Durfte der FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsident Kubicki den türkischen Präsidenten Erdogan als "kleine Kanalratte" bezeichnen? Die Staatsanwaltschaft Hildesheim sagt "ja" und lehnt Ermittlungen ab.
Die Bezeichnung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als "Kanalratte" durch den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki führt nicht zu Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Hildesheim. Nach Ansicht der Behörde liegt kein Anfangsverdacht für eine Straftat vor, wie eine Sprecherin am Montag mitteilte. Zuerst hatte Der Spiegel am Freitag darüber berichtet.
Die Sprecherin erklärte, es handele sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht "um eine Formalbeleidigung, da die Äußerung nicht beziehungslos in den Raum gestellt wurde, sondern einen sachlichen Bezug aufwies, der zwar sehr überspitzt, aber für objektive Dritte nachvollziehbar war". Außerdem sei die Äußerung "auch durch das Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt, zumal die Grenzen zulässiger Kritik im Falle von Politikern erheblich weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen". Je mehr eine Äußerung zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen soll, sei die Meinungsfreiheit gegenüber der persönlichen Ehre umso höher zu gewichten. Unter anderem LTO-Chefredakteur Felix W. Zimmermann sieht in der Bezeichnung als "Kanalratte" hingegen eine strafbare Beleidigung.
Ratten als coole Helden in Kindergeschichten
Kubicki, der auch Vizepräsident des Bundestags ist, hatte Erdogan im September im niedersächsischen Landtagswahlkampf als "kleine Kanalratte" bezeichnet. Auf Nachfrage erklärte der FDP-Politiker dazu, er habe die Äußerung im Rahmen einer Ausführung über die Flüchtlingspolitik des türkischen Präsidenten getätigt, der einen für die Türkei vorteilhaften Deal mit der Europäischen Union zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen abgeschlossen habe. Außerdem teilte Kubicki mit: "Eine Kanalratte ist ein kleines, niedliches, gleichwohl kluges und verschlagenes Wesen, weshalb sie auch in Kindergeschichten als Protagonistin auftritt ('Kalle Kanalratte', 'Ratatouille')".
In einem Anwaltsschreiben von Oktober, das der dpa in Berlin vorliegt, hatte Kubicki den Vorwurf der Beleidigung und Verleumdung zurückgewiesen. In seinem Sprach- und Kulturraum werde der Begriff einer kleinen Kanalratte "nicht als Beleidigung, sondern eher als Anerkennung verstanden, schrieb Kubicki. Unabhängig davon sei die Äußerung in einem Kontext gefallen, der eine strafrechtliche Verfolgung wegen Beleidigung ausschließe, hieß es mit Verweisen unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Dem Spiegel-Bericht zufolge hatte der Kölner Anwalt Mustafa Kaplan im Namen Erdogans Strafanzeige gestellt. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hildesheim habe er zudem bereits Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle eingelegt. Kaplan bestätigte das auf Anfrage der dpa. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft war bis Montagmittag allerdings noch keine Beschwerde eingegangen.
dpa/ast/LTO-Redaktion
Nach Bezeichnung als "kleine Kanalratte": . In: Legal Tribune Online, 19.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50512 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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