Nach seiner Rückkehr nach Russland steht der Kremlkritiker Nawalny in Moskau vor Gericht. Seine Anhänger protestieren vielerorts, doch Polizei und Anti-Terror-Einheiten gehen vehement gegen die Proteste vor, es gab bereits 230 Festnahmen.
Dreieinhalb Jahre Haft und eine Geldstrafe von 500.000 Rubel (5.400 Euro), so lauten die Strafforderungen gegen Alexej Nawalny. Er habe gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen und insgesamt sieben Mal seine Meldepflichten bei russischen Behörden verletzt, so das Gericht. Unter anderem auch während der Zeit, die er sich in Deutschland aufhielt, nachdem er sich von einem Giftanschlag auf ihn im August erholte. Die Bewährungsstrafe aus dem damaligen Verfahren soll nun in eine echte Haftstrafe umgewandelt werden. Das meldeten russische Agenturen am Dienstag aus dem Gerichtssaal des Moskauer Stadtgerichts.
Vor dem Gericht spielten sich währenddessen dramatische Szenen ab, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur vor Ort berichtete. Das Gericht wurde weiträumig mit Metallgittern abgesperrt und von Hundertschaften der auf Anti-Terror-Einsätze spezialisierten Sonderpolizei OMON bewacht, nachdem Nawalnys Gegner zu Solidaritätsbekundungen am Gerichtsgebäude aufgerufen hatten. Zufahrtstraßen zum Gericht wurden ebenfalls gesperrt und es standen zahlreiche Gefangenentransporter bereit. Außerdem wurden bereits vor dem Prozess mehrere Menschen festgenommen, sie würden wahllos von der Polizei aufgegriffen, wie die Reporterin ebenfalls berichtete. Mittlerweile soll es mehr als 230 Festnahmen gegeben haben. Experten sehen in dem Prozess einen neuen Versuch Russlands, Nawalny als Gegner des Kremlchefs Wladimir Putins zum Schweigen zu bringen.
Im Sommer 2020 überlebte Nawalny nur knapp einen Mordversuch. Für den Giftanschlag mit dem international geächteten chemischen Kampfstoff Nowitschok machte Nawalny Putin und Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB verantwortlich. Er sieht in dem nun laufenden Prozess die Strafe des Kreml dafür, dass er nicht gestorben sei. Putin und der FSB wiesen alle Vorwürfe zurück. Nachdem Nawalny im Januar aus Deutschland nach Russand zurückkehrte, wurde er sofort festgenommen und vor ein Gericht gestellt.
Sanktionen gegen Russland und Kritik am Verfahren
Doch Kritik an dem Verfahren und der Behandlung Nawalny wird überall immer lauter. Auf EU-Ebene wird bereits diskutiert, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen und auch die Bundesregierung forderte mehrfach Nawalnys Freilassung. Es handele sich um fingierte Vorwürfe gegen Nawalny, die "von Anfang an die Handschrift des Kreml trugen", meinte die Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte im Bundestag, Gyde Jensen (FDP).
Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) kritisierte das Vorgehen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe das damalige Strafverfahren gegen Nawalny als "grob willkürlich" beurteilt. "Statt Nawalny und seine Unterstützer weiter zu verfolgen, zu unterdrücken und zu kriminalisieren, müssen endlich strafrechtliche Ermittlungen beginnen, um das Gift-Attentat auf ihn aufzuklären", forderte sie. Russland lehnt Ermittlungen jedoch ab, weil es keine Hinweise auf eine Vergiftung gebe – trotz Bestätigung von mehreren westlichen Laboren.
Gesetz gegen Aufrufe zu Protesten in sozialen Netzwerken
Am Montag unterzeichnete Putin außerdem ein neues Gesetz zur Regulierung von social-media-Inhalten. Durch das Gesetz werden Betreiber sozialer Netzwerke verpflichtet, Informationen über solche Demonstrationen zu suchen und diese zu blockieren. Auch Inhalte über Terrorismus und Staatsgeheimnisse sowie Anleitungen zum Herstellen von Drogen, kinderpornografisches Material, Aufrufe zum Suizid oder Äußerungen, die die russische Verfassung missachten, sollen erfasst sein.
Die russischen Behörden hatten bereits Geldstrafen gegen Facebook, Twitter und YouTube verhängt. Grund waren Aufrufe zu Protesten für Nawalny, die über diese Netzwerke verbreitet wurden. Ein Sprecher von Facebook erklärte jedoch, dass Aufforderungen von Regierungen, Inhalte zu entfernen, zuweilen nicht stattgegeben werden, wenn durch diese Informationen nicht die Regeln von Facebook verletzt würden. In Russland habe sich Facebook für die Redefreiheit zu den Protesten der vergangenen Wochen entschieden.
Auch Menschenrechtler betonten immer wieder, dass jeder ein Recht auf Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken habe. Putin beklagte jedoch vergangene Woche, wie der Einfluss der Internetriesen das Leben der Menschen verändere und eine Konkurrenz für den Staat sei. Auch Nawalny machte in großem Umfang Gebrauch von sozialen Medien. Welch hohe Reichweite er dabei hat, zeigt beispielsweise sein jüngstes Enthüllungsvideo gegen Putin, das bereits mehr als 106 Millionen Mal aufgerufen wurde.
ast/LTO-Redaktion mit Materialien der dpa
Prozess in Russland startet mit Festnahmen: . In: Legal Tribune Online, 02.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44158 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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