Das jahrelange juristische Tauziehen um Julian Assange endet mit einem Deal - und einem großen Finale auf einer Tropeninsel im Pazifik.
Nach 14 Jahren juristischer Odyssee ist Wikileaks-Gründer Julian Assange ein freier Mann. Ein US-Gericht auf der Marianen-Insel Saipan - einem US-Außengebiet im Westpazifik - segnete am Mittwoch einen Deal zwischen dem Australier und der amerikanischen Justiz im Zusammenhang mit Spionagevorwürfen ab. Im Gegenzug für ein teilweises Schuldbekenntnis ist Assange wegen seiner bereits in Großbritannien verbüßten Haft nun auf freiem Fuß - und mit einer Chartermaschine unterwegs in Richtung Heimat. Am Abend (Ortszeit) wird er von seiner Ehefrau und Premierminister Albanese in der Hauptstadt Canberra erwartet, wo es dann auch eine Pressekonferenz geben soll*.
Assange ist der Protagonist eines großen Spionageskandals. 2006 hatte er die Enthüllungsplattform Wikileaks gegründet mit der Mission, Whistleblower zu unterstützen und verborgene Informationen ans Licht zu bringen. Von 2010 an veröffentlichte Wikileaks geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan der Whistleblowerin Chelsea Manning. Die USA warfen Assange in der Folge vor, geheimes Material gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben.
Vom Gefängnis auf eine Trauminsel
Der Kontrast zwischen der kleinen Gefängniszelle im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, in dem der Whistleblower die vergangenen fünf Jahre verbracht hat, und der pazifischen Trauminsel Saipan könnte größer nicht sein. Saipan gilt als Taucherparadies und Touristenmagnet. Nachdem sich die Ereignisse seit Montag überschlagen hatten, fand sich Assange nur zwei Tage später unter blauem Tropenhimmel und in der Nähe von palmengesäumten Stränden wieder.
Von London Stansted war er am Montag mit einer Bombardier-Chartermaschine zunächst nach Bangkok geflogen und von dort am Dienstagabend in das US-Außengebiet gestartet. Die Flugnummer VJT199, die Assanges Frau Stella und Wikileaks zuvor in sozialen Medien genannt hatten, war seit Tagen die von Nutzern weltweit am meisten beobachtete Verbindung. Zu den Hintergründen des Deals hatte LTO bereits gestern berichtet.
Kaum jemand kann Assanges Gemütszustand wohl besser nachvollziehen als seine Frau Stella, die auf X zu seiner Ankunft auf der Insel schrieb: "Ich sehe mir die Aufnahmen an und denke daran, wie groß die Reizüberflutung sein muss, wenn er nach Jahren der sensorischen Deprivation in den vier Wänden seiner Hochsicherheitszelle im Belmarsh-Gefängnis jetzt durch das Gedränge der Presse geht."
Nach der Gerichtsentscheidung jubelte sie in sozialen Netzwerken: "Julian verlässt das Gericht von Saipan als freier Mann. Ich kann nicht aufhören zu weinen." Die 40-jährige Anwältin hatte den Australier 2022 während seiner Haft geheiratet und hat zwei Kinder mit ihm.
Angst bis zur letzten Minute
Die amerikanische Justiz wollte Assange lange Zeit den Prozess wegen Spionagevorwürfen machen: Bis zu 175 Jahre Haft hätten ihm in den USA gedroht. Stattdessen handelte er nun mit den US-Behörden einen Deal aus und bekannte sich der Verschwörung zur unrechtmäßigen Beschaffung und Verbreitung von geheimen Unterlagen schuldig. In die USA wollte Assange zur Absegnung des Deals aber partout nicht - zu groß war wohl das Misstrauen. Stattdessen flog er auf die beschaulichen Marianen, die zwar zu den USA gehören, aber deutlich näher an seiner australischen Heimat liegen.
Richterin Ramona Manglona legte am Morgen (Ortszeit) fest, dass als Strafmaß jene Zeit gilt, die der Internetaktivist bereits in der Haft in London verbüßt hat. Damit ist er jetzt offiziell frei. Das US-Justizministerium bestätigte später in einer Mitteilung, dass der Fall offiziell abgeschlossen sei. Aber die Angst, dass in letzter Minute doch noch etwas hätte schiefgehen können, war groß. Nach der Entscheidung soll Assange Beobachtern zufolge sehr emotional und den Tränen nah gewesen sein.
"Es sieht so aus, als würde dieser Fall mit mir hier in Saipan enden", zitierten britische Medien Richterin Manglona. Es handele sich offenbar um ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk, fügte sie hinzu: "Ich habe gehört, dass Sie nächste Woche Geburtstag haben. Ich hoffe, Sie beginnen Ihr neues Leben auf positive Weise." Assange wird am kommenden Mittwoch (3. Juli) 53 Jahre alt.
Anwälte danken australischem Premier
"Ich hoffe, dass die Tatsache, dass es uns heute gelungen ist, Julian Assange trotz aller Widrigkeiten und gegen eine der mächtigsten Regierungen der Welt freizubekommen, allen weltweit inhaftierten Journalisten und Verlegern Hoffnung gibt", sagte die australische Menschenrechtsanwältin Jennifer Robinson am Mittwoch vor dem Gericht und sprach von einem "historischen Tag".
Robinson dankte vor allem dem australischen Premierminister Anthony Albanese für dessen unermüdlichen Einsatz für Assange. Der Regierungschef habe sich immer wieder auf höchster Ebene für eine Lösung in dem juristischen Tauziehen starkgemacht. Assanges Anwalt Barry Pollack sagte, Assange habe in seinem Kampf für freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit enorm gelitten.
Es ist das abenteuerliche Ende einer jahrelangen Saga. Vor seiner aufsehenerregenden Festnahme im April 2019 hatte sich Assange sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London verschanzt und so dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen. Diese hatten ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ins Visier genommen. Diese Anschuldigungen wurden später jedoch aus Mangel an Beweisen fallen gelassen. Menschenrechtsorganisationen, Journalistenverbände, Künstler und Politiker setzten sich derweil immer wieder für seine Freilassung ein. Es wird der erwartet, dass Assange sich nach der Heimkehr nach Australien erstmals öffentlich äußern wird.
WSJ: "Assange ist kein Held"
Wie das gesamte bisherige Verfahren gegen Assange ist auch der Deal durchaus umstritten. Das Wall Street Journal resümiert dazu: "Der ehemalige CIA-Chef Mike Pompeo nannte Wikileaks einmal einen "nicht staatlichen feindlichen Geheimdienst", und diese Bezeichnung passt. Als die USA Assange 2019 unter dem Spionagegesetz anklagten, verwies der stellvertretende Generalstaatsanwalt John Demers auf die Gesamtheit seines Handelns - die Beschaffung geheimer Informationen und deren Veröffentlichung im Internet, die das Leben amerikanischer Verbündeter in Gefahr bringen könnte. (...)
Keine dieser Verhaltensweisen entspricht denen eines Journalisten oder eines Whistleblowers, und Assange ist keines von beiden. Während des Kalten Krieges wäre das offensichtlich gewesen, wenn etwa ein ausländischer Staatsangehöriger beim Kopieren und Verbreiten von Hunderttausenden US-Militärberichten erwischt worden wäre. Das Internetzeitalter erleichtert Leaks, hat aber die Grenzen bei weitem nicht genug verwischt, um Assange zu decken. Hätten die USA es versäumt, ihn zu verfolgen, hätten sie ebenso gut aufhören können, Geheimnisse zu bewahren."
dpa/jb/LTO-Redaktion
* Anm. d. Red.: Assange ist nach ca. 6,5h Flug um 11:37 Uhr MESZ in Canberra gelandet.
Deal mit USA vollzogen: . In: Legal Tribune Online, 26.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54857 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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