Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen Justizbehörden vor der Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls die Haftbedingungen im betreffenden Mitgliedstaat überprüfen. Der Generalanwalt hat nun präzisiert, was überprüft werden soll.
Erfüllen rumänische Gefängnisse die Mindeststandards für Haftbedingungen in der EU und darf ein europäischer Haftbefehl aus Rumänien von der deutschen Justiz vollstreckt werden? Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Campos Sánchez-Bordona hat in seinen Schlussanträgen zu einem Fall aus Hamburg nun noch einmal präzisiert, worauf die Behörden bei einem Auslieferungsersuchen genau achten müssen (Az. C-128/18).
Hintergrund ist ein Auslieferungsersuchen aus Rumänien, über welches das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg zu entscheiden hat. Der Mann, um dessen Auslieferung es geht, verbüßte noch bis September 2017 wegen mehrerer in Deutschland begangener Straftaten eine Haftstrafe in Hamburg. Da lag bereits ein Auslieferungsersuchen aus Rumänien vor, wo man wegen des Verdachts der Begehung von Vermögens- und Urkundsdelikten gegen ihn ermittelte.
Die Auslieferung wurde zunächst vom OLG gebilligt, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verpflichtete die Hamburger Richter aber im Januar 2018 zur Vorlage an den EuGH. Die Verfassungsrichter gingen davon aus, dass der EuGH die Mindestanforderungen an Haftbedingungen nach der Grundrechte-Charta noch nicht so präzisiert hat, dass auf dieser Grundlage die vom OLG zunächst gefällte Auslieferungsentscheidung begründet werden könne.
Der EuGH hatte 2016 grundsätzlich entschieden, dass die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls bei einer echten Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Ausstellungsstaat aufgeschoben werden muss. Im Juli 2018 präzisierte der EuGH die 2016 aufgestellten Grundsätze in einem Urteil zu den Haftbedingungen in Ungarn.
Keine absolute Untergrenze, aber Geamtwürdigung
In seinem Vorabentscheidungsersuchen wollte das OLG Hamburg unter anderem wissen, welche Mindestanforderungen an Haftbedingungen sich aus dem Verbot der Folter in Art. 4 der Charta ergeben, insbesondere ob es eine "absolute" Untergrenze für die Haftraumgröße gibt und ob bei der Berechnung der Fläche auch die Möblierung eine Rolle spielt.
Nach Auffassung des Generalanwalts sei ein Großteil der Hamburger Fragen bereits im Urteil zu den Haftbedingungen in Ungarn beantwortet worden. In seinen Schlussanträgen unterbreitet er dem EuGH aber dennoch einen umfangreichen Entscheidungsvorschlag. So solle die vollstreckende Justizbehörde ein besonderes Augenmerk auf die Mindestfläche des persönlichen Raums legen müssen, über den der Betroffene während seiner Haft verfügen wird. Eine Absolute Untergrenze sei im Unionsrecht aber nicht vorgesehen.
Wenn Informationen vorliegen, dass die Fläche drei Quadratmeter oder weniger beträgt, müsse die vollstreckende Justizbehörde ermitteln, ob die übrigen materiellen Aspekte der Haft den Mangel an persönlichem Raum angemessen kompensieren und die Vermutung für einen Verstoß gegen Art. 4 der Charta widerlegen können, so der Generalanwalt. Insbesondere müsse die Behörde prüfen, wie die Zelle eingerichtet ist und wie viel Bewegungsfreiheit der Betroffene auch außerhalb der Zelle hat, etwa bei angebotenen Aktivitäten.
Auch Dauer und Umfang der Einschränkung und die Art der Haftanstalt müssen laut Generalanwalt bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Ebenso können laut Generalanwalt strukturelle Verbesserungen des Strafvollzugs in Rumänien bei der Bewertung des Auslieferungsersuchens berücksichtigt werden, sie dürften aber die echte Gefahr unmenschlicher Behandlung im Einzelfall nicht kompensieren.
acr/LTO-Redaktion
Schlussanträge zur Auslieferung nach Rumänien: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35129 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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