Nur das gesunde Kind sollte leben, so wollte es die Mutter. Während der Geburt per Kaiserschnitt töteten zwei Ärzte einen Zwilling, der eine schwere Hirnschädigung hatte. Jahre später bedauern die Mediziner ihr Handeln.
Statt einen späten Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, holten zwei Ärzte einen Zwilling per Kaiserschnitt und töteten den anderen mit Kaliumchlorid im Mutterleib. Das aber ist eben kein Schwangerschaftsabbruch, sondern ein gemeinschaftlicher Totschlag in einem minderschweren Fall, so schon der Bundesgerichtshof (BGH) im November 2020. Nun hat das Berliner Landgericht (LG) am Donnerstag zum zweiten Mal in dem Fall geurteilt. Es ist für die Mediziner - einen Mann und eine Frau - bei Bewährungsstrafen geblieben. Gegen einen damaligen Chefarzt ergingen ein Jahr und sieben Monate Haft auf Bewährung, eine Oberärztin erhielt ein Jahr und vier Monate auf Bewährung.
Mit der jetzigen Entscheidung verringerte die 21. Große Strafkammer des Landgerichts die Strafen gegen die Ärzte etwas. Im ersten Urteil im November 2019 waren gegen den heute 75 Jahre alten ehemaligen Chefarzt und die heute 60-jährige Oberärztin Bewährungsstrafen von einem Jahr und neun Monaten beziehungsweise eineinhalb Jahren ergangen. Der BGH hatte die Erwägungen des LG zur Höhe der Strafen beanstandet: Dass der Eingriff geplant worden sei, habe nicht zu einer höheren Strafe führen dürfen.
Die Mutter der Zwillinge war in der 32. Schwangerschaftswoche, als es im Juli 2010 zur Geburt kam. Bereits zuvor hatte es Komplikationen gegeben, weil sich die Föten die mütterliche Plazenta teilten. Bei einem Zwilling wurde zudem eine massive Hirnschädigung festgestellt. Nachdem sich die Mutter hatte beraten lassen, wurde die Indikation für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch gestellt. Da es sich aber um Zwillinge handelte und nur hinsichtlich eines Zwillings der Abbruch durchgeführt werden sollte, bestanden erhebliche Risiken für den anderen Zwilling.
Zur Zeit der sich anbahnenden Geburt wurde diese Art von Eingriff deshalb nur von sehr wenigen spezialisierten Kliniken durchgeführt. Die Mutter wollte den Eingriff gleichwohl durchführen lassen, fühlte sich aber in der von ihr aufgesuchten Spezialklinik nicht gut betreut. Sie wandte sich deshalb an die Oberärztin einer anderen Klinik für Geburtsmedizin.
Ärzte erklärten, sie hielten Vorgehen für zulässig
Das damals gebräuchliche Verfahren für einen selektiven Abbruch wurde in dieser Klinik jedoch nicht angeboten. Stattdessen entwickelte die Mutter zusammen mit der Oberärztin und dem Leiter der Klinik den Plan, das gesunde Kind mittels Kaiserschnitts zu entbinden und sodann den Zwilling mit dem geschädigten Hirn zu töten. Diesen Plan setzten die Ärzte dann auch in die Tat um: Nachdem sie den gesunden Zwilling aus dem Mutterleib geholt hatten, verabreichtem dem geschädigten, aber lebensfähigen Zwilling eine Kaliumchloridlösung.
Auch nach Auffassung des BGH stellte die Tötung ein strafbares Tötungsdelikt und keinen straffreien Schwangerschaftsabbruch dar. Die Regeln zu einem Abbruch würden nur bis zum Beginn der Geburt gelten. Zugleich hob der BGH die verhängten Strafen auf und ordneten eine Neuverhandlung allein über das Strafmaß an.
Die Ärzte erklärten im jetzigen Prozess, sie hätten nicht gegen das Recht verstoßen wollen. Beide äußerten Bedauern. Sie seien damals davon ausgegangen, dass ihr Vorgehen zulässig gewesen sei. Die Kindesmutter habe sich nach vielen medizinischen Untersuchungen in einer absoluten Ausnahmesituation befunden. Sie hätten einen sicheren Weg für den gesunden Fötus gehen wollen. Ein Verteidiger sagte: "Hier ist die Verurteilung der Fluch der gut gemeinten Tat."
Im ersten Prozess sagte der Vorsitzende Richter der 32. Großen Strafkammer, ein "Aussortieren eines kranken Kindes am offenen Mutterleib - das ist nicht hinnehmbar". Nun entschied die 21. Große Strafkammer noch einmal über die Strafhöhe und berücksichtigte unter anderem die lange Verfahrensdauer sowie die persönlichen und möglichen berufsrechtlichen Konsequenzen für die Angeklagten. Das Urteil entspricht im Wesentlichen dem Antrag der Staatsanwältin. Die Verteidiger plädierten auf geringere Bewährungsstrafen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, müssen die Angeklagten mit berufsrechtlichen Maßnahmen rechnen. Die Approbationsbehörde werde den Fall prüfen, hieß es im Prozess. Es drohe ein Widerruf der Approbation.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Etwas geringere Bewährungsstrafen für Berliner Ärzte: . In: Legal Tribune Online, 12.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48429 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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