Der in Deutschland bisher einzigartige Fall des Youtubers "Drachenlord" erregt bundesweites Aufsehen. Es geht um Hass, der sich aus dem Internet in die reale Welt verlagert hat und so zu einem Novum in der Republik und für die Gerichte wurde.
Das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth hat den Youtuber Rainer W., besser bekannt unter seinem Pseudonym "Drachenlord", unter einigen Auflagen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt (Urt. v. 23.03.2022). W. habe sich unter anderem der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, sagte der Vorsitzende Richter Axel Dunavs am späten Mittwochabend, als er das Urteil nach einem Sitzungsmarathon verkündete.
Der "Drachenlord" sei laut Gutachter aber vermindert schuldfähig. Die Geschädigten hätten ihn zudem bewusst provoziert, weil sie genau wussten, dass er sich dann nicht mehr habe beherrschen können, so Dunavs. Im Ergebnis sei es damit nicht zu einer Haftstrafe gekommen.
Eine solche hatten sich viele "Hater" für den "Drachenlord" gewünscht. Die "Hater" sind Personen, die W. erst virtuell wegen fragwürdiger und polarisierender Aussagen in seinen Youtube-Videos mit Hasskommentaren belegt haben, bevor W. schließlich in einem seiner Videos seine Adresse nannte. In der Folgezeit besuchten "Hater" W. immer öfter auch an seinem Elternhaus, von ihnen "Drachenschanze" genannt, bis es zuletzt beinahe täglich zu (manchmal sogar mehreren) Polizeieinsätzen kam.
Am Mittwoch nahm das Gericht zahlreiche Handy-Videos in Augenschein. In ihnen ist zu hören, wie die "Hater" und W. sich gegenseitig teils aufs Ärgste beschimpfen, auch die Taten, wegen derer W. am Mittwoch wieder vor Gericht stand, sind darauf zu sehen. Einige der Videos enden letztlich damit, dass die "Hater" triumphierend rufen, dass sie den "Drachenlord" nun anzeigen und in den Knast bringen könnten.
Der Youtuber ist zu dem Zeitpunkt, an dem die Videos entstanden sind, schon zu einer Bewährungsstrafe wegen einer vorherigen Pfefferspray-Attacke verurteilt. Wer in der Bewährungszeit weitere Straftaten begeht, muss in der Regel mit Gefängnis rechnen. Das scheinen die "Hater" in den Videos auch zu wissen.
AG verurteilte den "Drachenlord" zu zwei Jahren Gefängnis
So hatte das Amtsgericht (AG) Neustadt an der Aisch W. im vergangenen Oktober wegen dieser Fälle und anderer Straftaten aus den Jahren 2019 bis 2021 zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Dagegen hatten Staatsanwaltschaft wie auch Verteidigung Berufung eingelegt.
Das "Drachengame", wie die "Hater" ihren Konflikt mit W. nennen, hat seit Jahren immer ausuferndere Ausmaße angenommen. Für bundesweites Aufsehen sorgte dabei 2018 das "Schanzenfest", als Hunderte "Hater" sich verabredet hatten, die "Drachenschanze" gleichzeitigt aufzusuchen. Nur durch ein Großaufgebot der Polizei ist es zu diesem Zusammentreffen zwischen "Hatern" und "Drachenlord" nicht gekommen. Doch auch der Youtuber befeuert den Streit, indem er in seinen Videos immer wieder auf die "Hater" eingeht.
Von "Drachenlords" mittlerweile über 200.000 Followern bei Youtube werden die wenigsten echte Fans sein, den überwiegenden Teil dürften die "Hater" ausmachen, die W. auf Youtube gerade wegen seines Contents zu den "Hatern" folgen. W. verdient mit seinen Videos über die "Hater" also auch Geld. Es ist paradox, aber eben nicht verwunderlich: Die Ereignisse und Zusammenhänge haben längst eine Eigendynamik entwickelt, die so noch nie dagewesen ist - kein einfacher Fall für die Gerichte.
Opfer: "Ich habe es ein bisschen herausgefordert"
Im Prozess gab W. am Mittwoch zu, dass er unter anderem einen der "Hater" mit einem Stein beworfen, einen anderen mit einer Taschenlampe geschlagen und einen weiteren in den Schwitzkasten genommen habe - aus lauter Wut, sagte er. An alle Details könne er sich nicht mehr erinnern. "Es sind so viele Fälle über die Zeit, dass sie verschwimmen. Manche Personen kommen auch öfter."
Immer wieder musste die Polizei wegen Ruhestörung, Hausfriedensbruchs und anderer Anzeigen in den vergangenen Jahren in das normalerweise beschauliche Dorf Altschauerberg ausrücken, wie ein Beamter der zuständigen Polizeiinspektion vor Gericht erzählt. Auch einige "Hater" wurden bereits wegen ihrer Vergehen verurteilt.
Auch der junge Mann, den der Youtuber mit der Taschenlampe angegriffen hatte, gab vor Gericht zu, betrunken zum Haus des Youtubers gegangen zu sein und ihn provoziert zu haben. "Ich bin ehrlich, ich habe es ein bisschen herausgefordert. Man ist selber schuld, wenn man da hingeht", sagte er.
Der damals 18-Jährige erlitt durch den Schlag mit der Taschenlampe eine Platzwunde am Kopf. In einem Video ist zu sehen, wie er ganz nah an den Zaun tritt und den "Drachenlord" auffordert, ihn zu schlagen. Danach ruft ein Freund des Opfers: "Ich habe alles auf Video." Später stellte er dieses ins Internet.
Elternhaus abgerissen, "Drachenlord" dreht Roadtrip-Videos
Was bringt Menschen dazu, zum Teil mehrere Hundert Kilometer weit in ein kleines mittelfränkisches Dorf zu reisen? Neugier und die Gewissheit, den Schauplatz des fragwürdigen Internetphänomens mal in echt zu sehen, wie einige der Zeugen vor Gericht am Mittwoch angaben. "Man fährt rum, man hat einen schönen Tag mit Freunden", sagte etwa ein junger Mann. Eventuell bekomme man den "Drachenlord" dabei zu Gesicht. "Das ist primitiv", gab er zu. Es sei aber auch lustig. Heute bereue er es, über den Zaun des Anwesens geklettert zu sein. "Ich war sehr betrunken und diese Aktion war sehr dumm."
Aus Altschauerberg ist W. inzwischen weggezogen, der Kreis hat sein Elternhaus gekauft und mittlerweile abgerissen. Im Ort sei es ruhiger geworden, erzählte ein Polizist im Prozess. Aber noch immer kämen Besucher, um sich Steine und andere Erinnerungsstücke vom Grundstück zu holen. Zum Teil versteigerten sie diese sogar im Internet.
Ob es um den Youtuber jetzt stiller wird, weiß niemand sicher. In den vergangenen Wochen ist er mit seinem Auto umhergereist und hat Videos von unterwegs gepostet - verfolgt von den "Hatern".
Das bedeute aber nicht, dass automatisch neue Straftaten von dem 32-Jährigen zu erwartenn seien, betonte Richter Dunavs am Mittwoch. Er empfahl dem "Drachenlord", von nun an zurückhaltender zu sein. Ein Berufsverbot könne das Gericht für einen Youtuber nicht aussprechen. Das sei auch schwierig, weil er damit sein Geld verdiene, ergänzte der Richter.
Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig.
dpa/ms/acr/LTO-Redaktion
Berufung am LG Nürnberg-Fürth: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47932 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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