Die Landesregierung hat den Entwurf eines Epidemie-Gesetzes vorgelegt, das den Behörden weitreichenden Zugriff unter anderem auf Ärzte und Material ermöglichen würde. Die Opposition hält ihn für verfassungswidrig. Mittwoch kommt der Entwurf in den Landtag.
Zum Schutz gegen weitere Coronainfektionswellen hat die nordrhein-westfälische Regierung am Montag einen außergewöhnlichen Gesetzentwurf vorgelegt. Er sieht unter anderem Zwangsverpflichtungen von Ärzten im Notfall vor. Außerdem sollen die Behörden berechtigt werden, medizinisches Material sicherzustellen. Landespolitiker von SPD und Grüne halten den aktuellen Entwurf in Teilen für verfassungswidrig und wollen einer Blitz-Behandlung am Mittwoch im Landtag nicht zustimmen.
Das Kabinett hatte den Entwurf des Gesetzes am Samstag beschlossen. Am Montagnachmittag wurden die 84 Seiten auf der Internet-Seite des Landtags veröffentlicht. Am Mittwoch soll das Plenum von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) unterrichtet werden.
Die Staatskanzlei hatte sich bei den Fraktionen bereits im Voraus für die "signalisierte Bereitschaft" bedankt, den Entwurf "in einem beschleunigten Verfahren im nächsten Plenum zu beraten und beschließen". Dazu wird es aus Sicht von den Fraktionen von SPD und Grünen nun nicht kommen, denn das geplante Vorhaben hat es in sich.
Grundlagen und Gründe für das Epidemie-Gesetz
Das Gesetz soll bei einer "epidemischen Lage von landesweiter Tragweite" greifen. Die müsste der Landtag ausrufen - und wieder aufheben. Es geht in dem Entwurf nicht nur um die aktuelle Coronakrise sondern auch um weitere Epidemien - daher wäre es in weiten Teilen zeitlich unbegrenzt gültig.
Die Landesregierung argumentiert, dass die Coronakrise auch im Ausland zeige, "dass im seuchenrechtlichen Notfall das Funktionieren des Gemeinwesens und die Versorgungsfunktion des Gesundheitssystems erheblich gefährdet sein können." Um dem vorzubeugen, "muss die Landesregierung in die Lage versetzt werden, schnell mit schützenden und steuernden Maßnahmen einzugreifen."
Was das im Einzelnen bedeutet
Im Falle einer Epidemie wäre das Gesundheitsministerium laut dem Entwurf zum Beispiel befugt, Krankenhäuser zur Schaffung von Behandlungskapazitäten zu zwingen - auch zu bestimmten Untersuchungen. Operationen müssten auf Geheiß der Behörden verschoben werden.
Das Gesetz würde die Behörden außerdem berechtigen, "medizinisches, pflegerisches und sanitäres Material einschließlich der dazu gehörigen Rohstoffe sowie Geräte" bei Firmen sicherzustellen - und dann zu einem normalen Preis abzukaufen. Zudem könnte man Firmen verbieten, die Sachen an andere weiter zu geben.
Darüber hinaus könnten die Behörden Ärzte, Pfleger und Rettungskäfte verpflichten, mit gegen die Epidemie zu kämpfen. Voraussetzung laut Gesetzentwurf: Die Landesregierung stellt formell einen "erheblichen Mangel" an Personal fest.
Den Kreisen und Gemeinden soll das neue Gesetz Beschlüsse im vereinfachten Verfahren ermöglichen. So könnte ein Stadtrat zum Beispiel schriftlich abstimmen statt zusammen zu treten.
Das Schulministerium soll berechtigt werden, dieses Jahr das Abschlussverfahren an Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschulen auszusetzen. Sitzenbleiben könnte für dieses Schuljahr abgeschafft werden. Auch die Prüfungsregeln an Unis würden einmalig gelockert - ein Notausgang, falls der Schulbetrieb nach dem 20. April immer noch brach liegen sollte.
Da im Fall einer Epidemie viele Menschen im Homeoffice arbeiten und schwer an Originaldokumente kommen - beziehungsweise sie nicht persönlich beim Amt vorlegen können - sollen elektronisch versandte Unterlagen reichen.
Gesetzentwurf in Rekordtempo erntet viel Kritik
Die Landesregierung hat den Gesetzentwurf nach eigenen Angaben im Rekordtempo aufgestellt und ihn am Wochenende neben den Fraktionen auch den zuständigen Verbänden zugesandt. Dass das Gesetz am Mittwoch - wie zuvor der 25 Milliarden-Euro-Rettungsschirm in NRW - an einem Tag vom Landtag beschlossen wird, scheint allerdings illusorisch.
SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty sagte, das geplante Gesetz greife "massiv in Grundrechte" ein und müsse auf jeden Fall in die Fachausschüsse. Kutschaty bezog sich unter anderem auf den Passus, indem Ärzte zum Kampf gegen die Epidemie verpflichtet werden sollen. Auch für die Fraktionschefin der Grünen, Monika Düker, sind Teile des Gesetzentwurfs "verfassungsrechtlich in hohem Maße bedenklich."
Widerstand formierte sich parallel im Rest der Opposition. Der fraktionslose Abgeordnete Marcus Pretzell twitterte am Montag: "Was die NRW-Landesregierung uns am Mittwoch als Gesetzesvorhaben zur Bekämpfung der Coronakrise vorlegen möchte, ist gravierend verfassungswidrig und dazu in vielen Maßnahmen kontraproduktiv." Der Chef der AfD-Fraktion im Landtag, Markus Wagner, verglich den Entwurf mit "einer Art Ermächtigungsgesetz."
Sowohl SPD als auch Grüne zeigten sich aber kompromissbereit: Er stehe jederzeit für ein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten bereit, sagte Kutschaty. Die Grünen betonten, dass sie auch für Sondersitzungen in den Osterferien parat stünden. Für Kutschaty ist auch nicht alles schlecht in dem Entwurf: Medizinisches Material zu beschlagnahmen, sei zum Beispiel in Ordnung.
dpa/ast/LTO-Redaktion
NRW plant Epidemie-Gesetz: . In: Legal Tribune Online, 30.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41151 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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