Bei Corona-Leugnern und Rechtsextremisten ist der Messengerdienst Telegram beliebt - als Mittel für Kommunikation und Mobilisierung. Deutschen Behörden entzieht sich das Unternehmen. Welche rechtlichen Instrumentarien bleiben?
Die Bundesregierung prüft, wie sie der Verbreitung von Hass und Hetze über den Messengerdienst Telegram begegnen kann. "Wir müssen über alle Möglichkeiten nachdenken", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Montag in den ARD-Tagesthemen. Ein "deutscher Sonderweg" solle dabei aber nicht eingeschlagen werden. Auf europäischer Ebene habe man ein großes Interesse daran, "einen gemeinsamen europäischen Rechtsrahmen zu schaffen, der es uns ermöglicht, gegen Hass und Hetzte effektiv vorzugehen", so Buschmann.
Viele Menschen weltweit nutzen Telegram vorwiegend zur 1-zu-1-Kommunikation im privaten oder beruflichen Kontext, so wie Wire, Signal, Whatsapp oder andere Messengerdienste. Für einige Nutzer, die bei Youtube oder anderen sozialen Netzwerken wegen extremistischer Inhalte gesperrt worden sind, ist Telegram allerdings eine Ausweichplattform. Ein Beispiel ist der Österreicher Martin Sellner von der Identitären Bewegung. Sein Telegram-Kanal hat mehr als 62.000 Abonnenten.
Auch den Geheimdiensten ist das zunehmende Treiben in dem Messengerdienst bereits aufgefallen: "Telegram wird in allen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachteten Phänomenbereichen verstärkt genutzt", teilte die Behörde mit Sitz in Köln auf Anfrage von dpa mit. "Insbesondere Anhänger der verfassungsschutzrelevanten Corona-Leugner-Szene nutzen die Plattform zur Verbreitung der eigenen Agenda sowie zur Mobilisierung für Demonstrationen und Veranstaltungen."
NetzDG auf Telegram anwendbar?
Der Messengerdienst Telegram erlaubt neben individueller Kommunikation auch Gruppendiskussionen von mehreren Tausend Nutzern. Telegram ermögliche zudem "das unkomplizierte Teilen von auch strafrechtlich relevanten Videos, Bildern sowie Audiodateien, greift kaum administrativ in Inhalte ein und bietet dadurch die Möglichkeit, beeinflussend auf andere Personen einzuwirken", heißt es seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Das Bundesamt für Justiz vertritt inzwischen die Auffassung, Telegram sei kein reiner Messengerdienst, sondern ein soziales Netzwerk. Folglich gelte für Telegram das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) - so wie für Facebook und Twitter. Das verlangt unter anderem, dass strafbare Inhalte rasch gesperrt oder gelöscht werden.
Das Gesetz verpflichtet Anbieter zudem, einen leicht zugänglichen Meldeweg für strafbare Inhalte einzurichten und einen Zustellungsbevollmächtigten für Ersuchen deutscher Gerichte zu benennen. Da es beides bisher nicht gibt, laufen seit Mai zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram. Das Unternehmen mit Sitz in Dubai hat indes bislang darauf nicht reagiert und bleibt damit der Linie treu, die sein Gründer und Geschäftsführer Pavel Durov seit Jahren verfolgt. Auf eine Auseinandersetzung mit der iranischen Regierung angesprochen, schrieb er 2015 auf Twitter, Telegram habe bislang keine Vereinbarungen mit irgendwelchen Regierungen getroffen und plane auch nicht, dies in Zukunft zu tun.
In letzter Konsequenz bliebe damit theoretisch nur ein drastisches Mittel übrig: Apple und Google zu überzeugen, die Telegram-App nicht mehr zum Download anzubieten. Wer sie schon installiert hat, könnte darüber aber weiter kommunizieren.
Mordpläne gegen Politiker auf Telegram aufgetacht
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat sich unterdessen für Einschränkungen des Messenger-Dienstes Telegram ausgesprochen, um Hass und Hetze in der Corona-Pandemie einzudämmen. "Es kann nicht länger angehen, dass die Betreiber von Telegram von Dubai aus tatenlos zuschauen, wie in ihrem Netzwerk Morddrohungen verbreitet werden", sagte Kretschmer der Bild am Sonntag. "Wenn sie ihre Dienste weiter auf dem deutschen Markt anbieten wollen, müssen sie gegen diese Hetze vorgehen. Andernfalls muss die EU, muss die Bundesregierung, müssen Apple und Android die Nutzung einschränken."
Der sächsische Regierungschef ist selbst von dem Hass auf Telegram betroffen. Nach einem Bericht des ZDF-Magazins Frontal waren in dem Netzwerk Äußerungen zu Mordplänen gegen Kretschmer aufgetaucht. Dieser will sich davon aber nicht einschüchtern lassen. Nach Angaben des Landeskriminalamtes Sachsen prüfen Polizei und Generalstaatsanwaltschaft nun die Sach- und Rechtslage in dem Fall.
Die AfD, deren Mitglieder und Anhänger Telegram fleißig nutzen, ist strikt gegen jede Regulierung. "Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gehört abgeschafft", sagt Joana Cotar, Digitalisierungsexpertin der AfD-Bundestagsfraktion. Es sei richtig, dass sich Telegram dem entziehe. Schließlich stehe es jedem frei, direkt gegen die Person vorzugehen, die einen vermeintlich strafbaren Inhalt über den Messengerdienst verbreitet habe.
Der Innenexperte der Grünen, Konstantin von Notz, sprach sich unterdessen für einen differenzierten Umgang mit der Problematik aus. Ein deutsches Verbot von Telegram sei nicht zielführend, sagte er MDR AKTUELL. Was heute Telegram sei, könne morgen irgendein anderer Dienst sein. Zudem werde der Dienst nicht nur von Hasskommentatoren, sondern auch von vielen anderen genutzt.
Internetrechtler: Druck auf Telegram erhöhen
"Telegram war bereits früh bei extrem Rechten beliebt", sagt der Politikwissenschaftler Josef Holnburger vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), das Radikalisierungstendenzen in sozialen Medien beobachtet. 2018 habe sich die Identitäre Bewegung Telegram als neue Plattform ausgesucht, nachdem für die Bewegung wichtige Profile auf Instagram und Facebook gelöscht worden seien. Auf Telegram wollte man sich laut Holnburger dezentraler aufstellen und gründete Dutzende Regionalgruppen. Seit diesem Jahr kommt nach seiner Einschätzung noch hinzu, dass die US-Rechte sich eine neue Plattform sucht, nachdem sie sehr schlechte Erfahrungen mit Gab und Parler gesammelt habe.
Matthias Kettemann, Experte für Internetrecht und Professor an der Universität Innsbruck sagte im Deutschlandfunk, dass neue nationale Gesetze "bestimmt nicht kommen" werden. Die EU berate derzeit noch den Digital Services Act, der Plattformen verpflichten soll, strafbare Inhalte zu löschen und den Behörden zu melden. Es sei sinnvoll, die bestehenden Gesetze besser durchzusetzen, so Kettemann im Dlf – das Problem sei aber, dass Telegram nicht erreichbar sei.
Viele Optionen würden der Politik nicht bleiben. Ein Verbot hält der Experte für Internetrecht für verfassungswidrig. "Unsere Lösung darf nicht sein, Telegram zu sperren. Wir müssen Telegram zwingen, besser zu moderieren und klar rechtswidrige Inhalte schneller zu löschen". Das gehe einerseits über gesellschaftlichen Druck auf Telegram, andererseits über den Druck durch "die großen Gatekeeper", so Kettemann.
Jonas Kahl, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht bei Spirit Legal in Leipzig hält eine Neudefinition des Anwendungsbereichs nach § 1 Abs. 1 NetzDG für erforderlich, der sich von den umgrenzten Begriffen des sozialen Netzwerkes und Telemediendiensts löst. "Es sollte ein funktionaler Ansatz verfolgt werden, der an die Fähigkeit des Dienstes zur personenindifferenten Gruppen- oder Massenkommunikation anknüpft", so Kahl in einem Blogeintrag. "So würden zukünftig auch multifunktionale Dienste erfasst und den Pflichten des Gesetzes unterworfen." Ausgenommen werden sollten Dienste laut Kahl nur dann, wenn deren Gruppen- oder Massenkommunikationsfunktionen eine völlig untergeordnete Nebenfunktion darstelle.
Der Frankfurter Informations- und Kommunikationsrechtsspezialist Simon Assion warnte dagegen auf Twitter davor, zu strenge Maßstäbe an Messengerdienste anzulegen. Messengerdienste seien nach neuem Recht Telekommunikationsdienste. "Wer TK-Dienste verpflichten will, politisch unerwünschte Inhalte aus der Kommunikation ihrer Kunden auszufiltern, legt die Axt an demokratische Grundwerte", so Assion.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Rechtlicher Umgang mit umstrittenem Messengerdienst: . In: Legal Tribune Online, 14.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46925 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag