Nach einem Gesetzesentwurf des BMJ soll der BGH künftig Leitentscheidungen in Massenverfahren treffen können, auch wenn eine Revision bei ihm gar nicht mehr anhängig ist. Dadurch sollen Gerichte entlastet und Verfahren beschleunigt werden.
Bis es zu bestimmten Rechtsfragen höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, vergeht meist viel Zeit. Erst wenn der Instanzenzug komplett durchlaufen ist, fällen die obersten Gerichte ihre Entscheidung. Auf Urteile, die Orientierung bieten und offene Fragen klären können, müssen die Fachgerichte daher in der Regel lange warten.
Das will das Bundesministerium für Justiz (BMJ) nun ändern. Ein Gesetzesentwurf, der die Einführung eines sogenannten Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof (BGH) vorsieht, liegt LTO vor.
Das Verfahren soll zum Einsatz kommen, wenn massenhafte Einzelklagen gleichgelagerter Ansprüche bei Gerichten anhängig sind. In solchen Fällen würden sich meist die gleichen entscheidungserheblichen Rechtsfragen stellen. Als Beispiele nennt das BMJ die Verfahren des Diesel-Skandals oder solche wegen unzulässiger Klauseln in Fitnessstudioverträgen.
Entscheidung auch wenn sich das Revisionsverfahren erledigt
Dem BGH soll es ermöglicht werden, aus den bei ihm anhängigen Revisionen ein geeignetes Verfahren auszuwählen, das ein möglichst breites Spektrum an offenen Rechtsfragen bietet. Das Verfahren wird dann durch Beschluss des BGH zum sogenannten Leitentscheidungsverfahren bestimmt. Regeln würde dies ein neu eingeführter § 552b der Zivilprozessordnung (ZPO).
Sollte es in dem Verfahren im weiteren Verlauf nicht zu einem Urteil kommen, beispielsweise weil die Parteien sich einigen oder weil eine eingelegte Revision wieder zurückgenommen wurde, kann der BGH dennoch eine Art hypothetische Entscheidung treffen (§ 565 ZPO n.F.), um die entscheidenden Rechtsfragen zu klären. Das BMJ stellt in seinem Gesetzesentwurf klar, dass eine solche Leitentscheidung aber keine formale Bindungswirkung beansprucht und vor allem keine Auswirkungen auf das zugrundeliegende Revisionsverfahren hat. Die Entscheidung der entsprechenden Rechtsfragen dient vielmehr als Richtschnur und zur Orientierung der Instanzgerichte.
Die Instanzgerichte können aber die Leitentscheidung für ihre eigene Urteilsfindung heranziehen. Ein neuer Absatz vier des § 148 ZPO sähe zu diesem Zweck außerdem vor, dass die Instanzgerichte die bei ihnen anhängigen Verfahren aussetzen dürfen, bis der BGH eine Leitentscheidung getroffen hat. Erforderlich hierfür ist lediglich, dass die Entscheidung des Gerichts von Rechtsfragen abhängt, die Gegenstand des Leitentscheidungsverfahrens sind und dass die Parteien der Aussetzung zustimmen.
Entlastung der Justiz, Rechtssicherheit für Verbraucher
Das erklärte Ziel des Gesetzesentwurfs ist es, Massenverfahren effizienter erledigen zu können. Das BMJ verspricht sich hiervon zudem mehr Rechtssicherheit, die Entlastung der Gerichte und ein gesichert hohes Niveau der Rechtsprechung.
Auch die Verbraucher und Verbraucherinnen würden nach Ansicht des BMJ von der Einführung eines solchen Verfahrens profitieren, weil Massenverfahren in der Regel Verbraucheransprüche beträfen. Nach fünf Jahren soll eine Evaluierung Auskunft darüber geben, ob das neue Verfahren die versprochene Wirkung erzielt hat.
Gesetzesentwurf des BMJ für bessere Prozessökonomie: . In: Legal Tribune Online, 06.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51932 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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