Im Spionageprozess vor dem OLG Stuttgart wurde am Dienstag das unter dem Decknamen Anschlag bekannte russische Ehepaar wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit nach § 99 StGB verurteilt. Andreas Anschlag erhielt eine Haftstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten, seine Frau Heidrun eine solche von 5 Jahren und 6 Monaten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges muss ein russisches Agenten-Ehepaar wegen Spionage in Deutschland für mehrere Jahre hinter Gitter. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart verurteilte den Angeklagten am Dienstag zu sechseinhalb, seine Frau zu fünfeinhalb Jahren Haft. "Sie lieferten ihrem Heimatland aus nächster Nähe einen Blick in die deutsche Seele", sagte die Vorsitzende Richterin Sabine Roggenbrod über die Agenten, die zuletzt sowohl in Marburg als auch im baden-württembergischen Balingen lebten.
Die "geheimdienstliche Agententätigkeit" wiege schwer und habe für Deutschland einen deutlichen Souveränitätsverlust zur Folge gehabt, stellte Roggenbrod fest. Die Beweislage sei so eindeutig wie nur selten (Urt. v. 02.07.2013, Az. 4b - 3 StE 5/12). Das Ehepaar hat österreichische Pässe, die es als Heidrun und Andreas Anschlag ausweisen.
Beweislage so eindeutig wie selten
Ihre wahre Identität kennt selbst das Gericht nicht. Die beiden sollen Russen sein. Hinter einer biederen Familienfassade haben sie nach Überzeugung des Strafsenats mehrere hundert politische und militärpolitische Dokumente zu EU und Nato an den russischen Geheimdienst SWR geliefert. Die Papiere stammten von einem Maulwurf im niederländischen Außenministerium. Für die Dienste sollen die Eheleute zuletzt rund 100.000 Euro pro Jahr bekommen haben. 690.000 Euro hätten sie mit ihrer "Eichhörnchenmentalität" angespart. Wo das Geld heute ist, weiß der Senat nicht.
Unter anderem spreche die lange Dauer ihrer Agententätigkeit gegen die Angeklagten. "Der Senat hatte den Eindruck, er habe nur an der Spitze des Eisbergs gekratzt, der in 20 Jahren entstanden ist", sagte Richterin Roggenbrod. Mit dem Urteil wolle der Senat auch klarmachen, dass bei Agententätigkeit hohe Strafen drohten.
Die Übermittlungsmethoden des Paares wirken angesichts des weltweiten Cyberspionage-Skandals fast schon altbacken: Die beiden versteckten zum Beispiel USB-Sticks in Erdlöchern und übermittelten geheime Botschaften in Kommentaren zu Fußballvideos auf der Internetplattform Youtube. Die Vorsitzende Richterin sagte, der russische Nachrichtendienst schätze anscheinend trotz neuer Medien die erprobten Spionagemethoden.
"Gemischtes Agentendoppel" griff wie Zahnräder ineinander
Während der Senat beim Strafmaß für Andreas Anschlag unter den vom Bundesanwalt geforderten siebeneinhalb Jahren Haft blieb, fiel die Strafe für Heidrun Anschlag ein Jahr höher aus als gefordert. Die Eheleute seien als gemischtes Agentendoppel aufgetreten und hätten wie Zahnräder ineinandergegriffen, sagte die Vorsitzende Richterin.
Ob die Angeklagten Revision einlegen, ist noch offen. Die Verteidiger hatten mehrfach klargemacht, dass ihre Mandanten keineswegs "eiskalt" seien: Heidrun Anschlag brach beispielsweise im Gericht immer wieder in Tränen aus, wenn die Sprache auf ihre inzwischen erwachsene Tochter kam. Selbst diese soll bis kurz vor der Verhaftung nichts vom Doppelleben ihrer Eltern gewusst haben.
cvl/dpa/LTO-Redaktion
Spionage-Prozess vor dem OLG Stuttgart: . In: Legal Tribune Online, 02.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9061 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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