Der Justizminister will den Mordparagraphen grundlegend reformieren. Die zwingend lebenslange Freiheitsstrafe soll fallen, das Merkmal der Heimtücke neu definiert werden. Damit geht auch eine systemische Umstellung der Tötungsdelikte einher.
Die Reform des Mordparagraphen ist fast seit Beginn seiner Amtszeit auf der Agenda von Bundesjustizminister Heiko Maas, nun steht ein erster Entwurf, aus dem der Spiegel zitiert. Das Papier, das sich seit wenigen Tagen in der Ressortabstimmung befindet, sieht danach grundlegende Änderungen im System der Tötungsdelikte vor.
Gewiss am bedeutsamsten ist die Abschaffung der obligatorisch lebenslangen Freiheitsstrafe. Das absolute Strafmaß des Mordparagraphen hat der Praxis seit jeher Schwierigkeiten bereitet und die Rechtsprechung zu beträchtlichen Verrenkungen genötigt.
Bei jeder anderen Strafvorschrift ist es möglich, die Besonderheiten des Einzelfalls im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, nicht aber beim Mord. Das unbedingte Lebenslang verträgt sich schlecht mit dem Schuldprinzip, nach dem der Täter je nach Ausmaß seiner individuellen Schuld eine höhere oder niedrigere Strafe erhalten soll.
Variables Strafmaß: Späte Lösung eines alten Problems
Das Bundesverfassungsgericht erklärte den § 211 Strafgesetzbuch (StGB) im Jahr 1977 gleichwohl für verfassungsgemäß – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass dem Täter zumindest die (über ein Gnadengesuch hinausgehende) Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung offenstehen müsse (Urt. v. 21.06.1977, Az. 1 BvL 14/76); praktisch wird dies durch Haftprüfungen ermöglicht, die erstmals nach 15 Jahren erfolgen können.
Konsequenz der absoluten Strafdrohung ist auch eine sehr restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale durch die Justiz: Weil es nicht möglich ist, weniger gravierende Fälle auf der Rechtsfolgenseite zu berücksichtigen, wurde immer wieder der Versuch unternommen, diese bereits auf Tatbestandsebene auszuschließen, ohne dabei allzu grobe Systembrüche zu verursachen. Dieser Jahrzehnte andauernde Prozess ist heute weit gediehen, für viele Grenz- und Problemfälle hat die Rechtsprechung inzwischen taugliche Maßstäbe entwickelt.
Dennoch verbleiben Gerechtigkeitsdefizite, die der Entwurf schließen könnte. Nach Informationen des Spiegel, der als erster auf den Entwurf aufmerksam geworden war, sieht er die lebenslange Freiheitsstrafe zwar weiterhin als Normalfall vor, allerdings sollen Strafmilderungen möglich sein – bis auf ein Minimum von fünf Jahren. Ein Milderungsgrund soll etwa dann vorliegen, wenn der Täter "aus Verzweiflung" sich selbst oder ihm nahestehende Personen "aus einer ausweglos erscheinenden Konfliktlage" befreien wollte, durch eine "schwere Beleidigung" oder "Misshandlung [...] zum Zorn gereizt" wurde oder von einer "vergleichbar heftigen Gemütsbewegung" betroffen war.
Grundlegende Änderungen bei der Heimtücke
Eine zweite erhebliche Änderung betrifft das Mordmerkmal der Heimtücke, das der Praxis die größten Schwierigkeiten bereitet hatte. Gefordert war bislang das Ausnutzen der Arglosigkeit und der sich aus dieser ergebenden Wehrlosigkeit des Opfers. Diese Voraussetzungen lagen indes häufig in Situationen vor, für welche die drakonische lebenslange Freiheitsstrafe nicht unbedingt angemessen schien. So etwa, wenn die körperlich unterlegene Ehefrau keine andere Möglichkeit sieht, als ihren gewalttätigen Ehemann zu vergiften, hinterrücks zu erstechen oder sonst wie auf quasi aus dem Hinterhalt ums Leben zu bringen.
Auch über diese sog. Haustyrannen-Fälle hinaus wurde kritisch hinterfragt, warum die (effizientere, risikoärmere) heimliche Tötung eines Menschen einen so erheblich gesteigerten Unwertgehalt gegenüber der Tötung in offener Konfrontation haben sollte, dass sich die Strafe von Totschlag auf Mord verschob. Und umgekehrt konnten manche Tötungshandlungen, die eigentlich klare Heimtücke-Fälle waren, nicht als solche bestraft werden, wenn das Opfer aufgrund kognitiver Einschränkungen gar nicht in der Lage war, Argwohn zu entwickeln, so etwa bei Babys oder manchen Fällen geistiger Behinderung.
Hier sieht der Entwurf eine deutliche Umstellung vor. Heimtücke soll künftig dann vorliegen, wenn der Täter die Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt. Dies ist nicht bloß eine Verknappung von zwei Voraussetzungen auf eine. Denn bislang musste die Wehrlosigkeit des Opfers aus seiner Arglosigkeit folgen. Nun ist nur noch von Wehrlosigkeit die Rede – ohne Kausalzusammenhang zur Arglosigkeit, auf die es nicht mehr ankommen soll. Effektiv ist somit ein ganz neues Merkmal geschaffen, dessen Auslegung zudem ganz anderen Regeln folgen wird, da seine Erfüllung nicht mehr zwangsläufig zu lebenslanger Haft führen muss.
Constantin Baron van Lijnden, Entwurf zur Reform der Tötungsdelikte: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18901 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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