Stadt München entlässt Chefdirigenten Waleri Gergijew: Kün­di­gung wegen Schwei­gens zum Krieg?

von Tanja Podolski

01.03.2022

Die Stadt München hat den Chefdirigenten der dortigen Philharmoniker, Waleri Gergijew, entlassen. Der Mann gilt als Freund Putins. Arbeitsrechtlich könnte das in diesem Fall passen.

Mehrfach war der Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Waleri Gergijew, aufgefordert worden, sich eindeutig und unmissverständlich von dem Krieg gegen die Ukraine zu distanzieren. Doch er habe sich nicht geäußert, sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Nun hat Reiter den Mann wegen dessen Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin entlassen.

Seit 2015 war Gergijew Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, eines Orchesters der Stadt München. Die Freundschaft mit dem russischen Machthaber Putin brachte ihm schon seit Jahren immer wieder Kritik ein. Im Jahr 2014 unterschrieb er einen Künstler-Appell zur Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland und bekannte sich damit offiziell zur Politik Putins.

Doch hat eine Kündigung wegen einer politischen Gesinnung Bestand? Ist das nicht vielmehr ein untragbarer Kündigungsgrund und gleichzeitig eine ungerechtfertigte Diskriminierung?

Politische Ansicht ist keine Weltanschauung

Die Frage einer rechtswidrigen Diskriminierung sei schnell vom Tisch, erklärt Hans Hermann Aldenhoff, Partner bei Simmons & Simmons. "Der Dirigent hat eine politische Ansicht geteilt, keine Weltanschauung", so der Rechtsanwalt. Politische Ansichten aber seien schon nicht vom Tatbestand des § 15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) umfasst und könnten daher auch keine Rechtsfolgen begründen.

Die Differenzierung zwischen derartigen Ansichten und Weltanschauungen habe das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Fall einer Chinesin bereits vor zehn Jahren geklärt, so der Düsseldorfer Anwalt unter Verweis auf die Rechtsprechung (BAG, Urt. v 20.06.2013, Az. 8 AZR 482/12).

Kündigung wegen politischer Einstellung?

Bei der Rechtmäßigkeit einer Kündigung werde es schwieriger: Grundsätzlich geht den Arbeitgeber die politische Gesinnung von Beschäftigten nichts an, insbesondere, wenn diese im Privatleben gelebt und artikuliert wird. Solange diese keine Auswirkung auf die Arbeitsleistung hat, rechtfertigt die politische Einstellung keine Kündigung.

Das gilt allerdings nur so lange, wie diese Einstellung nicht zu Missständen im Unternehmen führt: "Es gibt zum einen die so genannte Druckkündigung", sagt Aldenhoff. Danach kann eine Kündigung ausnahmsweise rechtmäßig sein, um den Betriebsfrieden zu sichern und Kündigungen anderer Mitarbeiter zu vermeiden, die eine solche einfordern, erklärt der Anwalt.

Philharmoniker haben Reputation zu verlieren

Die Münchener Philharmoniker sind kein privates Unternehmen, sondern ein öffentlich finanzierter Betrieb der öffentlichen Hand. "Gerade für letztlich steuerfinanzierte Einrichtungen besteht ein besonderes Reputationsrisiko für den Arbeitgeber, wenn sich ein besonders exponierter leitender Angestellter wie der Chefdirigent in der Öffentlichkeit weigert, sich vom Angriffskrieg Russlands zu distanzieren und letztlich eine Position einnimmt, die dem gesellschaftlichen und politischen Grundkonsens diametral entgegensteht", sagt Aldenhoff. Eine derartige Extremposition könne im Einzelfall eine Kündigung rechtfertigen.

Wegen seines Verhaltens hat bereits die Hamburger Elbphilharmonie die Konzerte mit dem russischen Star-Dirigenten abgesagt und dies mit dessen Schweigen begründet. Auch die Pariser Philharmonie strich am Dienstag geplante Konzerte mit Gergijew im April. In Edinburgh trat Gergijew nach erheblichem Druck am Montagabend als Ehrenpräsident des renommierten Edinburgh International Festivals zurück. Am Wochenende schon hatte sich Gergijews Münchner Künstleragentur von ihm getrennt.

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Stadt München entlässt Chefdirigenten Waleri Gergijew: . In: Legal Tribune Online, 01.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47676 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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