Fast zwei Jahre lang dauerte das Warten auf das NSU-Urteil, nun liegt es vor. Einer von Zschäpes Verteidigern nimmt nun zentrale Argumentationslinien auseinander. Ob Zschäpe zu Recht verurteilt wurde, wird der BGH klären müssen.
Ein Verteidiger der verurteilten Rechtsterroristin Beate Zschäpe, Wolfgang Heer, hält das schriftliche Urteil des Münchner Oberlandesgerichts (OLG) im NSU-Prozess in einem zentralen Teil für nicht haltbar. Die Argumentation des Gerichts zur Mittäterschaft Zschäpes an den Morden und Anschlägen des NSU stehe in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), sagte der Rechtsanwalt am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in München.
Fast zwei Jahre nach dem Urteil gegen Zschäpe und vier Mitangeklagte hatte das OLG am Dienstag seine mit Spannung erwartete schriftliche Urteilsbegründung abgegeben. Weil Heer und andere Prozessbeteiligte Revision eingelegt haben, muss der BGH das Urteil überprüfen.
Zschäpe war am Ende des mehr als fünfjährigen Mammutverfahrens um die Morde und Anschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" am 11. Juli 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt worden - auch wenn es keinen Beweis gibt, dass sie selbst an einem der Tatorte war. Sie lebte aber fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund - in dieser Zeit ermordeten die Männer neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin. Am Ende nahmen sich die beiden Männer selbst das Leben.
Das Gericht verurteilte Zschäpe als Mittäterin an allen Verbrechen des NSU. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte in der mündlichen Urteilsbegründung immer wieder argumentiert, Mundlos und Böhnhardt hätten "aufgrund eines gemeinsam gefassten Tatplans und im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Frau Zschäpe" gehandelt.
Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH?
Heer betonte nun, die eingehende Prüfung des schriftlichen Urteils werde eine längere Zeit in Anspruch nehmen. Er kritisierte aber, ein wesentlicher Tatbeitrag Zschäpes an den Morden und Anschlägen solle darin bestehen, dass sie Abwesenheiten ihrer Freude verschleiert und ihnen dadurch eine sichere Rückzugsmöglichkeit geschaffen habe. "Dies als Tatbeitrag zu werten, stellt ein neues und aus unserer Sicht falsches Rechtskonstrukt dar, weil es in Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Mittäterschaft steht, mit der sich der OLG-Senat aber überhaupt nicht auseinandersetzt", sagte er.
Heer wurde sogar noch deutlicher: "Das Gericht behauptet allen Ernstes, die Abwesenheit Frau Zschäpes von den Tatorten sei geradezu Bedingung dafür gewesen, dass die jeweiligen Taten überhaupt begangen werden konnten. Dies ist rechtlich nicht haltbar", argumentierte er.
Überrascht zeigte sich Heer von den Gewichtungen in dem insgesamt 3.025 Seiten starken Urteil. "Nach einer ersten Analyse fällt auf, dass die rechtliche Würdigung bezüglich Frau Zschäpe mit nur 44 Seiten, die auch nur hälftig bedruckt sind, ausgesprochen knapp ist, davon entfallen auf die Mittäterschaft lediglich zehn Seiten." Der Anwalt fügte hinzu: "Die rechtliche Würdigung mutet oberflächlich an, eine sorgfältige Subsumtion stelle ich mir anders vor."
Auch vier Mitangeklagte Zschäpes waren zu mehrjährigen Haft- oder Jugendstrafen verurteilt worden, etwa als Waffenbeschaffer wegen Beihilfe zum Mord oder wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Lediglich das Urteil gegen den Mitangeklagten Carsten S. ist bereits rechtskräftig - er hat seine Revision zurückgezogen.
Das OLG hat gerade noch die Frist gewahrt, in der die schriftlich Begründung laut Strafprozessordnung "zu den Akten gebracht" werden muss. Diese Frist wäre am Mittwoch ausgelaufen, 93 Wochen nach dem Urteilsspruch am 11. Juli 2018. Hätte das Gericht die Frist verstreichen lassen, hätte der Prozess von vorne beginnen müssen.
dpa/vbr/LTO-Redaktion
Zschäpe-Verteidiger Heer: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41401 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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