Die Union drängt darauf, dass Bundeskanzler Olaf Scholz noch diese Woche die Vertrauensfrage stellt, doch der winkt nun ab. Wäre ein Wahltermin deutlich vor März überhaupt realistisch? Welche Fristen sieht das Gesetz vor?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird die Vertrauensfrage anders als von der Union gefordert nicht schon an diesem Mittwoch im Bundestag stellen. Das bestätigte Scholz' Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag auf der Regierungspressekonferenz. Er stellte auch klar, dass der Kanzler notfalls im Alleingang über den Termin entscheiden werde, wenn es mit CDU und CSU nicht zu einer Einigung kommt. Wenn der stärksten Oppositionskraft an keiner Vereinbarung gelegen sei, "dann muss der Bundeskanzler entscheiden, wann er die Vertrauensfrage stellt", sagte er.
Relevant ist der Zeitpunkt der Vertrauensfrage für die sich anschließenden Neuwahlen zum Deutschen Bundestag. Art. 68 Grundgesetz (GG) trifft folgende zeitliche Regelungen: Zwischen dem Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, und der Antwort des Bundestags auf diese Vertrauensfrage müssen mindestens 48 Stunden liegen. Nach verneinter Vertrauensfrage bleiben dem Bundespräsidenten maximal drei Wochen, den Bundestag aufzulösen, wenn der Bundeskanzler dies zuvor – ebenfalls innerhalb dieser Frist – beantragt hat. Ob der Bundespräsident die Auflösung beschließt, steht in seinem Ermessen. Tut er das, muss die Neuwahl gemäß Art. 39 Abs. 1 S. 4 GG innerhalb von 60 Tagen erfolgen.
Scholz wollte die Vertrauensfrage ursprünglich Mitte Januar stellen, um eine Neuwahl des Bundestags Ende März herbeizuführen. Nach massivem öffentlichem Druck hatte er sich am Sonntag bereiterklärt, die Vertrauensfrage schon vor Weihnachten zu stellen. Er forderte die Fraktionen im Bundestag dazu auf, über einen Termin und mögliche gemeinsame Projekte bis zur Wahl Gespräche zu führen. Die Union lehnt das ab und drängt auf eine möglichst schnelle Vertrauensfrage. CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz forderte, Scholz solle die Frage noch in dieser Woche stellen.
Wie schnell ist eine Neuwahl durchführbar?
"Scholz sollte jetzt keine weiteren Nebelkerzen werfen, sondern zügig die Vertrauensfrage stellen", sagt der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei (CDU) der Bild-Zeitung. Am Mittwoch wird es aber nun sicher nicht dazu kommen. Das hat wohl auch damit zu tun, wie schnell sich eine Neuwahl organisieren lässt – nicht nur logistisch, sondern auch juristisch.
Das GG legt nur fest, bis wann der Bundespräsident den Bundestag auflösen und wie zeitnah die Neuwahl stattfinden muss. Dabei ist nur die Zwei-Tage-Frist zwischen Vertrauensfrage und Antwort eine Mindestfrist. Die anderen beiden Fristen – 21 Tage zwischen verneinter Vertrauensfrage und Auflösung sowie 60 Tage zwischen Auflösung und Neuwahl – sind Höchstfristen. Beide Vorgänge dürfen nach dem GG also auch schneller vonstattengehen. Bundeswahlleiterin Ruth Brand hält es aber für erforderlich, diese 60 Tage voll auszuschöpfen. Nachdem sie am vergangenen Donnerstag noch grünes Licht für einen frühen Neuwahltermin signalisiert hatte, erklärte sie nun in einem Brief an Scholz, der im GG geregelte Maximalzeitraum sei notwendig, "um alle erforderlichen Maßnahmen rechtssicher und fristgemäß treffen zu können".
Damit nimmt sie auf Mindestfristen Bezug, die vor der Durchführung der Wahl einzuhalten sind. Diese regelt nicht das GG, sondern das Bundeswahlgesetz (BWahlG). Nach §§ 26, 28 BWahlG müssen die Wahlausschüsse bis zum 58. Tag vor der Wahl über die Zulassung der Wahlvorschläge der Parteien für ihre Direktkandidaten (Erststimme) sowie der Landeslisten (Zweitstimme) entscheiden. Nach § 19 BWahlG müssen die Parteien diese Vorschläge dem Kreis- bzw. Landeswahlleiter am 69. Tag vor der Wahl übermitteln.
Da der Mindestvorlauf länger ist als die 60-Tage-Höchstfrist zwischen Bundestagsauflösung und Neuwahl, müssten die Parteien ihre Kandidaten- und Landeslisten schon vor der offiziellen Auflösung des Bundestags durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einreichen, um alle gesetzlich vorgegebenen Fristen zu wahren.
Noch mehr Eile wäre für Kleinstparteien geboten. Sie müssen dem Bundeswahlleiter am 97. Tag, also mehr als 13 Wochen, vor der Wahl anzeigen, dass sie an der Wahl teilnehmen wollen (§ 18 Abs. 2 BWahlG). Für die Aufstellung von Direktkandidaten müssen sie Unterschriften von Unterstützern einholen, 200 pro Wahlkreis (§ 20 Abs. 2 BWahlG). Selbst wenn Scholz die Vertrauensfrage am Mittwoch stellen und der Bundestag sie am Freitag ablehnend beantworten würde, wäre unter Einhaltung der vorgenannten Fristen eine Neuwahl nicht vor Mitte Februar möglich. Und hält man die 97-Tage-Frist des § 18 Abs. 2 BWahlG ein, so wäre die von Art. 68 GG bestimmte Höchstfrist von 81 Tagen zwischen Bundestagsabstimmung und Neuwahl überschritten.
Verkürzt das BMI die Fristen?
Die im BWahlG festgelegten Fristen lassen sich allerdings verkürzen, per Rechtsverordnung. Zuständig dafür wäre nach § 52 Abs. 3 BWahlG das Bundesinnenministerium (BMI). Bei der letzten frühzeitigen Bundestagsneuwahl 2005 wurde die Frist zur Anmeldung von kleineren Parteien auf 47 Tage und die Frist für die Einreichung der Wahlvorschläge auf 35 Tage verkürzt. Von dieser Möglichkeit wird das BMI auch diesmal Gebrauch pachen. Das Ministerium habe bereits damit begonnen, eine Verordnung über die Abkürzung der Fristen vorzubereiten, wie ein BMI-Sprecher am Dienstag auf LTO-Anfrage bestätigte. "Die Ausgestaltung der Fristen wird abhängig von der Bestimmung des Wahltermins durch den Bundespräsidenten und seiner Entscheidung sein, in welchem Umfang die grundgesetzlich festgelegte Maximalfrist von 60 Tagen zur Durchführung einer Neuwahl ausgeschöpft wird", heißt es weiter.*
Wie stark das BMI diese Fristen verkürzen kann, ohne gegen das GG zu verstoßen, ist noch ungeklärt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigte im Jahr 2005 erst fünf Tage vor dem Wahltermin die Fristverkürzung (Beschl. v. 13.09.2005, Az. 2 BvE 9/05). Das BVerfG betonte in dem Eilbeschluss die Wichtigkeit der Vorbereitungszeit für eine ordnungsgemäße Wahl.
Die Forderung der Union, die Vertrauensfrage noch diese Woche zu stellen, führt damit nach dem geltenden Fristenstatut nicht dazu, dass eine Neuwahl deutlich früher als März terminiert werden könnte. Und eine allzu starke Verkürzung der Fristen durch das BMI würde vermutlich eine Verfassungsklage nach sich ziehen. Verfassungsrechtler Prof. Dr. Alexander Thiele weist im Verfassungsblog zudem darauf hin, dass auch im Fall der Vertrauensfrage 2005 zwischen der Ankündigung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und der tatsächlichen Neuwahl ein ähnlich langer Zeitraum verging wie der von Scholz nun in Aussicht gestellte.
Rechtlich liegt der Zeitpunkt, wann er die Vertrauensfrage stellt, allein in Scholz' Händen. Das weitere Prozedere obliegt dem Bundestag sowie dem Bundespräsidenten. Letzterer bestimmt auch den Wahltermin (§ 16 BWahlG). Was den Zeitplan angeht, wird er dabei aber so handeln, dass alle gesetzlichen Fristen eingehalten werden können. Auch die Erklärungen der Bundeswahlleiterin zur Machbarkeit wird er berücksichtigen. Insofern ist davon auszugehen, dass Steinmeier sowohl die 21-Tage-Frist zur Auflösung als auch die 60-Tage-Frist für den Wahltermin weitgehend ausschöpfen wird.
Mit Material der dpa
* Red. Hinweis: Stellungnahme des BMI nachträglich hinzugefügt (12.11.2024, 10:21 Uhr, mk).
Fristen bis zur Neuwahl: . In: Legal Tribune Online, 11.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55836 (abgerufen am: 13.11.2024 )
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