Südafrika wirft Israel Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen vor und hat den IGH angerufen. Am 11. und 12. Januar finden die Anhörungen im Eilverfahren statt.
Gut drei Monate nach dem Beginn des Gaza-Kriegs gegen die islamistische Hamas muss sich Israel erstmals vor einem internationalen Gericht für den Militäreinsatz verantworten.
Südafrika beschuldigt Israel des Völkermordes an den Palästinensern im Gazastreifen und hatte sich am 29. Dezember 2023 mit Klage und Eilantrag an den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gewendet. Israel solle die Gewalt gegen die Palästinenser sofort einstellen, so die Forderung aus Südafrika. Die Anhörungen im Eilverfahren hat der IGH jetzt für den 11. und 12. Januar angesetzt, teilte er am Mittwochabend mit.
Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober tobt ein erbitterter Krieg im Gazastreifen. Israel reagiert mit militärischen Angriffen aus der Luft und einer Bodenoffensive. Neben der Zerstörung militärischer Ziele kommt es dabei auch zu einer Vielzahl ziviler Opfer. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden in Gaza bisher 21.800 Menschen getötet (Stand 31. Dezember 2023). Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig bestätigen, unter anderem die Vereinten Nationen halten sie jedoch für plausibel. Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer wird der israelische Militäreinsatz international teils stark kritisiert.
Auch die humanitäre Situation ist dramatisch. Krankenhäuser wurden zu Kriegsschauplätzen, Schwerverletzte können nicht mehr behandelt werden. Nach UN-Angaben sind 40 Prozent der Bevölkerung von einer Hungerkatastrophe bedroht. Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, OCHA) schätzt, dass mehr als 1,9 Millionen Palästinenser – das sind 85 Prozent der Bevölkerung Gazas – fliehen mussten.
Südafrika: Israels Handlungen haben "Charakter eines Völkermordes"
Südafrika ist der Auffassung, die Handlungen der israelischen Streitkräfte hätten den "Charakter eines Völkermordes", da sie auf die Vernichtung der Palästinenser in dem Gebiet abzielen würden. Die Regierung in Pretoria unterhält traditionell gute Beziehungen zu den palästinensischen Gebieten. Südafrikanische Politiker haben wiederholt Vergleiche zur Apartheid-Politik in der Vergangenheit in ihrem eigenen Land gezogen.
Israel hat sich der Gerichtsbarkeit des IGH eigentlich nicht unterworfen. Südafrika nutzt jedoch – wie beispielsweise auch die Ukraine in ihrem Verfahren gegen Russland – den "Umweg" über Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 des IGH-Statuts in Verbindung mit einer sogenannten kompromissarischen Klausel in einem völkerrechtlichen Vertrag, welche die Zuständigkeit des IGH begründet. Art. IX der Völkermordkonvention bestimmt den IGH als zuständiges Gericht für Streitigkeiten über die Anwendung und Erfüllung der Konvention zwischen Vertragsstaaten, zu denen sowohl Israel als auch Südafrika zählen.
"Verbrechen der Verbrechen" nur schwer nachzuweisen
Völkermord ist nach Art. II der Völkermordkonvention u.a. die Tötung von Mitgliedern einer Gruppe, die Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden oder die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen. Hinzukommen muss aber immer die Absicht, "eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören". Diese Voraussetzung des "Verbrechens der Verbrechen" ("crime of crimes"), wie der Völkermord auch bezeichnet wird, ist aber nur schwer nachzuweisen.
In seiner Klage führt Südafrika eine Reihe von Zitaten israelischer Politiker an, darunter des Premierministers Benjamin Netanjahu und des Präsidenten Isaac Herzog. Netanjahu hatte Mitte Oktober geäußert, die israelischen Soldaten seien bereit, "um die blutrünstigen Ungeheuer zu besiegen, die sich gegen uns [Israel] erhoben haben, um uns zu vernichten". Ob er damit auch die palästinensische Zivilbevölkerung meint, ist aber fraglich.
Herzog habe jedoch deutlich gemacht, dass Israel nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheide, heißt es in der Klage. "Es ist eine ganze Nation da draußen, die verantwortlich ist. Es ist nicht wahr, dass die Zivilisten nichts wissen und nicht beteiligt sind. Das ist absolut nicht wahr", so Herzog in einem Statement Mitte Oktober.
Israel: Südafrika arbeitet mit Hamas zusammen
Israel wies die Anschuldigungen Südafrikas entschieden zurück. "Die Klage Südafrikas entbehrt sowohl der faktischen als auch der juristischen Grundlage", schrieb ein Sprecher des israelischen Außenministeriums am Freitagabend auf X. Er wirft Südafrika vor, mit der Terrororganisation Hamas zusammenzuarbeiten, die zur Zerstörung des Staates Israel aufrufe. Für das Leid der Palästinenser im Gazastreifen sei ausschließlich die Hamas verantwortlich. Bei der militärischen Bekämpfung der Hamas tue Israel alles, um den Schaden für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten.
Für zusätzliches Aufsehen hatten aber Äußerungen von Israels Polizeiminister Itamar Ben-Gvir von der rechtsextremen Partei Otzma Jehudit und von Finanzminister Bezalel Smotrich von der rechtsextremen Religiös-Zionistischen Partei gesorgt: Beide hatten über eine mögliche Vertreibung von Palästinensern aus dem Gazastreifen in andere Länder spekuliert. Die USA, die EU und Länder wie Deutschland und Frankreich hatten diese Äußerungen scharf zurückgewiesen.
Auch Israels Kulturminister und Parteikollege des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, Miki Sohar, kritisierte seine Kabinettskollegen und dementierte, dass Israel an solchen Gesprächen beteiligt sei. "Es ist klar, dass niemand in Israel traurig wäre, wenn sie [die Palästinenser] freiwillig gingen. Aber das ist nicht realistisch und die internationale Gemeinschaft würde das auch nicht akzeptieren", sagte er der Nachrichtenseite ynet. Solche Themen solle man nicht auf offener Bühne diskutieren.
Über den Völkermordvorwurf Südafrikas wird jetzt zunächst der IGH befinden. Dessen Entscheidungen sind bindend, jedoch verfügt der Gerichtshof über keinen Durchsetzungsmechanismus. Er kann aber den UN-Sicherheitsrat anrufen. Dort besitzen die ständigen Mitglieder Frankreich, Russland, USA, China sowie das Vereinigte Königreich jedoch ein Vetorecht.
Mit Materialien der dpa
IGH verhandelt über Südafrikas Antrag: . In: Legal Tribune Online, 04.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53551 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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