2020 fuhr ein Mann beim Rosenmontagszug in Volkmarsen in die Zuschauermenge, er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Nachdem der Fall beim BGH war, musste nun das LG Kassel erneut ran: In Sicherungsverwahrung muss der Mann nun nicht mehr.
Im Februar 2020 war ein 29 Jahre alter Mann beim Karnevalsumzug in Volkmarsen mit seinem Auto absichtlich in die Zuschauer am Straßenrand gefahren. Dabei wurden knapp 90 Menschen verletzt, einige von ihnen schwer. Unter den Verletzten waren auch 26 Kinder.
Ende 2021 verurteilte ihn das Landgericht (LG) Kassel deshalb wegen 88-fachen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in einem Fall wegen versuchten Mordes sowie des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (Urt. v. 16.12.2021, Az. 2 OJs 8/20 6 Ks 3620 Js 8343/20). Das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest und behielt sich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66a Strafgesetzbuch (StGB) vor. Das bedeutet: Es ordnete die Sicherungsverwahrung nicht direkt im Urteil an (§ 66 StGB), sondern erst am Ende des Strafvollzugs prüft dasselbe Gericht, das den Täter auch verurteilt hat, ob die Sicherungsverwahrung endgültig angeordnet werden soll. Die Gefährlichkeit eines Täters wird also am Ende seiner Haftzeit unter Berücksichtigung seines Verhaltens in Haft geprüft.
LG Kassel: Kein Hang zu weiteren, erheblichen Straftaten
Gegen das Urteil hatte der Mann Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof (BGH) sah beim Schuldspruch und der Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe keine Rechtsfehler, ordnete aber an, dass über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung noch einmal vor einer anderen Strafkammer des LG verhandelt werden muss (Beschl. v. 10. 11.2022, Az. 4 StR 192/22). Weil damit das erste Urteil des LG Kassel im Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig war, musste sich die 10. Große Strafkammer am Montag nur noch mit der Frage befassen, ob die Voraussetzungen für einen Vorbehalt der Anordnung der Sicherungsverwahrung vorliegen.
Und die Antwort lautete nach der erneuten Hauptverhandlung am Montag: Nein. Keine Sicherungsverwahrung für den Täter – weder direkt angeordnet nach § 66 StGB noch vorbehalten nach § 66a StGB.
Der Mann habe die Tat begangen, habe aber keine Vorstrafen und sei auch sonst nicht als gewalttätig aufgefallen. Auch im Vollzug gebe es keine Auffälligkeiten, erklärte das LG am Montag. Es sei derzeit nicht feststellbar, dass es sich um einen Täter handele, der den Hang habe, erneut Straftaten zu begehen. Ein solcher "Hang" ist aber nach § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB eine von mehreren Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsverwahrung. Danach muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten – namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden – für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Zudem müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, so das Gericht. Der Täter verbüße bereits eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Die Sicherungsverwahrung schließt sich an die Verbüßung der Haftstrafe an und ist keine Strafe, sondern eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Das heißt: Es handelt sich um keine Sanktion, sondern eine präventive Maßnahme, um die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen. Als zeitlich unbefristete Maßregel ist bei deren Anordnung aber insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz streng zu beachten.
Sicherungsverwahrung droht dem Täter nun nicht mehr. Allerdings wurde bereits im ersten Prozess die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ist damit rechtlich zwar möglich (§ 57a Abs. 1 StGB), in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.
dpa/cho/LTO-Redaktion
Urteil zu Amokfahrt in Volkmarsen abgeändert: . In: Legal Tribune Online, 27.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54636 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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