Rantos die Ansicht, dass sogenannte Thermofenster eine rechts- und somit vertragswidrige Abschalteinrichtung darstellen können (Rechtssache C-128/20, C-134/20 und C-145/20). Nach Angaben des EuGH ließ die Software höhere Stickoxid-Emissionen zu, wenn es kälter als 15 beziehungsweise wärmer als 33 Grad Celsius war oder das Auto in mehr als 1.000 Höhenmetern gefahren wurde.
Konkret geht es um drei Verfahren, die vor österreichischen Gerichten verhandelt wurden, in denen Autos mit einer Software ausgestattet waren, die bei bestimmten Außentemperaturen und einer bestimmten Höhe mehr Emissionen von Stickoxid (NOx) zulässt.
VW hatte argumentiert, dass diese dem Schutz des Fahrzeugs dienen. Nach Ansicht der Wolfsburger kann ein Thermofenster auch weiterhin gerechtfertigt sein, wenn es etwa eine Fehlfunktion verhindere, die sich abrupt auf den Betrieb des Motors selbst auswirke und die nicht durch regelmäßige Wartung verhindert werden könne. Dann sei eine Abschalteinrichtung zulässig, was laut Volkswagen auch in den vorliegenden Verfahren der Fall sei.
Unzulässige Abschalteinrichtung und keine Ausnahme
Weil dieses Thermofenster für die tatsächlichen Fahrbedingungen nicht repräsentativ sei, da es in Österreich und Deutschland sowie anderen EU-Ländern in den vergangenen Jahren im Schnitt deutlich unter 15 Grad Celsius warm gewesen sei und Autos vielfach in Höhen von mehr als 1.000 Metern unterwegs seien, schließt Generalanwalt Rantos, dass diese Thermofenster eine Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung Nr. 715/2007 darstellten. Die Ausnahme vom Verbot der Abschalteinrichtung, die die Verordnung zum Schutz des Motors vorsieht, greift laut Generalanwalt nicht. Der Unionsgesetzgeber habe nämlich klar zwischen dem Motor, auf den sich die Ausnahme beziehe, und dem Abgasrückführungssystem unterschieden. Nach Ansicht des Generalanwalts diene das Thermofenster aber vornehmlich der Schonung von Teilen des Abgasrückführungssystem, nicht aber dem Schutz von Motorteilen. Gerechtfertigt könne das Thermofenster aber etwa dann sein, "wenn es z.B. eine Fehlfunktion des Aabgasrückführungs-Ventils verhindern soll, die sich abrupt auf den Betrieb des Motors selbst auswirkt, ohne dass diese Folgen durch eine regelmäßige unsachgemäße Wartung des Fahrzeugs zu verhindern wären". Ob dies der Fall ist, müssen aber die vorlegenden Gerichte feststellen, heißt es in den Schlussanträgen.*
Die Zulässigkeit des Thermofensters hänge des Weiteren nicht davon ab, ob es bereits bei Herstellung des Fahrzeugs in diesem Verbaut oder nachträglich installiert wurde, etwa durch ein Softwareupdate. Laut den Schlussanträgen stimmen die betreffenden Fahrzeuge nicht im Sinne der Richtlinie 1999/44 "mit der vom Verkäufer gegebenen Beschreibung" überein. Sie eignen sich weder "für einen bestimmten vom Verbraucher angestrebten Zweck" noch "für die Zwecke ..., für die Güter der gleichen Art gewöhnlich gebraucht werden". Dies gelte selbst dann, wenn das Fahrzeug über eine gültige EG-Typgenehmigung verfüge. Da verständige Verbraucher erwarten dürfen, dass die rechtlichen Anforderungen eingehalten werden, seien die betreffenden Fahrzeuge nicht im Sinne der Richtlinie 1999/443 dem Kaufvertrag gemäß, selbst wenn es keine spezifischen Vertragsklauseln gebe.
Der Bundesgerichtshof hatte in der vergangenen Woche noch einmal klargestellt, dass der Einsatz des Thermofensters nicht sittenwidrig ist. "Folgt man dem Generalanwalt, dann fahren auf Europas Straßen weiterhin unzählige Dieselautos mit illegalen Abschalteinrichtungen", teilte der Abgeordnete und Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, mit.
Die Richterinnen und Richter am EuGH sind nicht an die Gutachten gebunden, folgen ihnen aber häufig. Mit einem Urteil ist in den kommenden Monaten zu rechnen.
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
*Die letzten beiden Sätze des Asbatzes wurden aus Klarstellungsgründen ergänzt, 30.09.2021, 09:42
EuGH-Generalanwalt: . In: Legal Tribune Online, 23.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46099 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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