Im Eilverfahren wollte Nicaragua die Waffenlieferungen an Israel stoppen. Der Vorwurf: Deutschland begehe Beihilfe zum Völkermord. Der IGH hat den Eilantrag abgelehnt – und verweist u.a. auf die tatsächlich genehmigten Waffenexporte.
Nicaragua wollte im Eilverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) u.a. erreichen, dass Deutschland seine Waffenlieferungen an Israel stoppt und die Zahlungen an das Palästinenserhilfswerk UNRWA in Gaza wieder aufnimmt. Letzteres hat Deutschland bereits freiwillig angekündigt und auch darüber hinaus lehnte der IGH den Eilantrag ab. Die Entscheidung erging mit 15 zu einer Stimme – dagegen stimmte nur der von Nicaragua nominierte jordanische Ad-hoc-Richter Aun Schaukat al-Chasauneh.
Die Voraussetzungen zum Erlass von Sofortmaßnahmen seien aus tatsächlichen Gründen nicht erfüllt, so der IGH. Nach Art. 41 des IGH-Statuts kann der IGH – sofern es seines Erachtens die Umstände erfordern – vorsorgliche Maßnahmen erlassen, die zum Schutze der Rechte jeder Partei erlassen werden müssen.
In Bezug auf die Waffenlieferungen stützt der IGH seine Entscheidung zum einen auf die tatsächlich genehmigten Waffenexporte nach Israel – nur zwei Prozent davon sind Kriegswaffen. Zum anderen verweist er auf die deutschen Regelungen zur Genehmigung von Waffenexporten, die insbesondere bei Kriegswaffen strengen Beschränkungen unterliegen. Zur Einstellung der Unterstützung des Palästinenserhilfswerks führt der IGH aus, die Zahlungen seien freiwillig – und es seien auch keine weiteren fällig gewesen. Zudem habe Deutschland UNRWA weiterhin etwa durch Zahlungen der EU unterstützt. Am 1. März 2024 hatte die EU 50 Millionen Euro an das Palästinenserhilfswerk gespendet.
Deutschland hatte beantragt, die Klage bereits jetzt als unzulässig abzuweisen, da der IGH "offensichtlich unzuständig" sei. Für die Teilnahme am Völkermord müsse man zunächst die Haupttat feststellen – und das gehe nicht ohne die Beteiligung Israels am Verfahren. Das sah der IGH allerdings anders.
Zulässigkeit der Klage wird erst später geprüft
In zwei Eilentscheidungen vom 26. Januar und 28. März hatten die Richterinnen und Richter in Den Haag Israel aufgefordert, seinen Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention nachzukommen. Sie gaben dem Staat außerdem vor allem auf, mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen. Da die sich die humanitäre Lage in Gaza erheblich verschlechtert hat, kam es zur zweiten Eilentscheidung des IGH und zu neuen Sofortmaßnahmen gegen Israel. Darin forderte der IGH Israel insbesondere auf, mehr Grenzübergänge für längere Zeiträume zu öffnen, um die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern sicherzustellen.
Der IGH hat allerdings nicht festgestellt, dass Israel einen Völkermord begeht – das ist Gegenstand des Hauptsacheverfahrens.
Deutschland wollte das Verfahren jetzt mit der sogenannten Monetary-Gold-Doktrin zu Fall bringen. Demnach kann der Gerichtshof gerade nicht über Klagen entscheiden, die als zentralen Gegenstand die Rechte eines Staates betreffen, der keine Partei des Verfahrens ist. Denn der IGH kann seine Zuständigkeit gegenüber einem Staat nur mit dessen Zustimmung ausüben.
Die spannende Frage, die auch von Völkerrechtlern im Vorfeld diskutiert wurde, war dann, ob der IGH die Monetary-Gold-Regel schon im Eilverfahren, in dem ein niedrigerer Beweisstandard gilt, anwendet – oder erst in der Hauptsache prüft. Der IGH hat sich für die letztgenannte Variante entschieden.
98 Prozent der Waffenexporte sind keine Kriegswaffen
In Bezug auf die Waffenlieferungen betont der IGH Deutschlands Verpflichtungen aus dem Vertrag über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty, ATT) sowie dem Gemeinsamen Standpunkt für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern der Europäischen Union (EU). Außerdem verweist er auf die deutschen Rechtsgrundlagen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Während für sonstige Rüstungsgüter nur die Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) erforderlich ist, ist für Kriegswaffen zusätzlich das Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG) einschlägig.
§ 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG verbietet die Genehmigung von Exporten u.a., wenn "Grund zu der Annahme besteht, daß die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde".
In diesem Zusammenhang betont der IGH auch, dass – und das hatte Deutschland in Person von Völkerrechtler Christian Tams auch bei der Verhandlung am 9. April 2024 dargelegt – Deutschland seit Beginn des Gaza-Krieges nur vier Lizenzen für die Ausfuhr von Kriegswaffen nach Israel erteilt habe. 98 Prozent der Exporte hätten sich auf sonstiges militärisches Equipment, etwa Helme und Schutzkleidung, bezogen. Außerdem sei der Wert der Rüstungsexporte seit Oktober 2023 erheblich gesunken – von circa 200 Millionen Euro auf etwa eine Millionen Euro im März 2024.
Auf der Grundlage dieser Fakten erachtete der IGH es nicht für notwendig, Sofortmaßnahmen gegen Deutschland zu erlassen. Dennoch betont er, er sei "tief besorgt" über die Situation in Gaza – und erinnert Deutschland an seine Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention sowie dem Humanitären Völkerrecht.
Wie es weitergeht
Die deutschen Rechtsvertreter begrüßten die Entscheidung. "Wir freuen uns, dass unsere Argumente das Gericht überzeugen konnten", sagte Tania von Uslar-Gleichen, Leiterin der deutschen Delegation.
Bis eine Entscheidung in der Hauptsache fällt, kann es aber noch dauern. Im Völkermord-Verfahren Südafrikas gegen Israel hat der IGH die Fristen zur Einreichung von Schriftsätzen bis in das Jahr 2025 terminiert. Das Verfahren gegen Deutschland wird sich also ebenfalls noch hinziehen.
Mit Material der dpa
Verfahren um Beihilfe zum Völkermord in Gaza: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54459 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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