Die Koblenzer Staatsanwaltschaft erhebt keine Anklage gegen den Ex-Landrat oder den technischen Einsatzleiter. Sie sahen keinen hinreichenden Tatverdacht für fahrlässige Tötung – trotz zögerlicher Warnungen in der Flutnacht.
Infolge der Flutkatastrophe im Sommer 2021 starben in Rheinland-Pfalz 136 Menschen. Ein Mensch wird noch immer vermisst. Hunderte wurden verletzt, Tausende Häuser zerstört, Straßen und Brücken weggespült. Die Koblenzer Staatsanwaltschaft ermittelte deshalb mehr als zweieinhalb Jahre gegen den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, und einen engen Mitarbeiter aus dem Krisenstab. Es ging darum, ob Pföhler zu spät vor der Gefahr gewarnt hatte. Das hätte als fahrlässige Tötung durch Unterlassen (§§ 222, 13 Strafgesetzbuch (StGB)) und als fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen im Amt (§§ 223, 340, 13 StGB) strafbar sein können. Diese Vorwürfe haben sich im Zuge der Ermittlungen nicht bestätigt.
Pföhler und der damalige Leiter der Einsatzzentrale werden nicht angeklagt, die Staatsanwaltschaft hat beide Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Das erklärte der leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler am Donnerstag auf einer dafür anberaumten Pressekonferenz.
"Nicht darüber zu befinden, ob jemand charakterlich versagt hat"
Mannweiler sprach einleitend sein tiefstes Mitgefühl für die Opfer der Katastrophe aus. Trotzdem habe die Staatsanwaltschaft einen gesetzlich definierten Auftrag. Sie habe allein zu prüfen, ob hinreichender Tatverdacht wegen einer Straftat besteht. Es gehe um eine individuelle Betrachtung, um die individuelle Schuld des Einzelnen und gerade nicht darum, die Katastrophe im Ganzen aufzuarbeiten. Dabei müsse man sich freimachen von Emotionen. Die Staatsanwaltschaft habe "nicht darüber zu befinden, ob jemand charakterlich versagt hat" oder "politisch verantwortlich ist" – im Ergebnis also: ein moralisches Werturteil zu treffen. Die administrative und politische Verantwortung habe in der Flutnacht zwar beim Landrat gelegen, sagt Mannweiler. Nicht aber die strafrechtliche.
Voraussetzung für eine fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen sei zunächst das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtwidrigkeit, führte der Staatsanwalt aus. Hierbei müsse man sich die Frage stellen: "Was wird in solch einer Situation von einem normalen Menschen erwartet?" Bei beiden Beschuldigten habe es sich nicht um speziell ausgebildete Katastrophenschutzexperten gehandelt, sondern um einen ehrenamtlichen Feuerwehrmann und Verwaltungsangestellten auf der einen Seite und einen Landrat auf der anderen Seite.
Man dürfe außerdem nicht den Fehler machen, die Situation rückblickend zu beurteilen. Vielmehr sei relevant, wie sich die Gefahrenlage in der damaligen Situation aus Sicht von Pföhler und seinem Mitarbeiter dargestellt hatte. Insofern kamen die Ermittler zu einem klaren Ergebnis: Ein derartiges Flutgeschehen war weder für den Ex-Landrat noch für seinen technischen Einsatzleiter vorhersehbar. "Für die technische Einsatzleitung war es nach dem Ergebnis unserer Ermittlungen unmöglich, aus den Wetterprognosen eine konkrete Flutsituation abzuleiten", führte Mannweiler aus.
Gezeigtes Warnverhalten war unzureichend – aber das reicht nicht
Das gezeigte Warnverhalten von Pföhler und des damaligen Leiters der Technischen Einsatzleitung sei dennoch unzureichend gewesen und hinter dem gebotenen Standard zurückgeblieben. Objektiv habe deshalb eine Sorgfaltspflichtverletzung vorgelegen. Allerdings müsse als weitere Voraussetzung der Strafbarkeit die hypothetische Kausalität vorliegen, führte Mannweiler weiter aus. Dabei kommt es darauf an, ob bei Vornahme der gebotenen Handlung der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre. Die vermochte die Staatsanwaltschaft hier nicht festzustellen: Es sei nicht nachzuweisen, dass mit einem optimaleren Warnverhalten der Tod von Menschen hätte vermieden werden können. Warnungen setzten voraus, dass die Menschen danach auf sie reagieren. Bei der Ahr-Flut 2021 hätten sich auch Menschen Warnungen widersetzt, Einsatzkräfte hätten mit renitentem Verhalten zu tun gehabt.
Die Wirkung früherer Warnungen sei nicht bestimmbar, bestätigte auch ein Sachverständiger. Menschen reagieren auf Alarm oft abwartend. Je früher eine Warnung erfolge, umso zögerlicher reagierten die Menschen. Es sei deshalb "spekulativ, wer wie wann auf bestimmte Warnungen reagiert hätte", so Mannweiler. Einige Betroffene hätten außerdem keine Warn-Apps gehabt, andere seien im Schlaf von der Flut überrascht worden. Zwar könne man von Wahrscheinlichkeiten sprechen. "Aber mit Wahrscheinlichkeiten wird in Deutschland kein Mensch strafrechtlich verurteilt."
Flutopfer können gegen Entscheidung vorgehen
Der Oberstaatsanwalt stellte schließlich klar, dass alle Personen, die Strafanträge gestellt haben, auch einen Einstellungsbescheid (§ 171 StPO) erhalten hätten. Alle Angehörigen seien angemessen unterrichtet worden. Hintergrund war, dass am Mittwoch Vorwürfe der Hinterblieben laut geworden waren, sie hätten von der Pressekonferenz am Donnerstag durch Zufall aus der Presse erfahren. Sie hatten gefordert, die Pressekonferenz abzusagen, das Ermittlungsverfahren auszusetzen und die Staatsanwälte wegen Befangenheit auszuwechseln.
"Was am Ende bleibt, ist die Hoffung, dass die Ermittlungen dazu beitragen können, dass wir künftig bei solchen Katastrophen besser gewappnet sind", sagte Mannweiler zum Abschluss.
Die Hinterblieben haben nun als "Verletzte" nach § 172 Abs. 1 StPO die Möglichkeit, gegen die Einstellung des Verfahrens vorzugehen und zunächst eine Beschwerde einzureichen. Danach können sie nach § 172 Abs. 2 StPO ein Klageerzwingungsverfahren anstrengen. So könnte es doch noch zu einem Strafprozess kommen.
cho/LTO-Redaktion mit Material der dpa
Trotz später Flutwarnung im Ahrtal: . In: Legal Tribune Online, 18.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54364 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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